# taz.de -- Theater Freiburg mit urbanem Spirit: Der Krüge queerster ist entzwei
> Regisseurin Yana Eva Thönnes feiert in Freiburg eine düstere Pyjamaparty
> mit Scherben von Kleist. Ihre Zerbrochene-Krug-Fassung hat
> Signalcharakter.
(IMG) Bild: Den Garten hat Bühnenbildnerin Katharina Pia Schütz als vereiste Ebene gestaltet. Über die bewegen sich Spieler*innen barfuß
Muss denn diese Vergewaltigungsszene sein? Wahrscheinlich schon. Die
Girlie-Horde in zarten Nachthemden stürzt sich auf Jana Baldovino, die im
Theater Freiburg den Part von Schreiber Licht aus Heinrich von Kleists „Der
Zerbrochene Krug“ spricht. Sie wirkt verängstigt: Das Durchkitzelspiel der
Übernachtungsparty bei Eve läuft aus dem Ruder.
Die Angreifer*innen können sich einfach nicht bremsen. Irgendwann ist
die Attacke vorbei und der Mädchenabend, den Yana Eva Thönnes statt der
guten alten Gerichtsdramenhandlung inszeniert hat, geht weiter, als wäre
nichts gewesen. Vielleicht ist die Rückkehr der Routine das Schlimmste.
Freiburg, „Zerbrochener Krug“, das [1][hätte langweilig werden können]. Es
erweist sich aber als kluge Standortbestimmung zum Auftakt [2][der
Intendanz von Felix Rothenhäusler]. Freiburg ist als Oberzentrum des
ländlichen Schwarzwalds der Tradition, als Stadt einer Uni von Weltruf
[3][der Avantgarde verpflichtet].
Hier muss Theater die kulturellen Friktionen der Gegenwart ertragen – und
mit ihnen umgehen. Es hat daher etwas von einem Signal, die erste
Klassikerproduktion der Intendanz ausgerechnet in die Hände von Thönnes zu
geben.
Die Regisseurin hat sich nach eigenem Bekunden vorher für Klassiker nicht
interessiert. Jetzt bringt sie einen zur Aufführung, bleibt sich aber treu:
Statt vorsichtig ins Hohlgefäß hineinzuhorchen, hat sie gemeinsam mit
Dramaturgin Katrina Mäntele Kleists Vergewaltigungsschwank von 1806
zerdeppert und den Schrott der Überlieferung abgeräumt.
## Kleist zerdeppern
Weg also mit Kleists Zoten. Es gibt auch keinen Gerichtssaal. Die
erzählerische Stringenz und die Personen verunklaren: Nur als ungute
Erinnerung, von Laura Palacios cool auf die Geste des Manspreading
reduziert, tritt Dorfrichter Adam in Erscheinung. Der Prozess, in dem er
jemanden für die titelgebende Sachbeschädigung verurteilen soll, die er
selbst begangen hat, bleibt Skizze. Dazwischen Kissenschlacht.
In den Mittelpunkt rückt die Tat. Und Ort der Handlung ist das
Mädchenzimmer von Eve. Dessen Fenster öffnen nach hinten auf ein
albtraumschwarzes Lointain. Die Gazevorhänge [4][entbergen es eher], als es
zu verhüllen.
Katharina Pia Schütz hat den Garten als vereiste Ebene gestaltet. Die
Spieler*innen durchqueren sie barfuß, mal rennend, mal kriechend auf
allen Vieren. Manchmal fällt Schnee. Manchmal ziehen sie übergroße
Bipolarbären aus Teddy hinter sich her, tragen selbst Bärenmasken.
## Keine männlich gelesenen Spieler
Rothenhäusler war bis zur Übernahme der Intendanz Hausregisseur in Bremen.
Die so traurig vor der Zeit zu Ende gegangene Ära von Intendant Michael
Börgerding (1960–2025) hat seine sehr entschiedene Ästhetik stark geprägt.
Aus Bremen hat er nicht nur eine Untersee-Ausstellung im zweiten Rang und
die schräge Musicalproduktion „Wasserwelt“ mitgenommen, sondern auch eine
große Zahl dort schmerzlich vermisster Akteur*innen für ein sehr
diverses und vielfach genderfluides, kurz ein urbanes Ensemble in den Süden
gelockt.
Das passt zum Regieansatz. Thönnes lässt keinen männlich gelesenen Spieler
auftreten. Und ihr Cast wirkt superjung: Wie einen sperrigen Fremdkörper
bewegen die Akteur*innen Kleists Blankverse im Mund. Sie erscheinen so
ganz ausdrücklich als ein artifizielles Idiom von gestern. Bei der
amerikanischen Philosophin bell hooks heißt es einmal, die Rückeroberung
von Intimität und [5][„eine Erholung vom Trauma“ seien möglich, wenn die
Unterdrückten die Sprache der Unterdrückung übernehmen].
Eine Dynamik der Aneignung und Ermächtigung setzt Thönnes recht brüsk in
Gang: „Hier bestimme ich“, ruft Jorid Lukaczik als Eve gleich zu Beginn.
Klar, als Gastgeberin legt sie die Spielregeln fest. Aber es ist zugleich
bitter-ironisch, weil es ja darum geht, wie sie, Eve, ihrer
Selbstbestimmung beraubt wurde, im vermeintlichen Safe Space des eigenen
Raums, der jetzt ein Tatort ist.
## Wer Kleist will, kann ihn ja lesen
Überraschend viele Textscherben und Szenenfragmente des Kleist’schen
Originals blitzen dann doch noch auf. Selbst das nervige Lamento der Marthe
Rull, der Mutter von Eve, die zürnt, dass der Krüge schönster entzwei sei,
fällt nicht aus. So gelingt es, im Spiel die Verletzung, das Intimste, das
Eigenste zu einer Sprache zu bringen, die nicht die eigene ist.
Mit Kleists Anliegen hat das nicht viel zu tun. Wer sich für das
interessiert, [6][darf gerne den Text lesen]. Die Produktion nutzt ihn
nicht als Vorlage, sondern als abstrakten Bezugspunkt – für ein
gegenwärtiges Anliegen. Das sorgt intertextuell für Spannung. Und auf der
Bühne für heutiges, sehenswertes Theater.
3 Dec 2025
## LINKS
(DIR) [1] /Theater-in-Bremen/!5173664
(DIR) [2] /Theater-Bremen-fuehrt-Mr-Robot-auf/!5386029
(DIR) [3] /Neue-Bewegung-Studis-gegen-Rechts/!6060381
(DIR) [4] https://www.youtube.com/watch?v=3goPOfcu-JI
(DIR) [5] https://archive.org/details/teachingtotransg0000hook
(DIR) [6] /Urheberstreit-um-Kleist-Ausgaben/!5095827
## AUTOREN
(DIR) Benno Schirrmeister
## TAGS
(DIR) Rape Culture
(DIR) Heinrich von Kleist
(DIR) Schauspiel
(DIR) Uni Freiburg
(DIR) Freiburg
(DIR) Theater
(DIR) Intendant
(DIR) Goethe
(DIR) Bremer Theater
## ARTIKEL ZUM THEMA
(DIR) Bremer Theater-Intendant gestorben: Der Tod von Michael Börgerding ist einfach nur traurig
Ein Theatermann der das Rampenlicht mied: Michael Börgerdings Superkraft
war es, Talente zu erkennen und ihrer künstlerischen Arbeit Räume zu geben.
(DIR) Goethes „Faust“ am Theater Bremen: Mindfuck mit Kondom
Felix Rothenhäuslers „Faust“ setzt in Bremen auf die Rahmentexte Widmung,
Vorspiel und Prolog. Siegfried W. Maschek sagt die Verse alleine auf.
(DIR) Theaterstück „Trüffel Trüffel Trüffel“: Raffinesse mit Vollgas
Theaterregisseur Felix Rothenhäusler hat schon lange vor Corona auf Abstand
inszeniert. Darum sieht's am Bremer Theater auch nicht nach Notlösung aus.