# taz.de -- Neuer Wehrdienst in Deutschland: Verweigern will gelernt sein
       
       > Der neue Wehrdienst lässt die Nachfrage nach Tipps wachsen, wie man
       > diesen umgeht. Zu Gast bei einem Berater:innen-Lehrgang der
       > Friedensgesellschaft.
       
 (IMG) Bild: In Stellung bringen: Die DFG-VK in Nordrhein-Westfalen berät junge Menschen, die nicht zur Bundeswehr wollen
       
       Angst allein ist kein guter Ratgeber, das muss selbst Joachim Schramm in
       diesen Tagen oft erklären. Er leitet die Landesgeschäftsstelle der
       Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte Kriegsdienstgegner:innen
       ([1][DFG-VK]) in Nordrhein-Westfalen. Schramm unterstützt sowohl angehende
       Berater:innen als auch Menschen, die im Ernstfall nicht kämpfen wollen.
       Und ja: Allein die Angst vor dem Krieg reicht dafür nicht, so verständlich
       sie auch ist. „Das müssen die jungen Leute verstehen“, sagt er.
       
       An einem Sonntagnachmittag Ende November sitzt Schramm zusammen mit 14
       Neu-Berater:innen unter dem Dach eines Altbaus im Dortmunder Norden. Das
       Haus beherbergt viele linke Projekte. Es ist die zweite Schulung dieser
       Art, bei der Schramm die Teilnehmenden darauf vorbereitet, junge Menschen
       zum Thema Wehrdienst zu beraten.
       
       Die Zahl der Verweigerer stieg in den letzten Jahren stetig an, zuletzt auf
       3.034 – ein Rekord seit der Aussetzung der Wehrpflicht 2011. Auch die
       Beratungsstellen spüren den Anstieg und bilden zusätzliche
       Berater:innen aus. Der Bedarf dürfte weiter großer werden.
       
       [2][Grund dafür ist das Anfang Dezember verabschiedete Wehrdienstgesetz].
       Es betrifft alle jungen Männer ab Jahrgang 2008. Sie müssen einen
       Fragebogen ausfüllen, sich mustern lassen und angeben, wie sie zum
       Wehrdienst stehen. Für viele wird es vermutlich das erste Mal sein, dass
       sie sich diese Frage stellen.
       
       ## Verweigerung als prägende Erfahrung
       
       Die Gruppe erinnert sich daran, wie es damals bei ihnen war. „Früher haben
       in meinem Bekanntenkreis alle Männer verweigert“, sagt eine Frau, die mit
       13 anderen angehenden Berater:innen der DFG-VK in dem kleinen Raum
       sitzt. „Oder sie sind nach Westberlin abgehauen. “ Auch Schramm hat
       verweigert, Ende der 1970er Jahre. Nach seiner eigenen Beratung wurde er
       schnell selbst Berater.
       
       Früher wie heute können sich alle, die nicht zur Bundeswehr wollen, auf den
       Artikel 4 Absatz 3 des Grundgesetztes berufen. Darin steht: „Niemand darf
       gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden.“
       Dieser Satz bildet die Grundlage für die Begründungsschreiben, in denen
       junge Männer ihre Verweigerung erklären.
       
       Für viele war die Verweigerung eine prägende Erfahrung. Das zeigt sich auch
       im Schulungsraum. Ein Mann erinnert sich nach über 40 Jahren noch an die
       Namen der Prüfer, die ihm damals gegenübersaßen. Er überzeugte sie – wie
       die meisten anderen im Raum. Die einzigen, die hier nicht verweigerten,
       sind Frauen.
       
       An diesen Beispielen zeigt sich, was heute anders ist: Zum einen können
       auch Frauen die Fragebögen der Bundeswehr ausfüllen und sich mustern
       lassen, allerdings freiwillig. Zum anderen tritt den modernen Verweigerern
       kein Mensch mehr gegenüber, alle Kommunikation läuft per Brief. Umso
       wichtiger ist deswegen ein überzeugendes Begründungsschreiben.
       
       ## Friedensbewegung bisher kein Thema bei Jungen
       
       Die DFG-VK, das stellt Schramm klar, hat ein Eigeninteresse, das schon im
       Namen steht. Sie sind Kriegsdienstgegner:innen. Und diese Haltung wollen
       sie an die jungen Menschen weitertragen.
       
       Schramm beobachtet eine neue Generation, die sich bislang nicht so sehr für
       Friedensthemen interessiert hat. Klimaschutz und Antifaschismus, das seien
       die Themen der Zeit. Doch seit Russlands Angriff auf die Ukraine drehe sich
       der Wind ein wenig: Die Verweigerungszahlen steigen seit 2022 leicht. Mit
       dem neuen Gesetz, glaubt Schramm, könnte die Friedensbewegung wieder an
       Bedeutung gewinnen.
       
       Diesen Hintergrund zu kennen, ist für die Berater:innen von morgen
       wichtig. Denn er bedeutet, dass sich die meisten Beratungssuchenden noch
       nicht weiter mit dem Wehrdienst beschäftigt haben. Was Schramm beobachtet:
       „Die Leute sagen oft, dass sie Angst vor dem Tod haben, dabei ist für die
       Verweigerung viel wichtiger, dass sie Angst vor dem Töten haben.“
       
       Bei allem Verständnis für diese Haltungen ist es also Aufgabe der
       Berater:innen, ganz neue Gedanken in den jungen Menschen hervorzurufen.
       Weil ein überzeugendes Begründungsschreiben individuell sein und aus dem
       Herzen kommen muss, geht das am besten durch Nachfragen. „Ein
       Beratungsgespräch ist keine Anleitung“, sagt Schramm, sondern ein Dialog.
       
       Dabei geht es um große Fragen wie „Hast du schon einmal eine
       Gewissensentscheidung getroffen?“ oder „Was fühlst du, wenn du an eine
       Waffe denkst?“. Gerade für junge Menschen ist das nicht nur ein Test,
       sondern kann sehr prägend sein. Schramm spricht von einer „Kultur der
       Verweigerung“, die er und andere früher gelebt hätten und die er nun
       wiederbeleben möchte.
       
       Dass es vonseiten der jungen Menschen Interesse daran gibt, zeigten zuletzt
       [3][die Schulstreiks gegen das neue Wehrdienstgesetz]. Dafür schwänzten die
       Schüler:innen den Unterricht – und bewiesen, dass sich die Klimabewegung
       und die vor Jahrzehnten geborenen Ideen der Kriegsdienstgegner:innen
       durchaus miteinander verbinden lassen.
       
       25 Dec 2025
       
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