# taz.de -- 140 Jahre Berliner Kongokonferenz: Das Ringen um Seelen und Erden
       
       > Die Ausstellung „Desacta“ bei Savvy Contemporary schlägt ein neues
       > künstlerisches Kapitel zum Umgang mit dem kolonialen Erbe auf.
       
 (IMG) Bild: Arbeiten von Studierenden und Absolvent:innen der HfG Karlsruhe
       
       140 Jahre ist die Berliner Kongo- bzw. Afrikakonferenz mittlerweile her,
       ein Treffen der europäischen Großmächte sowie der USA und des damaligen
       Osmanischen Reiches, bei dem die Aufteilung des afrikanischen Kontinents
       beschlossen wurde. Die Folgen sind bis heute spürbar: willkürliche
       Grenzziehungen, die zu immer neuen Kriegen führen, Ausbeutung von
       Bodenschätzen, Zerstörung traditioneller Bindungen. Die im Wedding
       angesiedelte [1][Kunst- und Diskursplattform Savvy Contemporary] rückt mit
       der Ausstellung „Desacta“ die Folgen des Raubs von materiellen und
       spirituellen Ressourcen in den Fokus.
       
       „Es geht uns um einen Gegenzauber gegen diese Konferenz“, sagt Hajra Haider
       Karrar, eine der fünf Kurator*innen der Ausstellung. Der Vertrag hat
       „einen enormen Einfluss auf Geografie, Ökonomie und Gesellschaft“ ausgeübt.
       Mit der Ausstellung sollen „die zerstörte Natur, die entnommenen Ressourcen
       und auch die entweihten Mythologien geehrt“ werden, so Karrar.
       
       Das Dokument, die Kongoakte, umfasste nur 32 Seiten im Reichsgesetzblatt
       1885. Unterzeichnet wurde es in der damaligen Reichskanzlei in der
       Wilhelmstraße. Heute steht an dieser Stelle ein Plattenbau aus
       spätsozialistischen Zeiten. Eine Infotafel auf dem Bürgersteig weist
       immerhin auf das welthistorische Ereignis hin.
       
       Der Vertrag legte in einer Art First-Touch-Regel fest, dass die Gebiete
       Afrikas, die zuerst von Vertretern der Unterzeichnermächte betreten werden,
       diesen gehören sollten. Daraufhin setzte ein Run von teils privat, teils
       staatlich finanzierten Expeditionen ein, um Fahnen in den afrikanischen
       Boden zu rammen, Handelsniederlassungen und Militärposten zu errichten.
       
       ## Gravierende Folgen
       
       Die politischen und wirtschaftlichen Folgen dieses kapitalistischen
       Wettrennens in Afrika untersuchte Savvy Contemporary bereits vor gut zehn
       Jahren in der Ausstellung „Wir sind alle Berliner“. „Das geschah erstmals
       im hiesigen Kunstkontext“, betont Anna Jäger, damals bei Savvy aktiv und
       jetzt eine der Kurator*innen von „Desacta“. Die aktuelle Ausstellung
       will deshalb auch einen Schritt weiter gehen, über das rein Faktische und
       Rationale hinaus. „Wir schauen auf die Entweihungen von Objekten und
       Territorien. Es ist wie ein Fluch, der über die Erde gelegt wurde“, sagt
       Jäger. Teil der kolonialen Ausbeutung Afrikas war auch der Raub von
       religiösen Objekten und von sterblichen Überresten.
       
       Allein die Sammlungen das Ethnologischen Museums enthalten rund 50.000
       Artefakte aus Afrika, die während der Kolonialzeit zwischen 1886 und 1919
       auf mehr oder weniger gewaltsamem Weg nach Europa kamen. Vor der
       Kongokonferenz befanden sich nach Auskunft von Paola Ivanov, Kuratorin am
       Ethnologischen Museum, lediglich 3.361 afrikanische Objekte in den
       Sammlungen. Die Klärung der Herkunft all dieser Objekte ist notwendig.
       Immerhin einigten sich im Oktober 2025 Bund, Länder und Kommunen auf
       [2][neue gemeinsame Leitlinien zum Umgang mit Kulturgütern und menschlichen
       Überresten aus kolonialen Kontexten.]
       
       Die Leitlinien betonen die Forschung zur Herkunft von Kulturgütern und vor
       allem der sterblichen Überreste aus den einstigen Kolonien, von denen
       allein in Berliner Museen mehrere Tausend katalogisiert sind. Die
       zivilgesellschaftlichen Initiativen Berlin Postkolonial, Decolonize Berlin
       und Flinn Works [3][kritisieren aber], dass auch in diesen neuen Leitlinien
       „koloniale Aneignungen nicht grundsätzlich als unrechtmäßig gelten“ und
       damit „Rückgaben Ermessensentscheidungen der sammelnden Institutionen“
       blieben. Aus der neuen Gedenkstättenkonzeption von Kulturstaatsminister
       Wolfram Weimer flog das koloniale Erbe ohnehin komplett raus – eine
       geschichtspolitische Rolle rückwärts.
       
       Deshalb wird ein Projekt wie „Desacta“ umso relevanter. Es begann mit einem
       Ritual in Guinea-Bissau. „Es handelt sich um eine Zeremonie der Balanta.
       Gewöhnlich wird sie nach einer guten Ernte praktiziert. Gute Reisernten gab
       es aufgrund des Klimawandels aber in den letzten 20 Jahren kaum. Trotzdem
       wurde das Ritual jetzt umgesetzt, damit die jüngere Generation das Wissen
       um die Tradition nicht verliert. Die jüngeren Leute waren auch
       aufgefordert, die Älteren für deren Fehler verantwortlich zu machen“,
       erzählt Billy Fowo, ein weiterer Kurator von „Desacta“ und bei der
       Zeremonie in Malafo in Guinea-Bissau vor Ort. Einblicke in die Zeremonie
       gibt der gleichnamige Film von Filipa César. Objekte, die die Gemeinschaft
       aus Malafo spendete, sind ebenfalls in der Ausstellung zu sehen. Sie
       dienen, so Fowo, als eine Art Portal der Verbindung zwischen Berlin und
       Malafo.
       
       Insgesamt 13 Positionen umfasst die Ausstellung. Die Bandbreite ist groß,
       reicht von einer astrologisch inspirierten Gegenbeschwörung über
       Dokumentarfilme und Installationen bis hin zu einer künstlerischen
       Umwandlung eines Herbariums. Der kongolesische Künstler Sammy Baloji nahm
       gepresste und getrocknete Pflanzen, die der erste einheimische Botaniker
       Paul Panda Farnana in Kongo sammelte, zum Anlass, eigene Pflanzen aus
       Kupfer zu kreieren. Sie ähneln den originalen Pflanzen. Das Material Kupfer
       verweist auf die zahlreichen Bergbauaktivitäten in der Gegend. Weil Kupfer
       leicht korrodiert und dann eine grünliche Färbung annimmt, scheint diesen
       metallischen Pflanzen sogar ein Leben innezuwohnen. Im Dokumentarfilm
       „Pungulume“ zeigt Baloji auf, wie der Bergbau den Lebensraum der dort
       lebenden Gemeinschaften seit mehreren Generationen beeinträchtigt.
       
       Die Ausstellung endet aber mit einem optimistischen Ausblick. Der
       marokkanische Künstler Hassan Darsi zeigt in einem Dokumentarfilm, wie sich
       eine ländliche Gemeinde gegen ein mächtiges Bergbauprojekt erfolgreich zur
       Wehr setzte.
       
       In Berlin lassen die Erfolge weiter auf sich warten. In der Wilhelmstraße,
       auf dem Grundstück der Afrikakonferenz, befand sich für kurze Zeit ein
       Projektraum von Berlin Dekolonial. Im letzten Jahr kündigte allerdings der
       Vermieter und beendete damit das ortsspezifische Erinnerungsprojekt.
       Gegenwärtig stehen die Räume leer – offenbar ein Zeichen dafür, dass sogar
       auf Mieteinnahmen verzichtet wird, um ein politisch brisantes Projekt
       auszubremsen.
       
       27 Nov 2025
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /15-Jahre-Savvy-Contemporary-in-Berlin/!6125232
 (DIR) [2] https://kulturstaatsminister.de/bund-und-laender-vereinbaren-gemeinsame-leitlinien#
 (DIR) [3] https://decolonize-berlin.de/de/pressemitteilungen/details/zivilgesellschaft-kritisiert-neue-leitlinien-von-bund-und-laendern-zu-kolonialem-sammlungsgut-als-unzureichend
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Tom Mustroph
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Kunst Berlin
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 (DIR) Kolonialismus
       
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