# taz.de -- Knödel mit Freund*innen: Ein Appell für selbstbestimmte Weihnachten!
       
       > Weihnachten hat in meiner Kindheit keine große Rolle gespielt. Ein Glück!
       > Jetzt erfinde ich es jedes Jahr neu.
       
 (IMG) Bild: An Weihnachten sollte sich jeder aussuchen können, mit wem er wie feiern möchte
       
       Gefühle zu Weihnachten, ob stark oder schwach, gut oder schlecht, hat
       jede:r. Auch wenn man wie ich nicht aus einer Familie kommt, in der
       Weihnachten gefeiert wird. Meine Eltern sind nicht christlich und auch
       nicht in einem christlichen Land sozialisiert worden – was meine Schwestern
       und mich aber nie davon abhielt, an Schulweihnachtsfeiern teilzunehmen,
       unsere Mutter auf den Weihnachtsmarkt zu zerren oder im Fernsehen endlos
       viele Folgen Weihnachtsmann & Co. KG zu schauen. Doch ein richtiges Fest
       gab es eben nie.
       
       Ich erinnere mich an den Tag vor Nikolaus in der ersten Klasse, als die
       Lehrerin uns darauf hinwies, abends den Schuh vor die Tür zu stellen. Ich
       versuchte, mir das ganz doll zu merken. Kurz vor dem Zubettgehen fiel es
       mir dann wieder ein, ich sprang auf, eilte zur Tür, stellte den Hausschuh
       heraus. Meine Eltern schauten mich verdutzt an. „Keine Sorge, das ist für
       den Nikolaus“, sagte ich. Sie lachten und sagten: „Ach, das machen nur die
       Deutschen.“
       
       Kein Baum, keine Deko, keine Geschenke. Offenbar für viele ein Schock.
       Meine gesamte Kindheit und Jugend habe ich mir Fragen anhören müssen wie
       „Aber fehlt dir denn nix?“ Oder: „Wie können dir deine Eltern das antun?“
       Interessanterweise auch oft von Menschen, die sich als atheistisch
       bezeichneten. „Na ja, ich kenne es halt nicht anders“, war meine
       servierfertige Antwort darauf.
       
       Doch tatsächlich fand ich die Feiertage in meiner Kindheit gar nicht
       schlimm, im Gegenteil. Denn zu Hause herrschte viel weniger Druck. Weniger
       Erwartungen, weniger Stress. Und viel mehr Spielraum für eigene
       Interpretationen. Und davon profitiere ich noch heute.
       
       ## Hauptsache, der Schein wird gewahrt
       
       Insbesondere während des [1][Lockdowns] machte ich die Erfahrung, dass
       Weihnachten richtig Spaß machen kann, wenn man es sich selbst gestaltet.
       Zum ersten Mal verbrachte ich die Zeit allein und es war, als wäre ich fünf
       Tage in ein Schweigekloster gezogen. Ich kann es nur empfehlen!
       
       Menschen lieben es, eine Meinung zur Lebensweise anderer zu haben. Und wie
       andere ihr Fest verbringen, eignet sich offenbar besonders zum Urteilen.
       Von vielen Menschen in meinem Umfeld weiß ich, dass an Weihnachten [2][die
       Beziehung zur eigenen Familie wie unterm Brennglas] liegt. Das einzige, was
       sie irgendwann davon entbindet, nach Hause zu fahren, sind eigene Kinder.
       Bis dahin gilt: Hauptsache, der Schein wird gewahrt, ganz egal, wie
       schlecht die Stimmung ist.
       
       Vor ein paar Jahren fragte ein guter Freund, ob jemand Lust hätte, mit ihm
       Friendsmas zu feiern. Friendsmas ist viel weniger amerikanisch und
       neumodisch als es klingt: Es bedeutet schlicht, dass man das heilige Fest
       mit Menschen verbringt, die man wirklich liebt – ähm, ich meine natürlich,
       die man auch liebt, beziehungsweise mit denen man reibungsloser Zeit
       verbringen kann als mit der eigenen Verwandtschaft.
       
       ## Sich von der Tradition befreien
       
       Die Idee begeisterte mich und weitere Freundinnen sofort und so verbrachten
       wir drei Tage gemeinsam, aßen Knödel und Rotkohl, schauten Serien und
       redeten ohne Ende.
       
       Also gar nicht so anders als „klassische“ Weihnachten, nur viel
       ungezwungener. Seitdem habe ich Weihnachten immer mit Freund:innen
       gefeiert, in verschiedenen Konstellationen und an verschiedenen Orten.
       Vergangenes Jahr zum Beispiel war ich in meiner Heimatstadt, traf mich
       statt mit meiner Familie aber mit meiner über 80-jährigen Freundin und
       deren Freundin.
       
       Für meine Familie gab es ja noch die Tage Ende Dezember. Dieses Jahr
       besuchen wir gemeinsam eine andere Freundin in Portugal. Sie hatte uns um
       Friendsmas beneidet und wollte es mal ausprobieren. Ich kann also nur dafür
       plädieren, sich von der Tradition zu befreien und mal darüber nachzudenken,
       mit wem und wie man Feste feiern möchte. Lasst uns den Druck rausnehmen,
       [3][2025 war schon anstrengend genug]. Ein frohes, selbstbestimmtes
       Weihnachten wünsche ich!
       
       24 Dec 2025
       
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