# taz.de -- Nikolaustag in der Ukraine: Kinderfest in Odessas Katakomben
       
       > In den Tunneln unterhalb der Millionenstadt haben Anwohner:innen eine
       > „Residenz des Nikolaus“ eingerichtet. Das soll Kindern eine Pause vom
       > Krieg gönnen.
       
 (IMG) Bild: Ein kurzer Moment der Freude: Der Nikolaus verteilt Geschenke an die Kinder von Nerubajske
       
       Nikolaustag ist für Kinder immer etwas Besonderes. Doch für die Kinder von
       Nerubajske, einer Kleinstadt vor den Toren von Odessa im Süden der Ukraine,
       gibt es in da noch eine weitere Eigenheit. Denn in Nerubajske befindet sich
       der Eingang in die Katakomben von Odessa. Und genau hier, in dem
       unterirdischen Tunnelsystem, haben aktive Bürgerinnen zusammen mit der
       Stadtverwaltung 2021 eine „Residenz des Heiligen Nikolaus“ eingerichtet.
       
       [1][Odessas] Katakomben gelten als die umfassendsten weltweit. Gut tausend
       Menschen haben sich am 6. Dezember auf dem Platz vor dem Eingang in die
       Unterwelt eingefunden. Auf einer Bühne wird getanzt und gesungen. Erst 2023
       wurde in der Ukraine das Datum des traditionellen Festes dem westlichen
       Kalender angepasst – vorher wurde der Nikolaustag am 19. Dezember gefeiert,
       wie es in Russland der Fall ist.
       
       Der eigentliche Höhepunkt für die Kinder beginnt am frühen Nachmittag.
       Aufgeregt bewegen sie sich in Gruppen von jeweils zehn durch den mit Kerzen
       und Lampen beleuchteten Gang mehrere hundert Meter Richtung Residenz. Der
       Gang ist so weit unter der Erde, dass kein Mobilfunk mehr funktioniert.
       Zwischen den Lampen hängen Bilder einheimischer Künstlerinnen von Häusern
       und Schlössern, deren Fenster in der Dunkelheit fluoreszieren. Im Gegensatz
       zu den Erwachsenen müssen die Kinder in dem unterirdischen Gang nicht hin
       und wieder ihren Kopf einziehen.
       
       Sie haben die Ehre, den Heiligen Nikolaus direkt an seinem Sitz aufsuchen
       zu dürfen. Der drückt jedem Kind persönlich eine kleine Tüte voller
       Süßigkeiten in die Hand. Nicht alle bekommen die begehrten Geschenke
       sofort. Manche müssen erst noch ein Lied singen, ein Gedicht aufsagen oder
       von ihren schulischen Leistungen berichten, bevor der Mann mit dem weißen
       Bart und den langen weißen Haaren ihnen das Säckchen in die Hand drückt.
       
       ## Etwas tun für das „psychische Überleben“
       
       „Warum feiern in diesen Zeiten, fragen sich manche“, so die Organisatorin
       Swtilana Ganitsch gegenüber der taz. „Nun, für mehrere Stunden haben wir,
       haben die Kinder nicht an den Krieg gedacht, weil wir so von der
       Nikolausfeier begeistert waren“, erklärt sie. Es sei wichtig, auch was für
       das „psychische Überleben“ der Menschen und vor allem der Kinder zu tun.
       Dieses Jahr hätten über 300 Kinder aus der Gegend die Residenz des Heiligen
       Nikolaus besucht. „Und jedes Jahr werden es mehr“, sagt die Organisatorin.
       
       Switlana Ganitsch und ihre Mitstreiterinnen in Nerubajske sind nicht die
       einzigen, die an diesem Tag sozial aktiv sind. Rund um den Tag des heiligen
       Nikolaus gibt es in der Ukraine zahlreiche Hilfsaktionen, die Kindern
       gefallener Soldaten, Binnenflüchtlingen und sozial benachteiligten Familien
       Wärme und Unterstützung schenken.
       
       Viele Projekte erfüllen persönliche Wünsche, sammeln Spenden für Geschenke
       und ermöglichen es Freiwilligen, einzelne Wunschzettel zu übernehmen. Im
       Mittelpunkt dieser Hilfsprojekte stehen Kinder, die durch den Krieg einen
       Elternteil verloren haben oder frontnah leben.
       
       ## Pläne für bessere Zeiten
       
       Bürgermeister Oleg Mischagli ist von der Feier vor und in den Katakomben
       begeistert. Er hat große Pläne für seinen Gemeindeverband – nach dem Krieg.
       Unter anderem will er den Tourismus fördern, einen Technologiepark
       einrichten, Investoren heranholen. „Ich denke, der Ortsverbund Nerubajske
       hat gute Perspektiven. Schon jetzt im Krieg wirtschaften wir so, dass wir
       nicht auf staatliche Subventionen angewiesen sind“, sagt Mischagli
       gegenüber der taz. Auch verkehrstechnisch sei man gut angebunden – an
       Odessa und an die Schnellstraße [2][nach Kyjiw]. Die Katakomben seien immer
       ein Anziehungspunkt für Touristen im Raum Odessa gewesen.
       
       Sagenumwoben ist das Tunnelnetz, das Schmugglern, Revolutionären,
       Menschenhändlern, Deserteuren, religiösen Minderheiten, Freimaurern,
       Partisanen und zuletzt Menschen, die sich in den letzten fast vier Jahren
       vor russischen Luftangriffen fürchteten, Unterschlupf bot. Rasant hatte
       sich die Stadt Odessa Anfang des 19. Jahrhunderts ausgeweitet. Angelockt
       durch die sehr niedrigen Steuern und den Ausbau des Hafens musste schnell
       viel Wohnraum geschaffen werden.
       
       Und warum Baumaterial aus der Ferne heranschaffen, wenn man es direkt vor
       Ort aus dem Boden holen kann, hatten sich die Stadtoberen gesagt. Denn
       unter der Stadt lagen wertvolle Rohstoffe: gelb-beiger Kalkstein. Indem in
       der Folge Unmengen Stein aus der Erde geholt wurden, entstanden die Gänge
       unterhalb von Odessa – ein Tunnelsystem, das insgesamt 2.500 Kilometer lang
       ist. Dies ist auch der Grund, warum die Millionenstadt nie eine eigene
       U-Bahn haben wird.
       
       Laut Bürgermeister Mischagli werde schon jetzt an einer Werbekampagne für
       Besuche für die Zeit nach dem Krieg gearbeitet. Unter anderem habe man eine
       3D-Show der Katakomben erstellt, so der Politiker. Er hoffe sehr, dass mit
       einer wirtschaftlichen Wiederbelebung der Stadt auch viele Bewohner wieder
       nach Nerubajske zurückkehren werden. Kriegsbedingt hätten 25 Prozent der
       Einwohner den Ort verlassen.
       
       7 Dec 2025
       
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