# taz.de -- Rassismus in Kitas: Warum eine „gute Mischung“ eine schlechte Idee ist
> Das Kitasystem ist geprägt von institutionellem Rassismus. Zu diesem
> Schluss kommt eine aktuelle Studie. Selbst Vorzeigekitas stoßen hier an
> ihre Grenzen.
(IMG) Bild: Von wegen heile Welt: In vielen Kitas gelten Kinder aus nichtdeutschen Familien vor allem als „Belastung“
Die Suche nach einem Kitaplatz ist vielerorts hart. Manche Eltern sollen in
den entsprechenden Wunschkitas schon Kuchen vorbeigebracht oder freiwillige
Gärtnerdienste angeboten haben, um die Chancen ihres Nachwuchses auf einen
Platz zu erhöhen. Das mag funktionieren. Wenn ein Kind einen nichtdeutsch
klingenden Nachnamen trägt oder es als nichtweiß wahrgenommen wird, hilft
auch das häufig nicht weiter.
Denn institutioneller Rassismus fängt bei den Kleinsten an: in der Kita. Zu
diesem Schluss kommt [1][eine aktuelle Studie des Deutschen Zentrums für
Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM)] in Berlin. Titel: „Und raus
bist du!“ Die Soziolog:innen Seyran Bostancı und Benedikt Wirth haben
dafür mit 40 Akteur:innen in der frühkindlichen Bildung aus
verschiedenen Berliner Bezirken Interviews geführt – mit Kitaleitungen,
Eltern, Erzieher:innen und Fachpersonal aus der
Antidiskriminierungsarbeit. Sie konstatieren, dass „das Kita-System im
postmigrantischen Berlin von tiefgreifenden strukturellen Barrieren geprägt
ist, die rassistische Ungleichheiten fortlaufend reproduzieren und
verfestigen“.
Die Erkenntnisse der Studie sind nicht repräsentativ. Aber sie
veranschaulichen, wie Diskriminierung funktioniert und wie Vorurteile zu
diskriminierenden Handlungen werden können.
Das geht beim Zugang zu den Kitaplätzen los. In Deutschland entscheiden
ausschließlich die Kitaleitungen oder die übergeordneten Träger einer Kita
über die Vergabe von Plätzen. Sie besitzen das sogenannte Belegrecht.
Staatliche Stellen haben auf den Auswahlprozess keinen Einfluss. Wenn es
mehr Bewerber:innen als Plätze gibt, ist die Warteliste ein beliebtes
Instrument, um den Zugang zu regeln.
Wobei der Ausdruck „Warteliste“ trügerisch ist. Denn die Interviews der
Forschenden legen nahe, dass Kitaleitungen Kinder oftmals einfach so
auswählen, unabhängig von ihrer Position auf der Warteliste. Es verbindet
sich dabei guter Wille mit Willkür. Die Leitungen beteuern, sie würden bei
der Auswahl auf eine „gute Mischung“ achten. Der Begriff soll so etwas wie
das „ideale“ Verhältnis von Kindern mit zu Kindern ohne
Migrationshintergrund beschreiben.
## Kinder als Belastungsfaktor
Aber warum spielt der Migrationshintergrund von Kindern bei der Aufnahme in
eine Kita überhaupt eine Rolle? Laut der Studie ist der Grund dafür oft,
dass Kinder mit Migrationshintergrund von der Anwesenheit von Kindern ohne
Migrationshintergrund „profitieren“ sollen. Viele Kitaleitungen
befürchteten, dass fehlende Deutschkenntnisse sonst den pädagogischen
Alltag behinderten. Ihr Ziel: nicht mehr als 50 Prozent migrantische Kinder
in einer Gruppe. Letztlich, so die Studienautor:innen, würden Kinder mit
Migrationshintergrund „als ‚Belastung‘ markiert“.
Dabei haben laut Statistischem Bundesamt weit über 40 Prozent aller Kinder
unter fünf Jahren in Deutschland einen Migrationshintergrund, in Berlin
sogar 57. Umso auffälliger ist das Ungleichgewicht zwischen Kindern mit und
ohne Migrationshintergrund bei der Betreuungsquote, dies wiederum gerade
bei den unter Dreijährigen. So hatten 2023 deutschlandweit nur 22,3 Prozent
der Kinder mit Migrationshintergrund einen Kitaplatz, während die Quote bei
Kindern ohne Migrationshintergrund bei 44,5 Prozent lag.
Die vom DeZIM-Team ausgewerteten Interviews mit den Kitaleitungen legen
dabei nahe, dass vor allem Nachname, Aussehen und Sprache eine Rolle dabei
spielen, ob Kinder als migrantisch gelesen werden oder nicht – unabhängig
davon, ob ihre Familie tatsächlich eine Migrationsgeschichte hat.
## Eine Kita, die anders sein will
Aber geht es überall so zu? Die taz hat nachgefragt bei einer Kita in der
Berliner Innenstadt, die sich explizit der Vielfalt verschrieben hat. Sie
ist Teil eines großen Trägers mit über 20 Einrichtungen. Den Namen des
Trägers möchte die Kitaleiterin ebenso wenig veröffentlicht wissen wie
ihren eigenen, damit sie offen über ihr Aufnahmeverfahren und den Alltag in
der Kita sprechen kann.
In ihrer Kita, so die Leiterin, sei das Beherrschen einer Fremdsprache ein
wichtiges Kriterium bei der Einstellung der Pädagog:innen. Die Kinder
sollten die Möglichkeit haben, [2][sowohl in der Familiensprache als auch
auf Deutsch sprechen zu können.] Aktuell würden unter den
Erzieher:innen insgesamt sieben weitere Sprachen gesprochen: Arabisch,
Kurdisch, Vietnamesisch, Türkisch, zwei regionale Sprachen aus Togo und
Polnisch.
Auch die Kommunikation mit Eltern, die weder Deutsch noch eine der anderen
Sprachen beherrschen, sei kein Problem. „Alltägliche Dinge kann man auch so
regeln, bei komplizierteren Sachen oder Konflikten gibt es die Möglichkeit,
einen Dolmetscher über das öffentlich geförderte Programm Dolpäp zu
bekommen“, sagt die Kitaleiterin zur taz. Fehlende Deutschkenntnisse würden
nicht als Defizit oder Belastung gesehen.
Die Mitarbeitenden der Kita legten besonderen Wert auf die korrekte
Aussprache der Namen von Kindern und Eltern: „Die Eltern finden das gut,
weil sie sich ernst genommen fühlen“, sagt die Leiterin. Nationalflaggen
sind zugleich tabu, religiöse Feiertage werden kaum noch gefeiert – oder
umgewandelt. Das Laternenfest etwa ist zum Herbstfest geworden. Nur
Weihnachten hat noch einen festen Platz.
## Gemeinsam Feste feiern
Mit Blick auf alle anderen Feste wie das muslimische Zuckerfest oder das
kurdische Neujahrsfest Newroz führt die Kita einen Vielfaltskalender, in
den Familien ihre Feiertage eintragen können. „Wir freuen uns sehr, wenn
Eltern uns die Feiertage zeigen und etwas mitbringen“, sagt die
Kitaleiterin.
Auch in der Studie von Seyran Bostancı und Benedikt Wirth spielen
kulturelle und religiöse Feste eine wichtige Rolle. Sie beobachten, dass
das Feiern christlicher Feste wie Sankt Martin, Weihnachten und Ostern in
Kitas noch immer die Norm darstellt. Offenheit für Feste aus anderen
Kulturen würde zwar suggeriert, aber oft nicht in die Praxis umgesetzt. Wie
in der Berliner Kita, die vieles besser machen möchte, hängt es häufig am
Engagement der Familien, die entsprechenden Feiern zu organisieren.
Die Wissenschaftler:innen kritisieren, die Verantwortung werde auf die
Familien abgewälzt, verbunden mit einer Erwartungshaltung: Wenn
migrantische Familien sich nicht darum kümmern, könne man auch nicht
erwarten, dass die Kita das übernimmt. Bostancı und Wirth fordern hingegen,
dass ein ernsthafter Diversitätsanspruch, der nicht zum Symbol verkommt,
alle Kinder gleichberechtigt mit ihren Familienkulturen einbeziehen und
deshalb von der Kita ausgehen muss.
Auch der institutionelle Rahmen spiele bei Diskriminierung in Kitas eine
Rolle. Denn dass überhaupt zwischen Kindern mit und ohne
Migrationshintergrund unterschieden wird, hängt von gesetzlichen
Rahmenbedingungen ab. In Berlin gab es bisher eine Regelung, die ab einer
Quote von 40 Prozent Kindern mit „nichtdeutscher Herkunftssprache“ eine
zusätzliche Fachkraft vorsah, die finanziell von der Landesregierung
unterstützt wird.
## Bewusstes Unterschreiten von Quoten
In manchen Kitas führt dies laut Bostancı und Wirth in der Praxis aber
dazu, dass die Quote von 40 Prozent bewusst unterschritten wird. „In
[3][Zeiten des Personalmangels] werde ich einen Teufel tun und jetzt noch
mehr Personal aufgrund der Aufnahme von Kindern brauchen müssen, was gar
nicht da ist“, heißt es zur Begründung von einer in der Studie zitierten
Kitaleitung.
Bei der Berliner Kita, die sich selbst Vielfalt auf die Fahnen geschrieben
hat, ist der Anteil zwar höher. Aber auch hier spricht die Leiterin von
einer „guten Mischung“, die sie in den Gruppen herzustellen versucht. Eine
Lösung nach dem Prinzip „First come, first serve“ hält sie ohnehin für
ungerecht.
Sie achte nicht nur darauf, dass sich die Anzahl von Mädchen und Jungen in
etwa die Waage hält. Auch hätten Kinder Priorität, die schon älter als drei
Jahre alt sind, aber noch keine Betreuung hatten. Ein wichtiges Kriterium
sei zudem der unmittelbare Bedarf bei Alleinerziehenden. Sie sagt: „Wenn
beide Eltern flexible Arbeitszeiten oder andere Betreuungsmöglichkeiten,
wie eine Tagesmutter, haben, dann hat das Kind eine geringere Priorität.“
Doch auch das ist nur eine Kita. An strukturellen Problemen ändert das
nichts. Deshalb fordern die beiden Forscher:innen: „Eine nachhaltige
Veränderung erfordert einen umfassenden transformativen Ansatz, der
rassismuskritische Perspektiven als konstitutiven Bestandteil
institutioneller Praxis verankert. Nur so kann frühkindliche Bildung ihrem
gesellschaftlichen Anspruch auf Gerechtigkeit und Teilhabe gerecht werden.“
3 Dec 2025
## LINKS
(DIR) [1] https://www.dezim-institut.de/fileadmin/user_upload/fis/publikation_pdf/FA-6420.pdf
(DIR) [2] /Sprachfoerderung-im-Vorschulalter/!6093044
(DIR) [3] /Personalmangel-sorgt-fuer-Ausfaelle/!6028359
## AUTOREN
(DIR) David Hinzmann
## TAGS
(DIR) Kita
(DIR) Kitas
(DIR) Kitaplatz
(DIR) Kitaplätze
(DIR) Schwerpunkt Rassismus
(DIR) Frühkindliche Bildung
(DIR) Reden wir darüber
(DIR) GNS
(DIR) Bildungssystem
(DIR) Kita-Finanzierung
(DIR) Kitas
## ARTIKEL ZUM THEMA
(DIR) Kinder benachteiligter Familien: Wenn die Kita schon zu spät ist
Eine Langzeitstudie zeigt, wie stark soziale Ungleichheiten bereits im
Alter von zwei Jahren sichtbar werden. Was muss der Staat tun?
(DIR) Studie zu Kita-Verteilung in Deutschland: Weniger Kitas in ärmeren Vierteln
Wo mehr Armutsbetroffene, gibt es weniger Kita-Plätze als in reicheren
Wohngegenden. Das ist problematisch für die Chancengerechtigkeit.
(DIR) Personalmangel sorgt für Ausfälle: Kita-Personal am häufigsten krank
Personalmangel in Kitas führt zu Belastungen – und macht krank. Das zeigt
eine Studie der Bertelsmann Stiftung. Sie fordert politische Antworten.