# taz.de -- Nach dem Terroranschlag in Australien: Stille Trauer am Bondi Beach
> 16 Tote, mehr als 40 Verletzte: am Tag nach dem Terroranschlag gegen
> jüdische Menschen am Bondi Beach in Sydney weiß man mehr über Opfer und
> Täter.
(IMG) Bild: Trauerende am Bondi Beach, Sydney, Australien
Eine gespenstische Stille herrscht vor dem Bondi Pavillon, einem großen
Gebäude direkt am Bondi Beach. Nur die Gebete einiger junger jüdischer
Männer unter dem Dach eines kleinen Zeltes durchbrechen die Ruhe auf dem
sonst lebhaften Platz. Hunderte Menschen haben sich in stiller Andacht
versammelt. Berge von Blumensträußen liegen auf dem Boden, sauber
aneinander gereiht. Eine Gruppe Trauernder nähert sich, die Männer mit der
Kippa auf dem Kopf. Eine Frau stützt ihre betagte Mutter. Beiden rollen
Tränen über das Gesicht, als sie ihre Blumen ablegen.
Die jüdische Gemeinde Australiens steht unter Schock und eine Nation
trauert mit. [1][Das Terrorattentat vom Sonntagabend auf eine Gruppe
jüdischer Menschen], die in einem Park einen Steinwurf vom Bondi Pavillon
den Beginn des Lichterfests Chanukka feierten, habe „das Land für immer
verändert“, meint ein Kommentator.
Schnell wurde bekannt, [2][dass es sich bei den mutmaßlichen Tätern um
einen Vater und seinen Sohn handelt]. Die beiden schossen von einer Brücke
aus auf die Feiernden. Wer sich nicht durch Flucht den Kugeln entziehen
konnte, fiel, wo er stand.
Ein Blutbad, wie es Australien seit dem [3][Amoklauf von Tasmanien]
[4][1996] nicht mehr gesehen hatte. Damals hatte ein junger Mann mit einem
Schnellfeuergewehr 35 Menschen erschossen. Die Regierung handelte sofort.
Sie verbot alle halbautomatischen Waffen, Tötungsmaschinen, deren einzige
Aufgabe es ist, so viele Schüsse in so kurzer Zeit abzufeuern, wie
technisch möglich. Diesem Entscheid damals sei zu verdanken, so am Montag
ein Experte im Fernsehen, dass es in Bondi 15 unschuldige Opfer gegeben
habe, und nicht 150.
Dass der Vater in der Lage gewesen war, sechs Gewehre zu kaufen, ganz
legal, und die notwendigen Lizenzen dazu erhielt, ist für Premierminister
Anthony Albanese trotzdem untragbar. Am Montag kündigte er an, [5][die
Waffengesetze noch mehr verschärfen zu wollen, „wenn nötig“.]
## Das jüngste Opfer war 10 Jahre alt, das älteste 87
Auf dem Rasen neben dem Pavillon stehen Techniker und Journalisten von
Fernsehcrews. „Bondi Beach“ ist das globale Nachrichtenthema Nummer eins.
Die Reporter berichten in alle Welt – deutsche, russische, chinesische und
koreanische Sprachfetzen sind zu hören.
Hinter dem Pavillon ist der Bondi Beach, der Ort, der eigentlich bekannt
ist für Lebensfreude, Ausgelassenheit, Sonne und Fröhlichkeit, für schöne
Lebensretter mit bronzefarbenen, muskulösen Körpern und Backpackerinnen in
knappen Bikinis. Doch heute ist der Strand fast leer. Wie die
Strandpromenade. Ein rot-blaues Band aus Plastik warnt: „Police – Keep
Out“. Weder Autos noch Busse dürfen fahren, wo sonst „Surfies“ mit ihren
Brettern parken, stehen Einsatzwagen der Polizei. Der Ort der Lebensfreude
hat an diesem Montag die Atmosphäre einer Leichenhalle.
In einem kleinen Zelt bietet ein Rabbi den Passanten geistliche Hilfe an.
Nur ein paar Meter entfernt starb am Sonntag der bekannte Rabbiner Eli
Schlanger im Kugelhagel. Eine „Stütze der Gemeinde“ sei er gewesen, steht
auf einem Plakat, ein Vater von fünf Kindern. Auch das Bild eines kleinen
Mädchens flattert im Wind. Matilda hat eine farbige Gesichtsbemalung – ein
Delfin. Das Foto muss kurz vor dem Attentat aufgenommen worden sein.
Chanukka sei vor allem ein Fest für Kinder, erklärt eine Frau. „Die freuen
sich immer so.“ Matilda war zehn Jahre alt, das älteste Opfer 87 Jahre.
[6][Alexander Kleytman] hatte den Holocaust überlebt, aber nicht die Kugeln
des Hasses in Bondi.
## Der Held von Bondi heißt Ahmed al-Ahmed
Hass: Trotz der melancholischen Stimmung ist dieses Gefühl in Bondi nicht
weit entfernt. Es steht in den Gesichtern der jungen Männer mit den Kippas,
und in dem von Tracy. Die Frau, etwa 60 Jahre alt, ist eine von wenigen,
die der Bitte des Journalisten für ein Interview folgt. Die meisten anderen
winken ab, wollen nichts mit Medien zu tun haben, die sie „nicht kennen“,
wie ein junger Mensch fast aggressiv sagt.
Tracy klagt, dass „die sich einfach nicht anpassen wollen“. Die, das seien
Muslime. Sie wollten „nur töten, nur hassen“. Dass auch das Worte des
Hasses sind, scheint sie nicht zu merken. Auch Muslime, wie alle
Neuankömmlinge, werden Australier, passen sich an – und das mit Stolz.
Deshalb ist das Land [7][eines der erfolgreichsten multikulturellen
Nationen]. „Nein“, sagt Tracy, „man sollte die alle rausschmeißen.“
Aber da ist doch der Held von Bondi, sagt der Reporter. „Wollen Sie den
auch rausschmeißen?“ [8][Die Bilder von dem Mann im weißen Hemd, der sich
selbstlos auf einen der Attentäter stürzte,] ihm die Waffe entriss und
dabei verletzt wurde, gingen um die Welt. Minuten später wurde er in den
sozialen Medien als Held zelebriert.
Doch dann wurde bekannt, dass der „Held von Bondi“ nicht Jack oder John
hieß, sondern Ahmed al-Ahmed, braun ist und Muslim. Schnell wurde es wieder
still auf Facebook. „Na ja“, sagt Tracy, etwas nachdenklich, als der
Journalist nachhakt. Aber eine Antwort gibt sie nicht.
## Anstieg rassistischer Anfeindungen
Hinter dem blauen Absperrband arbeiten die Forensiker weiter am Tatort. Es
sei die „größte und komplexeste“ Untersuchung der jüngeren Geschichte, sagt
ein Polizeisprecher. Sofort war in den Medien die Frage aufgekommen, ob
niemand im gigantischen Sicherheits- und Überwachungsapparat, der
Australien jedes Jahr Milliarden Dollar kostet, die Gefahr gesehen habe.
Der jüngere der Attentäter soll vor sechs Jahren wegen Verbindungen zum
Islamischen Staat überprüft worden sein. Medienberichte, nach denen im Auto
der Angreifer IS-Flaggen gefunden wurden, bestätigte die Polizei mit
Verweis auf laufende Ermittlungen nicht.
Tatsächlich hatte der Inlandgeheimdienst Asio erst vor Kurzem gewarnt, eine
Terrorgefahr bestehe „mit 50 Prozent Wahrscheinlichkeit“. Doch im Gegensatz
zu früheren Jahren ging der Geheimdienst nicht mehr nur von Islamisten als
potenziellen Tätern aus, sondern von Neonazis. Die hatten sich in den
letzten Monaten prominent in Szene gesetzt. Antisemitismus, Übergriffe
gegen Juden, verbale Attacken haben seit Beginn des Gazakrieges dramatisch
zugenommen.
Die Frage der Schuld kochte am Sonntagabend hoch, noch bevor das Blut der
Erschossenen im Rasen des Parks versickert war. Die Frage für Australien
ist jetzt, ob es gelingen wird, die Debatte zu führen, ohne weiter Hass zu
schüren.
Die Zeichen stehen nicht gut. Ausgerechnet aus Israel kommt eine Salve von
Beschuldigungen. [9][Ministerpräsident Benjamin Netanjahu warf Australien
vor], zu wenig gegen Antisemitismus getan zu haben. Die konservative
Opposition ging mit der derselben Rhetorik gegen Premierminister Anthony
Albanese vor. Muslime melden bereits einen erneuten Anstieg rassistisch
motivierter Anfeindungen.
Doch es gibt auch positive Zeichen: Der „Held von Bondi“, Ahmed al-Ahmed,
braun und Muslim, ist heute eine halbe Million Dollar reicher. So viel
haben Australierinnen und Australier an nur einem Tag gespendet, damit er
sich gut von seinen Verletzungen erholen könne.
15 Dec 2025
## LINKS
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(DIR) [6] https://www.tagesspiegel.de/internationales/er-wollte-in-meiner-nahe-bleiben-holocaust-uberlebender-alex-kleytman-unter-den-opfern-von-sydney-15051510.html
(DIR) [7] https://www.multiculturalaustralia.org.au/
(DIR) [8] https://www.bbc.com/news/articles/ce3wkey5p33o
(DIR) [9] /Terroranschlag-in-Australien/!6138157
## AUTOREN
(DIR) Urs Wälterlin
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