# taz.de -- Buch über ältere Künstlerinnen: Der lange Weg zum eigenen Werk
       
       > Verena Lueken porträtiert ältere Regisseurinnen, Autorinnen und
       > Künstlerinnen. Oft dauerte es in ihren Karrieren, bis sie an den Männern
       > vorbeikamen.
       
 (IMG) Bild: Frau sollte auch uncharmant altern dürfen: Vivian Gornick bei einer Buchvorstellung in New York
       
       Jung bleiben aus Angst vor dem Alter? Klingt wie ein Witz, doch der
       Schrecken dahinter, vielleicht eher ein Grauen, lässt nicht auf sich
       warten, wenn man ins Nachdenken kommt. Verena Lueken hat alte Frauen
       besucht und über sie geschrieben, und sie hält das Nachdenken knapp, was es
       aber eindringlich macht.
       
       „Bei Männern nivelliert die Veränderung der äußeren Erscheinung über die
       Zeit in der öffentlichen Wahrnehmung nicht die Persönlichkeit – den
       Intellekt, die ihnen entgegengebrachten Gefühle oder ein Begehren. Ihre
       Meinung ist nicht weniger gefragt, wenn die Haare ausgehen und der Bauch
       schwillt, im Gegenteil. Bei Frauen wohl.“
       
       Diese Beobachtung ist so selbstverständlich, dass sie das Wundern
       erschwert. Sich eine Welt zu denken, in der das Alter die weibliche Hälfte
       der Menschheit nicht degradiert, seit wann ist das fast unmöglich? Für
       Lueken seit „dem Jugendwahn, den uns das 20. Jahrhundert mit dem
       Konsumismus eingebrockt hat, und der mit der sexistischen Fixierung auf den
       Frauenkörper eine, so scheint es, kaum auflösbare Allianz eingegangen ist.“
       Und damit Ende der Theorie.
       
       Denn Lueken ist an alten Frauen interessiert, die praktizieren. Deren Werk
       sie schätzt, die ihr in den Jahrzehnten als Kritikerin und Korrespondentin
       für die FAZ aufgefallen sind: Choreografinnen wie [1][Lucinda Childs] und
       Katharine Sehnert, bildende Künstlerinnen wie Carmen Herrera und Isabella
       Ducrot, Autorinnen wie [2][Jane Campbell] und Ulrike Edschmid,
       Regisseurinnen wie Jeanine Meerapfel und Ulrike Ottinger.
       
       ## Sie sprechen nicht viel darüber
       
       Späte Karrieren und lange Wege; manchmal ein spektakulärer Beginn, bevor es
       wieder mühsam wurde, öfter ein stetiges Arbeiten im Schatten männlicher
       Stars, bis Ruhm und Anerkennung kamen. Im Regelfall – eine statistische
       Gemeinsamkeit, die wohl nicht zufällig ist – eben dann, als die Phase der
       „woman of a certain age“ (Gebärfähigkeit vorbei) überwunden und das
       spektakuläre Alter (wow! die lebt und arbeitet noch immer?) erreicht worden
       ist.
       
       Die von Lueken Besuchten sind allesamt über Achtzig, nicht wenige um die
       Hundert, und „jede von ihnen hat erlebt, wie eine Gruppe junger Männer die
       Bühnen und Bürgersteige in Beschlag nimmt, und keiner von ihnen zur Seite
       tritt, um sie vorbeizulassen. Aber sie machen die Ignoranz der anderen
       nicht zur Grunderfahrung ihres Lebens“. Sprich: Sie sprechen nicht viel
       darüber.
       
       Die Kaum-oder-nicht-Beachtung ist keine Ressource für Gram, sondern für
       persönliche Freiheit. Und diese alten Frauen reden auch nicht viel übers
       Alter. Das Leben ist interessanter als der bevorstehende Tod, die
       verbleibenden Jahre werden genutzt – jedoch nicht als Restlaufzeit, sondern
       als die gegenwärtige Epoche.
       
       Dieser Pragmatismus verhindert Pathos und Sentimentalität; vielleicht sind
       die auch schwer zu inszenieren, wenn man Lueken gegenübersitzt, deren
       Interesse immer auf die Arbeit selbst und deren Beweggründe zielt und das
       auf Wohlwollen nicht angewiesen ist.
       
       ## Trillerpfeifen sind politisch
       
       In der Begegnung mit [3][Vivian Gornick], „The Odd Woman“, zeigt sich das
       besonders kantig und mit Humor. Die Mitbringsel – biologisch einwandfreie
       Äpfel und fancy Konfekt – werden achtlos zur Seite gelegt, ein Glas Wasser
       (oder gar Tee) nicht angeboten. Und doch entsteht an diesem Nachmittag in
       Manhattan ohne jede Gemütlichkeit das eindrückliche Bild einer New
       Yorkerin, die seit Jahrzehnten durch ihre Heimatstadt flaniert und ein
       feministisches Autorenleben führt.
       
       „I read, I eat, I walk, I talk – thatʼs all I do.“ In den Siebzigern war
       die Stadt „wirklich sehr gefährlich, für Frauen besonders. Aber wir wollten
       nicht zu Hause sitzen, sondern haben Trillerpfeifen eingesteckt und sind
       rausgegangen. Das war eine politische Aktion.“
       
       In der Tat, die Reihe männlicher literarischer Flaneure, von Walter
       Benjamin bis Peter Kurzeck, ist lang. Seit wann und unter welchen
       Bedingungen gibt es Flaneusen? Es sind auch solche Fragen, die, beiläufig
       und um so wirksamer in Luekens klarer und anschaulicher Prosa, ihre
       Porträts zu einer Welterweiterung und zu einer klugen Freude machen.
       
       27 Nov 2025
       
       ## LINKS
       
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