# taz.de -- Dokumentarfilm „Weltkarriere einer Lüge“: Wie eine Verschwörungstheorie zum Bestseller wurde
       
       > Der Film „Weltkarriere einer Lüge“ erkundet den Erfolg der „Protokolle
       > der Weisen von Zion“. Von Hitler bis zur Hamas hatte das Buch begeisterte
       > Leser.
       
 (IMG) Bild: Irgendetwas hat wohl alles im Blick: Mit Bildern schüren „Die Protokolle der Weisen von Zion“ bis heute das Gerücht über die Juden
       
       Wie konnte sich eine obskure Schrift ungeklärter Herkunft, entstanden vor
       zirka 120 Jahren, bis heute über die ganze Welt verbreiten? Dieser Frage
       geht der mehrfach ausgezeichnete Dokumentarist Felix Moeller in seiner
       neuen filmischen Arbeit „Weltkarriere einer Lüge – die Protokolle der
       Weisen von Zion“ nach. Er zeigt darin, wie jene vielfach beschworenen
       Protokolle eine Blaupause für die allzu geläufige Vorstellung einer
       jüdischen Weltverschwörung werden konnten.
       
       Moeller beschäftigt sich in seinen analytisch und oft archivlastig
       gefassten Dokumentarfilmen gerne mit Themen der deutschen Geschichte, mit
       Filmgeschichte, Erinnerungskultur, Propaganda und Antisemitismus. Mit
       letzterer Kategorie befasste sich der Historiker zuletzt 2022 in „Jud Süß
       2.0“, einer Auseinandersetzung mit altem NS- und neuem
       Online-Antisemitismus, in dem er einen besonderen Fokus auf antisemitische
       Bildsprache legte.
       
       In seiner neuen Dokuarbeit spürt Moeller nun der Frage nach, wie –
       ausgehend von den sogenannten Protokollen der Weisen von Zion – die
       „wirkmächtigste Verschwörungsideologie aller Zeiten“ in Erscheinung treten
       konnte, zitiert von den Verbrechern des NS-Regimes über zeitgenössische
       russische Propagandisten bis hin zur Hamas, den palästinensischen Mördern
       vom 7. Oktober.
       
       Moellers strukturierte historische Herleitungen, seine reflektierte
       Bildsprache sowie kritische Distanz zum Material sind eine Wohltat in
       Zeiten, in denen auch von journalistischer Seite an Dokumentarfilme
       mitunter der Appell herangetragen wird, „Haltung“ zu zeigen und allzu
       deutlich moralisch Position zu beziehen und der Zuschauerschaft diese
       agitatorisch vorzukauen.
       
       An einer Bevormundung seines Publikums ist Moeller dabei so wenig gelegen
       wie an einer Vergröberung seiner Thematik. So zeigt sein Film „Weltkarriere
       einer Lüge“, auf welchen direkten wie indirekten Wegen die
       Verschwörungserzählung Einzug hielt in die Reden Hitlers, Goebbels’ und
       anderer Nazi-Größen, die sich des Fälschungscharakters der Protokolle teils
       bewusst waren.
       
       Hitler zitiert die Protokolle in „Mein Kampf“ und hält sie offenbar für
       authentisch. Goebbels spricht dagegen von einer „inneren Wahrheit“, die dem
       Text innewohne, bewusst von keiner sachlichen. Die Parteigrößen wussten
       natürlich um die Wirkmächtigkeit der Verschwörungsideologie.
       
       Diese, ausgehend vom zaristischen Russland, erfasste Westeuropa und
       schließlich die ganze Welt. Als anknüpfungsfähigste Komponente erwies sich
       stets die von den Protokollen ausgehende Insinuation, Juden würden sich in
       verschwörerischer Manier verabreden, die jeweils bestehende
       gesellschaftlich-staatliche Ordnung zu zerrütten und schlussendlich zu
       zerstören.
       
       Das Ziel der dergestalt angenommenen jüdischen Verschwörung: die
       Weltherrschaft zu erlangen. Den manipulierten Nichtjuden kommt in dieser
       Vorstellung eine besondere Rolle zu, nämlich den jüdischen Kräften zur
       Macht zu verhelfen.
       
       ## Auf Onlineplattformen weiter verbreitet
       
       Lange Zeit galt die russische Geheimpolizei im zaristischen Russland als
       möglicher Urheber der Protokolle. Das Hervorgehen einer antizionistischen
       Internationalen scheint aus dieser Perspektive besonders plausibel.
       
       Felix Moellers Film zeigt entlang der Aussagen von Experten wie dem
       einschlägig forschenden Michael Hagemeister sowie Rudy Reichstadt von
       Conspiracy Watch, dass ebenso eine französische Provenienz des Textes
       infrage kommt. Das Original hätte dann eine nachträgliche Übersetzung ins
       Russische erfahren.
       
       So oder so entwickelte sich die hanebüchene Schrift zu einem
       internationalen Bestseller, der sich bis heute auch auf renommierten
       Onlineplattformen seiner Verbreitung erfreut. Zeitweise war, das zeigt
       „Weltkarriere einer Lüge“, das Buch bei Apple Books zum Download erhältlich
       – zum Schnäppchenpreis von 1,49 Euro.
       
       ## Importierter Judenhass
       
       Versatzstücke der Ideologie fanden sich unter anderem auch beim Attentäter
       von Halle wieder, der den fanatischen Glauben unterhielt, dass Juden das
       deutsche Volk vernichten wollten. Selbstredend erfahren die Protokolle in
       Kreisen einer weltweiten Rechten eine unausgesetzt eifrige Rezeption.
       
       Doch die Wirkmacht dieser Verschwörungsideologie und ihrer vielgestaltigen
       Ableger beschränkt sich nicht auf rechtsradikale Kreise. Besonders breit –
       das zeigt Moellers so informative wie sehenswerte Dokumentation – wurde das
       Dokument ab der Zwischenkriegszeit im arabischen Raum rezipiert.
       
       Christliche Priester in Kairo hatten das Dokument ins Arabische übertragen.
       Von dort aus gelangte es nach Ostjerusalem, in die Gefilde des
       [1][Großmuftis al-Husseini, des autoritären Anführers der palästinensischen
       Nationalbewegung].
       
       In seiner gewaltsäenden Agitation berief Husseini sich immer wieder auf die
       Protokolle. Die dienten schließlich auch der ideologischen Gemeinschaft der
       Muslimbruderschaft als Basis ihrer judenfeindlichen Agenda. Moeller zeigt,
       wie der spätere ägyptische Staatschef Gamel Abdel Nasser die Schrift für
       seinen antikolonialen Befreiungskampf aufgriff und wie sie schließlich im
       Artikel 32 der Hamas-Gründungscharta Einzug hielt.
       
       ## Antisemitismus als Brückenideologie
       
       Doch beschränkt sich der Einfluss der Protokolle beileibe nicht auf
       islamistische Kreise. Die Schrift erfreut sich in Buchhandlungen quer durch
       den arabischen Raum großer Beliebtheit. Bei der Eröffnung der Bibliothek
       von Alexandria 2002 wurde sie – in zweifelsfrei perfider Absicht – als
       genuiner Beitrag jüdischer Kultur gewürdigt und präsentiert.
       
       Im Jahr 2004 gab die Palästinensische Autonomiebehörde ein Geschichtsbuch
       heraus, [2][das die Protokolle als seriöse Quelle auswies]. Finanziert
       wurde diese Publikation von der Europäischen Union.
       
       Die [3][Antisemitismusforscherin Monika Schwarz-Friesel] zitiert Moellers
       Film mit der Aussage, die sie kurz nach dem 7. Oktober tätigte: „Die
       Menschheit hat nach Auschwitz nichts gelernt.“ Moellers Doku schlägt an
       diesem Punkt einen vielleicht etwas zu umfänglichen Bogen aus dem Nahen
       Osten in die Verschwörerszene im Web und auf zunehmend unregulierten
       Plattformen wie X und auch Meta.
       
       Sein Verdienst ist dabei aber, dass der Filmemacher aufzeigt, dass moderner
       Antisemitismus im Verschwörungsgewand mitnichten eine Domäne Ungebildeter
       ist. Im Gegenteil, gerade bei einer gut vernetzten, popkulturell
       aufgeschlossenen Userschaft erfreut sich die Ideologie, die hinter
       sämtlichen Negativerscheinungen unserer Zeit das finstere Wirken von
       Zionisten wähnt, großer Beliebtheit.
       
       ## Eine trübsinnige Melange
       
       [4][Popgrößen wie Kanye West], der Deutschrapper Kollegah, Xavier Naidoo
       bedienen sich ihrer ebenso wie Tech-Milliardär Elon Musk. Zionismus und
       Zionisten erscheinen in diesen Kontexten vielmehr als Codewörter denn als
       beschreibende Kategorien.
       
       Das vermeintliche Schimpfwort Zionist zischt heute bekanntlich besonders
       gerne jene trübsinnige Melange aus dogmatischer Linken und autoritärer,
       islamistischer Straßenbewegung zwischen den Zähnen hervor, wo und wenn
       eigentlich etwas anderes gemeint sein soll.
       
       Befeuert werden derlei scheinbar inkompatible Allianzen im Netz, wo
       Antisemitismus immer wieder als eine Art Brückenideologie zwischen
       politischen Lagern in Erscheinung tritt, oftmals in einer Gestalt, die ihre
       Wurzeln in den Protokollen aufscheinen lassen.
       
       Felix Moellers konzentrierte Auseinandersetzung mit dem Thema lässt wenig
       Spielraum dafür, dass sich diese Negativentwicklungen mithilfe von Vernunft
       und Gegenaufklärung allein lösen lassen, vielmehr deutet er die
       Notwendigkeit einer gewissen Repression im Umgang mit gewaltbereitem,
       eliminatorischen Antisemitismus und dessen zunehmend KI-gestützter
       Verbreitung im Netz an.
       
       2 Dec 2025
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Die-Nazis-und-die-islamische-Welt/!5492317
 (DIR) [2] https://www.gei.de/forschung/projekte/analyse-palaestinensischer-schulbuecher-paltex/faq-antworten-auf-haeufig-gestellte-fragen
 (DIR) [3] /Antisemitismus-im-Internet/!5518218
 (DIR) [4] /Liste-antisemitischer-Vorfaelle/!5905773
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Chris Schinke
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Dokumentarfilm
 (DIR) Antisemitismus
 (DIR) Verschwörungsideologie
 (DIR) Bestseller
 (DIR) Protokolle
 (DIR) GNS
 (DIR) Antisemitismus
 (DIR) Dokumentarfilm
 (DIR) Filmfestival
 (DIR) Schwerpunkt Berlinale
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Kriminalitätsstatistik in Deutschland: Antisemitische Straftaten nehmen wieder ab
       
       Die Zahl antisemitischer Straftaten ist zurückgegangen. Das geht aus der
       Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linkspartei hervor.
       
 (DIR) Dokumentarfilm „A Letter to David“: Ist Hoffnung eine Pflicht?
       
       „A Letter to David“ von Tom Shoval widmet sich dem von der Hamas entführten
       Schauspieler David Cunio. Der Film vereint ihn fiktiv mit seinem Bruder.
       
 (DIR) Jüdisches Filmfestival: Desillusionierung durch historische Erkenntnis
       
       Beim Jüdischen Filmfestival Berlin-Brandenburg untersucht eine Sonderreihe
       antisemitische Kontinuitäten nach Öffnung des Eisernen Vorhangs 1989.
       
 (DIR) „Bedrock“ von Kinga Michalska: Belasteter Boden
       
       Der Film „Bedrock“ von Kinga Michalska spürt den Menschen nach, die auf den
       Ruinen von KZs in Polen leben. Über Orte, auf denen die Geschichte lastet.