# taz.de -- Handball-WM der Frauen: Sie muss die Welt nicht mehr allein retten
> Lange wirkte Jahrhunderttalent Emily Vogel erdrückt von Erwartungen. In
> neuer Rolle ist sie mit dem Halbfinaleinzug bei der WM da, wo sie hin
> will.
(IMG) Bild: Druck nicht mehr nur auf ihren Schultern: Emily Vogel
Emily Vogel spricht am Dienstagabend im Moment ihres größten Erfolges, des
Halbfinaleinzugs bei der Heim-WM, gleichermaßen bewegt und reflektiert über
ihre Entwicklung und die neue Rolle im Nationalteam. Sie wischt sich mit
den Händen über die geröteten Augen: „Es ist einfach nur schön. Wir sind
endlich [1][da, wo wir hinwollen]. Es fühlt sich an wie Gold.“
Seit sie den ungarischen Wasserballspieler Simon Vogel im Juni geheiratet
hat, ist Emily Vogel auf der Beliebtheitstreppe der sportbegeisterten
Nation noch ein Stück nach oben gestiegen. Bei Ferencváros hat die 27 Jahre
alte Buxtehuderin in dieser Saison zudem den Schritt zur Unersetzlichen
gemacht. „Vieles hat mich als Persönlichkeit reifen lassen“, sagt sie, „ich
kann inzwischen der Ruhepol auf dem Feld sein“.
Die [2][Frauen-Auswahl des Deutschen Handballbundes] (DHB) hat wiederum
überzeugend gewonnen, diesmal 30:23 gegen Brasilien. Die als „Generation
Viertelfinale“ bezeichnete Gruppe hat ihr Ziel erreicht – die Endrunde
einer Großveranstaltung: Am Freitag treffen Emily Vogel und ihre
Mitspielerinnen im Rotterdamer Halbfinale dieser Handballweltmeisterschaft
auf Frankreich oder Dänemark.
Dass Emily Vogel beim wichtigsten Auftritt der vergangenen Jahre fünf Tore
werfen und in Abwehr und Angriff zur überragenden Akteurin werden würde,
wirkte im März illusorisch. Bundestrainer Markus Gaugisch hatte sie für die
Tests gegen Frankreich ausgeladen. Damals war sie in Budapest nur zweite
Wahl.
## Von Verantwortung erdrückt
Sie hatte Turniere hinter sich, in denen die Verantwortung sie zu erdrücken
schien. Das niedersächsische „Jahrhunderttalent“ sollte zu viel, wollte zu
viel, musste zu viel. Das ging schief. Ein ums andere Mal. Bei den
vergangenen beiden Weltmeisterschaften scheiterte Gaugischs Gruppe im
Viertelfinale. Die enttäuschte Emily Vogel auf der Bank mit dem Handtuch
vor dem Gesicht symbolisierte dies.
„Emily hat phänomenal auf die Veränderung reagiert“, sagt Gaugisch nun. Mit
der Nichtberücksichtigung ging einher, dass er das Kapitänsamt an Antje
Döll weiterreichte. Im April standen Auftritte gegen Dänemark an; diesmal
wieder mit Emily Vogel. „Sie hat den Blick nach vorn gerichtet und
übernimmt Verantwortung“, sagt Gaugisch, „ich bin super zufrieden damit“.
Mit seiner Personalauswahl vom März lag Gaugisch goldrichtig. Denn daraus
folgte einiges: Andere sahen, dass kein großer Name Positionen blockiert.
Neue kamen hinzu. [3][Die Hierarchie ordnete sich um]. Und Emily Vogel
musste die Handballwelt nicht mehr allein retten.
Ihr Frühjahr war ungemütlich. Viele werteten die Ausbootung als Denkzettel
(was Gaugisch verneint). Man merkte in der Interviewzone der gesteckt
vollen Westfalenhalle jedoch, dass es in ihr brodelt, wenn sie nun nach
„Verantwortung“ gefragt wird. Da blitzen ihre Augen kämpferisch. Sie fragt
zurück: „Das ist doch nicht überraschend, oder? Das hat mich immer
ausgezeichnet. Ich übernehme gern die Führung.“ Neu ist dabei, dass sie
organisch führt, nicht mehr selbstbestimmt. Das erzeugt Gruppenharmonie.
Und fließt als Nutzen in eine Turnierleistung mit sieben vorzeigbaren
Siegen in sieben Spielen ein. Profiteure der stabilen Grundordnung sind die
jungen Nieke Kühne, Viola Leuchter und die am Dienstag, als es noch einmal
eng wurde, überragende Nina Engel (vier Tore).
Während Vogel, Alina Grijseels, Antje Döll und Xenia Smits nach der
Schlusssirene Tränen der Freude und Erleichterung vergossen, wirkten
Leuchter und Co cool. „Ich habe zu Nieke Kühne gesagt: Na toll, jetzt bist
du einmal dabei und gleich im Halbfinale“, erzählte die 37 Jahre alte Antje
Döll (sechs Treffer) fröhlich. Die Generationenmischung tut dieser Gruppe
einfach gut, auf dem Feld und daneben.
Als der Jubel mit dem anwesenden BVB-Präsidenten Hans-Joachim Watzke – er
zeichnete Torhüterin Katharina Filter als Spielerin des Spiels aus – und
Männernationaltrainer Alfreð Gíslason in der tosenden, altehrwürdigen Arena
vorbei war, zog ein rundum zufriedener Markus Gaugisch Bilanz. Dabei war
ihm eines wichtig: Die Misserfolge der vergangenen Jahre seien „ein
handballerisches, kein mentales Thema“. Nicht „die Nerven“ hätten sein Team
verlässlich scheitern lassen. Sondern der falsche Wurf, die unpassende
Position in der Abwehr, das Verlassen von Plänen. Da hat er angesetzt und
Systeme verändert. Gleichermaßen sind seine Joker besser und zu
Stammspielerinnen in ihren Klubs geworden – und Emily Vogel ist einen
Schritt zurückgegangen, um dann zwei nach vorn zu machen.
10 Dec 2025
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