# taz.de -- Buch über „Krautrock“: Drone aus dem Drucklufthorn
       
       > Der Musikjournalist David Stubbs hat eine Geschichte von Hippie-Rock und
       > Elektronik im Westdeutschland der 60er und 70er geschrieben.
       
 (IMG) Bild: Protagonisten des Krautrock mit großer Wertschätzung im Ausland: Mitglieder der Kölner Band Can.
       
       Eigentlich spricht kein Mensch mehr von Nationalstilen in den Künsten. Die
       traditionellen Museumsarchitekturen, die von sternförmigen Verteilerknoten
       aus die Leute zur italienischen, spanischen oder flämischen „Schule“
       führten, bleiben den kunsthistorischen Sammlungen vorbehalten.
       
       Nationalliteraturen werden höchstens noch dort studiert, wo ein
       Sprachgebrauch sich auf Staatsgrenzen beschränkt (Island?!), ansonsten gibt
       es andere historische, kulturgeographische und typisierende Parameter für
       Kunstentwicklungen als die Nationalität der Beteiligten. Nur in der
       Pop-Musik kann sich so etwas wie „Krautrock“ halten: komische Musik von
       (West-)Deutschen aus den 1970er Jahren.
       
       In letzter Zeit ist eher mehr als weniger davon die Rede. Dass der
       Nationalstil keine gute Kategorie ist, weiß natürlich auch der britische
       Musikjournalist David Stubbs, der mit „Future Days – Krautrock and the
       Building of Modern Germany“ eine neue Krautrock-Geschichte geschrieben hat.
       Deswegen stellt er der umstrittenen Stilbezeichnung auch eine andere
       Perspektive zur Seite: die der (Re-)Konstruktion eines modernen
       Deutschlands. Krautrock ist gewissermaßen der Soundtrack zu Helmut Schmidts
       „Modell Deutschland“ der späten 70er Jahre: die sich aus dem
       Marshall-Plan-Wirtschaftswunder kalt und eigenständig herausschälende BRD.
       
       Dass es tatsächlich einen Soundtrack zum sich technokratisch und gezielt
       vergangenheitsvergessen modernisierenden Deutschland gibt, ist oft bemerkt
       worden, ja von den Protagonisten selbst imagestiftend lanciert: das Projekt
       der mittleren Kraftwerk.
       
       ## Ralf und Florian
       
       Ralf Hütter und Florian Schneider-Esleben hatten nach experimentellen
       Anfängen die Idee, extreme Naturferne und Künstlichkeit industrieller
       Landschaften, kapitalistischer Lebensstile und Architekturen
       futuristisch-dandyistisch zu verklären und einem sich langsam eingrünenden
       Hippie-Publikum als maximal unerwartetes Gegenbild aufzutischen – ein
       Gegenbild, das gleichwohl genial die affektiven Reprogrammierungen der
       späteren 70er zwischen Clockwork-Orange-Dystopie, neuen queeren
       Sexualitäten und Vorkriegseuropa-Nostalgie ausnutzte. Sie waren dabei so
       kohärent und dicht, dass die Sache aufging.
       
       Im internationalen Geschäft wurde das dann als spezifisch deutsch
       inszeniert: mal durch den Weimar-Camp eines Commedian-Harmonist-Look,
       prickelnd ambivalent mit der „Autobahn“, oder durch den „Trans Europa
       Express“, obwohl der doch eher zur EWG der späten 1950er gehörte. Diese
       Referenzen waren schon nicht mehr auf eine historische Realität der BRD
       ausgerichtet, sondern entwarfen – Missverständnisse in Kauf nehmend – eine
       popmusikalische Traumlandschaft (in der Europa eher Teil der BRD war als
       umgekehrt).
       
       Aber mit diesen geschliffenen Versatzstücken wurde die
       detektivisch-hermeneutische Maschine angeworfen, die seitdem im deutschen
       Sound der Siebziger germanische Geheimnisse sucht. Allerdings klingen alle
       anderen in diesem Buch behandelten Bands unter einander ähnlicher als
       Kraftwerk. Mit den experimentellen Krautismen hat der Konzept-Pop von
       Kraftwerk wenig zu tun.
       
       ## Sorgfältige Hagiografien
       
       Stubbs fällt es entsprechend schwer, seine vier Hauptprotagonisten – Amon
       Düül II, Can, Kraftwerk und Faust – in eine einheitliche Erzählung
       hineinzuzwingen. Sie werden als Einzelfälle in sorgfältige Hagiografien
       hineingeschrieben, die sie verdient haben. Schon die Berliner Elektroniker
       (Tangerine Dream, Agitation Free, Klaus Schulze, Conrad Schnitzler etc.)
       kriegen ein Sammelkapitel, ebenso Neu!, Conny Plank und Düsseldorf. Der
       Rest, der immerhin vom clownesken Free-Rock von Guru Guru über die
       Weltmusik von Embryo, den unspektakulären Rock von Nektar bis zu den
       hyperweirden Hippie-Esoterika von Limbus 4 und den im
       bayrisch-österreichischen Aktionskunst-Kontinuum floatenden, schwarz
       bemalten, nackten Körpern von Paul und Limpe Fuchs reicht, wird wie dann
       auch die in diesem Buch eh fehlplatzierte NdW in eine weitere Wundertüte
       geworfen.
       
       Interessanter sind die thesenbasierten Kapitel, insbesondere das
       „Post-Bowie, Post-Punk, Today and Tomorrow“ genannte, das im Jahr 1977 das
       kreativ-künstlerische Ende von Krautrock und gleichzeitig den Beginn der
       internationalen Legende der Musik lokalisiert. Dass diese Legende seitdem
       mehr Eigenleben akkumuliert hat, als die von ihr gemeinten Musikexperimente
       durch wiederkehrende Bezugnahmen jüngerer Generation von Stereolab bis
       Sonic Youth an Zusammenhang gewonnen haben, ist kein unwichtiges Ergebnis
       dieses Schlusses.
       
       Den charmantesten Beleg für die Besonderheit deutscher Pop-Musik zwischen
       68 und 77 findet der vom sonic turn nicht ganz unbeeinflusste Autor in
       einer Jugenderinnerung. Als er in den 1970er Jahren im Fernsehen
       Fußballübertragungen aus Europa zu sehen bekam, stellte er fest, dass der
       Grundklang europäischer, namentlich deutscher Stadien ein ganz anderer war
       als der britische „collective boorish roar, punctuated by hand-claps,
       chants based on pop-songs and an underlying nastiness“, nämlich: „ a sea of
       air horns, an abstract wall of klaxons, an incessant aerosol-fuelled
       drone.“ Für den jungen David die Erfahrung einer Fremdheit und einer
       „different and more advanced order“.
       
       Dieses fortgeschrittene Deutschland findet Stubbs, und da ist er nicht der
       erste, eher in den Extremen und den Abenteuern als im Alltag der 1970er
       wieder. Die deutsche 68er Linke etwa wird allein von der RAF aus
       betrachtet: Viel signifikanter als ein paar Bewaffnete war indes, dass
       Tausende sich allen Ernstes dem Konformismus maoistischer und
       enverhodschaistischer Disziplinierungen unterzogen. Was vor allem fehlt,
       ist der Kontext, in dem das, was heute Krautrock heißt, damals im globalen
       Subkulturalltag stattfand. Sein internationales Umfeld war ja nicht minder
       bizarr.
       
       ## Längeres Arbeiten
       
       Wenn man die Bands, die hier auftauchen, in den Jahren ihrer Blüte sehen
       wollte, spielten sie auf Konzerten mit ganz ähnlich klingenden britischen,
       italienischen, niederländischen oder französischen Kollegen – selten findet
       man deren Namen in den Enzyklopädien der Rock-Geschichte. Aber auch die
       Briten hatten einen Krautrock. Vor oder meistens nach den deutschen
       Vertretern erklommen damals Van der Graaf Generator, Warm Dust, Audience,
       The Greatest Show on Earth, oder die allgegenwärtigen Man mit ihren
       70-minütigen Stoner-Improvisationen über ganz wenige Akkorde die Bühne. Das
       ganze frühe Jahrzehnt war dominiert von Keyboard-lastigen und oft auch
       schon mit Elektronik experimentierenden, kurzlebigen, Esoterika-genährten
       Extrempop. Die Deutschen arbeiteten lediglich etwas länger und hartnäckiger
       an ihren Band- und Musikideen, weil die damals mehr Szenestruktur, aber
       weniger Popmarkt hatten.
       
       Überall auf der Welt, wo Blues und Pop keine institutionellen und
       musikalischen Traditionen geschaffen hatten, schoss Prog-Rock buchstäblich
       ins Kraut: ob bei den französischen Heldon oder den niederländischen
       Supersister. Vor allem dort, wo auch Free Jazz und neue Musik einen festen
       kulturellen Ort hatten, dessen Wege sich mit den 68 revoltierenden Kräften
       kreuzten, entstanden para-krautige Bands. Natürlich gab es lokale Scenes,
       aber keine Nationalstile, würde ich behaupten.
       
       Dass, wo Bluesrock und Songwritertum schwächer sind, Einflüsse aus
       Minimalismus, Fluxus, Free Jazz eine mindestens gleich starke Stimme
       hatten, sollte da nicht überraschen: das gilt aber für die befreiten
       Niederlande ebenso wie für die postfaschistische BRD, für ein Italien unter
       Moro wie ein Spanien unter Franco. Man könnte allenfalls argumentieren,
       dass die relative Prosperität der BRD und Besonderheiten des Kulturlebens,
       wie ein Feuilleton, das Cosmic-Rock-Gurus wie Rolf Ulrich Kaiser und
       Pop-Intellektuelle wie Helmut Salzinger und Uwe Nettelbeck hervorbrachte,
       es ermöglichten, dass manche Leute einen längeren Atem hatten fürs Weirde
       hatten. Die Protagonisten des britischen Prog-Rock landeten alle früher
       oder später in Charts-Pop-Bands.
       
       Stubbs’ Buch ist dennoch zu empfehlen und hätte eine deutsche Übersetzung
       verdient (obwohl ich als Interviewter gerne meine Zitate gegengelesen
       hätte: dass ein zwangsläufiger Weg von der deutschen Romantik zum
       Faschismus führt, habe ich so nicht gesagt). Nicht nur die vier großen,
       sondern mindestens zehn Protagonisten der ersten Reihe finden hier die
       detaillierte und kenntnisreiche Würdigung, die sie verdienen. Und dass die
       BRD es schaffen konnte, im Zusammenspiel von Fußballtröten und Künstlerpop
       bei britischen Heranwachsenden den Eindruck von Avanciertheit zu machen,
       verdient allemal für die Nachwelt festgehalten zu werden.
       
       9 Nov 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Diedrich Diederichsen
       
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