# taz.de -- Arbeitskultur in Japan: Takaichi hält nichts von Work-Life-Balance
       
       > Dank seiner neuen Premierministerin diskutiert Japan wieder über
       > „Karoshi“, den Tod durch Überarbeitung. Sie selbst gibt nicht das beste
       > Vorbild ab.
       
 (IMG) Bild: Sie arbeitet weiter, wenn andere nicht mehr können: Japans Premierministerin Sanae Takaichi
       
       [1][Japans erste Regierungschefin Sanae Takaichi] hat mit ihrem Arbeitsstil
       eine neue Debatte über Karoshi ausgelöst, das japanische Wort für Tod durch
       Überarbeitung. Schon unmittelbar nach ihrer Wahl zur Vorsitzenden der
       Regierungspartei LDP hatte sie angekündigt, den Begriff „Work-Life-Balance“
       für sich abzuschaffen.
       
       „Ich werde arbeiten, arbeiten, arbeiten, arbeiten und weiterarbeiten“,
       versprach die 64-jährige Konservative. Darauf warf ihr ein
       Interessensverband von Karoshi-Opfern vor, ihre Haltung würde Arbeitnehmer
       „zu langen Arbeitszeiten zwingen und eine überholte Mentalität
       wiederbeleben“.
       
       Doch kaum hatte [2][das Parlament sie zur Premierministerin gewählt,] wies
       Takaichi ihren Arbeitsminister an, eine Lockerung der
       Arbeitszeitregulierung zu prüfen. Damit meinte sie das seit 2019 geltende
       monatliche Limit von 45 Überstunden mit vorübergehenden Spitzen von bis zu
       100 Überstunden. Die „Arbeitsstilreform“ sollte die notorisch langen
       Arbeitszeiten verkürzen, um Erwerbsarbeit für Hausfrauen und Teilzeitkräfte
       attraktiver zu machen.
       
       Diese Begrenzungen will Takaichi nun für Beschäftigte aufheben, die länger
       arbeiten wollen und dabei keinen gesundheitlichen Schaden erleiden. Im
       Parlament kritisierten oppositionelle Abgeordnete, diese Pläne könnten zu
       übermäßig viel Arbeit bis hin zum Karoshi führen. Auch nach der
       Arbeitsstilreform kommt es in Japan immer noch zu jährlich 60 bis 80
       Suiziden oder Suizidversuchen infolge von Überarbeitung.
       
       ## Haare selbst geschnitten, um Zeit zu sparen
       
       Die Debatte nahm an Fahrt auf, als die Regierungschefin am vergangenen
       Freitag um kurz nach 3 Uhr früh von ihrer Abgeordnetenwohnung zu einer
       nächtlichen Besprechung mit engen Mitarbeitern in ihren Amtssitz fuhr.
       Gemeinsam feilten sie im Morgengrauen an Antworten auf schriftliche Fragen
       von Abgeordneten für ihren ersten Auftritt vor dem Haushaltsausschuss, der
       um 9 Uhr beginnen sollte. Ihr Faxgerät hätte nicht gearbeitet, daher musste
       sie ins Amt fahren, erklärte sie später.
       
       Aber schon bei der Sitzung erntete sie Kritik. „Wahrscheinlich haben einige
       Mitarbeiter die ganze Nacht an der Ausarbeitung der Antworten gearbeitet“,
       meinte der Oppositionsabgeordnete Takahiro Kuroiwa. Takaichi habe in den
       Vortagen überall mit rotem Stift Korrekturen in den Entwürfen vorgenommen,
       berichtete ein Beamter der Zeitung Asahi. „Sie ist wohl der Typ Mensch, der
       nicht ruhig schlafen kann, wenn er nicht alles selbst überprüft.“
       
       Takaichi räumte mit müdem Gesicht ein, dass sie nicht genug schläft.
       Offenbar braucht sie mehr als die vier Stunden, die [3][ihrem lebenslangen
       Vorbild Margaret Thatcher] in einer Nacht ausreichten. Aber Takaichi setzt
       sich selbst so unter Druck, dass sie sich ihre Haare selbst geschnitten
       hat, um die Zeit für einen Friseurbesuch zu sparen.
       
       Der LDP-Abgeordnete Ken Saito fragte sie bei der Sitzung: „Ist das nicht
       alles ein bisschen zu viel harte Arbeit? Für gute Leistungen braucht man
       auch Pausen.“ Als ein Oppositionsvertreter sie aufforderte, ausreichend zu
       schlafen, nickte Takaichi ihm lächelnd zu.
       
       12 Nov 2025
       
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