# taz.de -- Streit um „Decolonizing Christmas“: Wenn Aufklärung zur Gefühlsfrage wird
       
       > Wer bei Mohammed-Karikaturen noch die Meinungsfreiheit verteidigt,
       > fordert im Namen der Christenheit gern mal Zensur. Bei Weihnachten hört
       > der Spaß eben auf.
       
 (IMG) Bild: Maria im Stall, eine Szene aus dem Weihnachtsgarten der Berliner Friedenskirche
       
       Es wäre zum Lachen, wenn’s nicht so traurig wäre. Der Begriff
       [1][Cancel-Culture] klebt an der identitätspolitischen Linken. Obwohl
       US-Philosophin Nancy Fraser sagte, als sie 2024 aufgrund
       palästinasolidarischer Positionen von der Uni Köln ausgeladen wurde, dass
       es heute oft „rechter Zentrismus“ sei, der andere Meinungen mundtot macht.
       
       Anschaulich wurde das kürzlich in Berlin, wo eine Veranstaltungsreihe mit
       dem Titel [2][„Decolonizing Christmas“] eingestellt wurde, nachdem die Welt
       eine Kampagne gegen sie gefahren hatte. Was genau besprochen wurde, als ein
       Christ und eine Muslima rassismus- und machtkritisch durch den
       Weihnachtsgarten der Friedenskirche Charlottenburg führten, tut hier wenig
       zur Sache – soviel ist klar: Es war eher harmlos.
       
       Ganz anders behaupteten es die [3][Springer-Kolleg:innen], die die eher
       dürftig besuchte Führung zum Politikum aufbliesen und einen Shitstorm
       lostraten. Der Vorwurf: Muslim:innen oder Postkoloniale wollten
       „Weihnachten abschaffen“. Die Welt jonglierte mit liberaler Demokratie,
       Geschmacklosigkeit und christlichen Gefühlen.
       
       Berlins regierender CDU-Bürgermeister Kai Wegner sprang auf den
       Propagandazug auf und verlangte eine Prüfung des mit wenigen hundert Euro
       steuerfinanzierten Projekts. Einen zweiten Termin sagten die
       Veranstalter:innen ab. Die muslimischen Referent:innen seien
       massiv bedroht worden, ihre Sicherheit nicht mehr zu gewährleisten.
       
       Wäre die Debatte nicht durch Springer so vergiftet, ließe sich darin eine
       spannende Frage verhandeln. Wiegt der Respekt vor religiösen Gefühlen
       schwerer als aufklärerische Errungenschaften wie Kritik- oder
       Meinungsfreiheit? Eine Frage, die sonst aufkommt, wenn es um Islam geht.
       Ist es richtig, Mohammed-Karikaturen abzudrucken, wenn sich einige davon
       beleidigt fühlen?
       
       ## Rückkehr zum Dogma
       
       Ein gutes Argument wäre: In einer Gesellschaft, in der Meinungsfreiheit
       herrscht, muss es möglich sein, Religion zu kritisieren, weil sie
       öffentlich wirksam ist und Macht legitimiert. Es zu unterlassen, weil sie
       heilig ist, wäre eine Rückkehr zum Dogma, eine Art Zensur.
       
       Ein Gegenargument wäre: Auch da, wo Meinungsfreiheit herrscht, muss nicht
       alles gesagt werden. Religion ist für viele Menschen sinn- und
       identitätsstiftend, Kritik daran erleben sie als Missachtung des
       moralischen Horizonts. Das ist schlecht für den gesellschaftlichen
       Zusammenhalt, würden Kommunitaristen einwenden.
       
       Beides valide Standpunkte. Witzig, dass die, die sonst immer für die
       Meinungsfreiheit in die Bresche springen, es auf einmal gar nicht mehr mit
       dem Liberalismus haben, wenn es um „eigene“ Traditionen geht.
       Universalismus? Fehlanzeige.
       
       Ironisch ist der Fehlschluss, den die Welt zieht: „Decolonizing Christmas“
       wollte Weihnachten, anders als behauptet, im aufklärerischen Sinne
       kritisieren, diskutieren, reflektieren – eben nicht abschaffen und im Keim
       ersticken. Nicht Wokies wollen Weihnachten canceln, rechte Hetzblättchen
       canceln offene Debatten.
       
       Vermutlich glauben die Kolleg:innen sich ihre Argumente selbst nicht.
       Doch warum dieser Kulturkampf? Will man ablenken von der Fördergeldaffäre
       in der Berliner CDU? Oder lässt Springer die Propagandamaschine für die
       rassistische Berichterstattung nach der Silvesternacht schon mal
       heißlaufen? Wegen der hatte Wegner ja 2023 die Wahl gewonnen.
       
       16 Dec 2025
       
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