# taz.de -- Buchessay über Krautrockband Can: Im Mosaik der Echokammern
> Hendrik Otremba hat ein kluges Buchessay über die Kölner Krautrockband
> Can geschrieben. Er macht ihr komplexes Werk für jüngere Menschen
> verständlich.
(IMG) Bild: Can 1972 auf Teppich: Holger Czukay, Damo Suzuki, unbekannt, Jaki Liebezeit, Michael Karoli und vorne rechts sitzend Irmin Schmidt
„The Germans never appreciate what’s on their own doorstep“, postulierte
einst Mark E. Smith, Kopf der legendären britischen Postpunkband The Fall.
Die Propheten im eigenen Lande? Mit seiner Einschätzung behielt Smith
recht, bezog er sie doch auf die geringe Wertschätzung der Kölner
Krautrock-Heroen Can im Westdeutschland der 1970er und 1980er.
Ähnlich ihren Düsseldorfer Kollegen Kraftwerk wurden und werden Can in der
englischsprachigen Welt abgöttisch verehrt. Kein Wunder, denn in beiden
Fällen erwies sich ihr musikalisches Schaffen nicht nur als überaus
einflussreich auf singuläre britische Popstars wie [1][David Bowie] und
Brian Eno, sondern auch desgleichen auf die Entwicklung von Genres wie den
englischen Postpunk und den US-Postrock der 1990er insgesamt: Bands wie
eben The Fall und Portishead, aber ebenso famose Klangforscher wie Sonic
Youth und [2][Tortoise] sind nie zu ehrfürchtige, aber doch dankbare Erben
von Can.
Wie es dazu kam, dass eine rheinische Band solch immensen Einfluss besaß,
und dies nicht allein auf die Mutterländer der Popmusik, sondern ebenso in
Frankreich und anderen europäischen Ländern, erklärt der Berliner Musiker
und Schriftsteller Hendrik Otremba nun so kenntnisreich wie konzise in
seinem Buch „Can. Essays zu Werk und Ästhetik“.
## Exorzismus gegen Nazis
Diese Breitenwirkung resultierte daraus, [3][dass die Krautrocker von Can
darauf bedacht waren, anglo-amerikanische Muster nicht zu imitieren,
sondern ihr eigenes, ihr Kölner Ding zu machen]. Es ging der Band darum,
idiosynkratischen Sound zu finden, der als musikalischer Ausdruck einer
neuen, auch nationalen Identität dienen konnte, mit der die vier Musiker
die Schrecken der Nazizeit zu exorzieren suchten.
Dementsprechend kurvenreich gestaltete sich ihre heimische
Rezeptionsgeschichte, ganz wie es Smith auf den Punkt brachte: Zwar waren
Can in den 1970er und 1980er Jahren hierzulande moderat erfolgreich,
inzwischen sind sie jedoch weitgehend in Vergessenheit geraten.
Wie schade! Von Kraftwerks elektronischer Zukunftsmusik bis zu den
anarchischen, kommunalen Improvisationsexzessen von Amon Düül brachte
Krautrock ab Ende der 1960er Jahre zuvor unbekannte Klangwelten hervor. Das
galt zumal für Can, denn sie waren eine Gruppe aus vier Individualisten
(Keyboarder Irmin Schmidt, Bassist Holger Czukay, Schlagzeuger Jaki
Liebezeit und der Gitarrist Michael Karoli). Alle vier brachten
gleichberechtigt ihre jeweiligen Präferenzen in die Band ein, um dadurch
etwas im Wortsinne Unerhörtes zu stiften.
## Die Beats: fulminant und stoisch zugleich
Mustergültig zu hören ist die Klangmagie von Can auf ihrem vierten Album
„Ege Bamyasi“ (1972). [4][Lustvoll verwandelt das Quartett seine fesselnde
Klangforschung in mitreißende Songs wie „Vitamin C“ und „Spoon“]. Liebezeit
trommelt fulminant mit stoischer Ruhe, darüber ergießen sich
Improvisationen der Musiker, während Vocalist Damo Suzuki sich meditativ
die Seele aus dem Leib schreit.
Cans zwischen Avantgarde und Hitpotenzial mäandernde Musik hat ihre Spuren
in instrumentalen Genres wie Postrock und Ambient hinterlassen. Aber auch
im HipHop, auf Alben von LL Cool über [5][A Tribe Called Quest] bis Kanye
West. Der britische Musikjournalist Rob Young hat dementsprechend mit „All
Gates Open. The Story of Can“ (2018) einen Wälzer publiziert, von dem
behauptet werden darf, dass es sich um das definitive Werk zur
Bandgeschichte handelt. Nicht jede/r mag sich allerdings durch die 600
Seiten kämpfen.
Willkommen ist daher das im Vergleich schmale grüne Bändchen zu Can, das
Hendrik Otremba nun vorgelegt hat. Lesenswert ist dessen Annäherung an Can
nicht zuletzt deshalb, weil er dafür einen essayistischen Ansatz gewählt
hat. In acht so konzisen wie tief schöpfenden Kapiteln, die ausgehen von
Stichwörtern wie Ruinen, Collage, Kontinuitäten und Rhapsodie, beleuchtet
Otremba das komplexe Phänomen Can.
## Äshetische Leitlinien
[6][Entnommen sind diese Begriffe einem längeren Interview mit Irmin
Schmidt, dem letzten noch lebenden Musiker der Band], das den Anfang des
Buches bildet. Es erweist sich als überaus kluge Entscheidung, denn der
einleitenden Innensicht auf Can folgt dann die schwerpunkthafte Entfaltung
der ästhetischen Leitlinien ihrer Musik als kritische Außensicht durch
Otremba.
Dieses verständnisstiftende Verfahren passt zur Reihe „Popgeschichte“, in
deren Rahmen Otrembas Schrift im geisteswissenschaftlich geprägten
Wallstein Verlag erschienen ist. Dass sich
Germanistikprofessor:Innen neuerdings mit Fachfremdem wie Popmusik
beschäftigen, führte bislang fast durchweg zu akademisch verbrämter
Fanfiction, in denen die ins gesetzte Alter vorrückenden Herren (kaum
Damen!) sich an die Idole ihrer Jugend erinnern. Exemplarisch ist das im
Auftaktband der Reihe zu Bruce Springsteen zu besichtigen.
Otrembas als Band Nummer zwei erschienenes Werk hängt die Latte höher, was
intelligentes Schreiben über Popmusik betrifft. Ähnlich wie ein Arzt bei
der Diagnostik eine Haltung zwischen Distanz und Empathie zu seinen
Patient:Innen finden muss, versteht es auch Otremba als Nachgeborener,
der die explosiv-hypnotische Kraft von Cans Liveauftritten nie selbst
erleben durfte, seine allein medial vermittelte Kenntnis der Musik mit
einer subjektiven Begeisterung für deren Innovationsfreude, Wirkmächtigkeit
und Ekstasepotenzial zum Thema zu machen. Die probeweisen Erkundungen von
Cans musikalischer Magie profitieren davon immens.
## Acht Suchbefehle
Als „Suchbefehle“ versteht Otremba die Einworttitel seiner acht Kapitel:
Ganz wie es der Gattung des Essays entspricht, umkreist er von
autobiografischen Ausgangspunkten aus konstitutive Aspekte von Cans
Klangkunst. So geht er beispielsweise der Frage nach, wie die wechselnden
Sänger das Profil der Band geprägt haben beziehungsweise wie deren jeweils
höchst idiosynkratischer Performancestil auf das improvisierende
Zusammenspiel der vier Musikerpersönlichkeiten zurückwirkte.
Oder nehmen wir die Kernästhetik von Can, die im Essay „Collage“ behandelt
wird: Otremba beschreibt, wie diese zurückgeht auf den Kölner Komponisten
Karlheinz Stockhausen, bei dem mehrere Bandmitglieder studiert hatten,
[7][dann die Cut-up-Techniken des US-Schriftstellers William S. Burroughs]
integriert und schließlich in Vorwegnahme des britischen Künstlers Brian
Eno, der das Studio als Instrument benutzt hat. Im Can-eigenen Studio
„Inner Space“ im provinziellen Weilerswist wurde aus den Bändern mit
Improvisationen die besten Stellen zu etwas aufregend Neuem montiert.
Otrembas thematisch orientierte Essays liefern Can-Kennern, auch als
„Canibalen“ bekannt, überraschende Einblicke, doch sein Buch eignet sich
zugleich bestens als Einführung für Bandneulinge. Auch dies ist keine
Selbstverständlichkeit bei vergleichbaren Büchern.
Hinzu kommt, dass Otrembas Essays gut geschrieben und bestens lesbar sind.
Immerhin unterrichtet der Autor von inzwischen drei Romanen in Zürich und
anderswo die schwere Kunst des kreativen Schreibens. Cans heterogenes Werk,
so heißt es etwa, gleiche „einem Mosaik offener Echokammern, in denen sie
klangliche Abbilder des Zustands ihrer Generation erschufen“.
Was in diesen Echokammern erschall, klingt bis heute nach. Mit seinem
kleinen Buch hat Hendrik Otremba den rundweg empfehlenswerten Leitfaden für
eine große, immer noch einflussreiche Band geschrieben.
21 Nov 2025
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## AUTOREN
(DIR) Uwe Schütte
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