# taz.de -- Christian Dürr über Bruch der Ampel: „Es war richtig, Nein zu sagen“
       
       > Die liberale Demokratie funktioniert nicht ohne die FDP – findet ihr
       > Vorsitzender Christian Dürr. Das Ende der Ampel bereut er trotzdem nicht.
       
 (IMG) Bild: Christian Dürr hat immer noch regelmäßig Kontakt zu seinem Vorgänger Christian Lindner. Hier im Februar 2025 im Bundestag
       
       taz: [1][Vor einem Jahr erklärte Olaf Scholz die Ampel für beendet.] Die
       FDP hatte aktiv darauf hingearbeitet. Hat es sich gelohnt, Herr Dürr? 
       
       Christian Dürr: Rückblickend war es richtig, damals nicht auf die
       Erpressung des Bundeskanzlers einzugehen. Zu sagen: Wir machen keine
       Reformen und versuchen, mit lauter neuen Schulden die Koalition zu retten,
       wäre für die FDP kein Weg gewesen. Insofern war es richtig, damals Nein zu
       sagen.
       
       taz: Sie und Ihre Partei sind jetzt [2][seit acht Monaten nicht mehr im
       Bundestag vertreten.] Was macht das mit Ihnen? 
       
       Dürr: Man muss nüchtern feststellen, dass sich diese neue Koalition im
       Prinzip genauso verhält wie die Ampel in ihrer Endphase. Wir selbst haben
       unsere Fehler analysiert und uns hinterfragt.
       
       taz: [3][War es also unklug, gezielt auf den D-Day hinzuarbeiten?] 
       
       Dürr: Das Papier, auf das Sie sich beziehen, hat keine Rolle gespielt. Wenn
       eine Koalition scheitert, ist keiner frei von Schuld.
       
       taz: Was bleibt denn von der Ampel außer dem Deutschlandticket? 
       
       Dürr: Also … Zumindest ist es uns gelungen, steuerliche Entlastungen
       hinzubekommen, gerade für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Und das
       Sondervermögen für die Bundeswehr bleibt, da hat die Regierung nach dem
       Beginn des russischen Angriffskriegs richtig reagiert.
       
       taz: Wir hätten gedacht, Sie nennen auch die doppelte Staatsbürgerschaft
       oder das Selbstbestimmungsrecht. Sind das Dinge, zu denen Sie nicht mehr
       stehen? 
       
       Dürr: Aber das reicht doch nicht aus, um das Land nach vorn zu bringen.
       Sonst wäre die Regierung nicht abgewählt worden.
       
       taz: Sie hatten am Anfang der Ampel Olaf Scholz gelobt, er habe „Drive“ und
       würde was voranbringen. Wann hat sich diese Bewunderung ins Gegenteil
       verkehrt? 
       
       Dürr: Das war keine Bewunderung. Aber die SPD hat zu schnell der Mut zu
       Reformen verlassen. Leider muss man feststellen, dass das jetzt auch bei
       der CDU der Fall ist.
       
       taz: Wann hatten Sie denn das letzte Mal Kontakt zu Scholz? 
       
       Dürr: [4][Als ich ihn nach der Bundestagswahl im Bundestag gesehen habe.]
       
       taz: Sie haben keinen Kontakt mehr? 
       
       Dürr: Mein Hauptfokus ist die Neuaufstellung der FDP. Es ist nicht die Zeit
       für nostalgische Kränzchen.
       
       taz: Auch nicht mit [5][Christian Lindner?] 
       
       Dürr: Wir sprechen immer mal wieder miteinander und haben ein gutes
       Verhältnis. Aber ich habe das große Glück, dass ich anders als andere
       Parteivorsitzende keine Vorgänger habe, die mir öffentlich gute Ratschläge
       geben.
       
       taz: Sind Sie froh, jetzt nicht mit der Union regieren müssen, die
       haufenweise neue Schulden macht? 
       
       Dürr: Ich bin immer bereit, Verantwortung zu übernehmen. Aber mit uns hätte
       es diese Schulden nicht gegeben. Eine Politik, die immer nur darauf setzt,
       dass der Staat seine Ausgaben steigert, bringt uns nicht voran. Deutschland
       ist nicht führend bei der Digitalisierung, bei neuen Technologien oder beim
       Klimaschutz. Diese Art der linken Wirtschaftspolitik ist in Deutschland
       krachend gescheitert. Und die Union beweist gerade, dass sie in Wahrheit
       wirtschaftspolitisch komplett links von uns steht.
       
       taz: Der Großteil der 500 Milliarden Euro für Infrastruktur und Klimaschutz
       wird erst noch verplant und verbaut. Sind Sie nicht etwas voreilig in Ihrer
       Kritik, das ganze Geld brächte nichts?
       
       Dürr: Es wird nur ein Teil Investitionen in der Infrastruktur ankommen.
       Denn jetzt werden auch Investitionsausgaben im Bundeshaushalt
       zurückgeschraubt, etwa für die Bahn. Da wird einfach nur Geld verschoben,
       damit man zusätzliches Geld für neue Subventionen hat.
       
       taz: Zum Beispiel für subventionierten Agrardiesel. Die Koalition hat die
       Rückerstattung für Landwirte wieder eingeführt. Schlimm? 
       
       Dürr: Es ist auf jeden Fall falsch, Landwirten einfach immer nur was
       wegzunehmen.
       
       taz: Aha. Wie wollen Sie dafür sorgen, dass wieder mehr Wähler:innen an
       die FDP glauben? 
       
       Dürr: Ich glaube, wir müssen mehr Risiko wagen. Wir müssen bereit sein,
       mehr Dinge zuzulassen. Wenn man so eine Art Vollkaskostaatsmentalität an
       den Tag legt, habe ich die große Sorge, dass unser Land Zukunft verpasst.
       Ich bin davon überzeugt, dass viele Menschen sehr wohl für Veränderungen
       bereit sind. Wir erarbeiten gerade ein neues Grundsatzprogramm, das im
       nächsten Jahr beschlossen werden soll.
       
       taz: Sie wollen sich an die radikale Mitte wenden. Wer oder was soll das
       sein? 
       
       Dürr: Wir sind eine Partei der Mitte, aber ich will nicht Teil der
       Konsenssoße und des Status quo sein. Die FDP muss sich davon abheben. Wir
       haben die Extremisten links und rechts. Es muss ein drittes Angebot aus der
       Mitte geben, mit mutigen Reformvorschlägen für die sozialen
       Sicherungssysteme und in der Bildungspolitik. Aber auch beim Thema
       Migration.
       
       taz: Was schwebt Ihnen da vor? 
       
       Dürr: Es dürfen keine Menschen mehr durch Schlepperkriminalität ins Land
       kommen, wo sie teilweise auf den Routen sogar ihr Leben lassen.
       Andererseits warten Menschen nicht selten zwei Jahre auf ein Arbeitsvisum.
       Arbeitgeber verzweifeln, weil sie die Arbeitskräfte nicht ins Land bekommen
       und an der Grenze dauert es zwei Sekunden, um als Asylbewerber oder
       Flüchtling anzukommen. Wir müssen unser Einwanderungssystem komplett auf
       den Arbeitsmarkt statt auf das Asylsystem ausrichten.
       
       taz: Wollen Sie das Grundrecht auf Asyl abschaffen? 
       
       Dürr: Nein, denn echte Asylfälle machen nur 0,7 Prozent der Schutzgesuche
       aus.
       
       taz: Also wollen Sie die europäischen Vereinbarungen zum subsidiären Schutz
       abschaffen? 
       
       Dürr: Wir müssen hinterfragen, ob der subsidiäre Schutz noch funktioniert.
       Wir sollten über Flüchtlingskontingente sprechen für Menschen, die
       tatsächlich in akuter Gefahr sind. Es wäre doch viel sinnvoller, Menschen,
       die wirklich schutzbedürftig sind, aus einem Konfliktgebiet über
       Kontingente direkt ins Land zu bringen, als dass man sie kriminellen
       Schleppern überlässt und sie unterwegs Lebensgefahr aussetzt.
       
       taz: Migration sehen Sie also als großes Thema. Was noch? 
       
       Dürr: Mein Ansatz ist, aus der Sicht der Menschen zu denken. Die meisten
       sagen, sie haben Probleme mit den Lebenshaltungskosten und können sich
       immer weniger von ihrem Lohn leisten. Linke Politik würde nur sagen, lasst
       uns die Preise regulieren. Ich glaube, das führt in die Irre.
       
       taz: Und Sie sehen die gestiegenen Lebenshaltungskosten, die Immobilien-
       und Grundstückspreise nicht als Problem, sondern sagen: Der Markt regelt
       das? 
       
       Dürr: Das Problem ist doch, dass der Staat jungen Menschen teilweise fast
       die Hälfte von ihrem Lohn wegnimmt. Ich bin dagegen, dass der Staat die
       Preise festlegt. Das wäre auch das Gegenteil der DNA der FDP. Aber nehmen
       wir es hin, dass gerade junge Menschen in den kommenden Jahren immer höhere
       Sozialversicherungsbeiträge zahlen und sich immer weniger leisten können?
       Da sind wir doch bei den Lebenshaltungskosten.
       
       taz: Was schlagen Sie vor, um diese zu senken? 
       
       Dürr: Wir sind eine alternde Gesellschaft, deshalb brauchen wir die
       Einwanderung in den Arbeitsmarkt. Das zweite ist: Menschen müssen wieder
       die Möglichkeit haben, sich ein Vermögen aufzubauen. Dieses Versprechen ist
       in Deutschland gebrochen. Dazu gehört Kapitaldeckung in den sozialen
       Sicherungssystemen. Für die Rente hatten wir das vorgeschlagen mit der
       Aktienrente. Ich würde das gerne ausweiten auf die Kranken- und
       Pflegeversicherung.
       
       taz: Das heißt, die Leute zahlen Gesundheit und Pflege künftig mehr privat
       aus eigener Tasche. 
       
       Dürr: Linke Politik befindet es als gut, wenn Menschen in ein soziales
       Sicherungssystem einzahlen, aus dem sie am Ende wenig rausbekommen. Ich bin
       der Überzeugung, dass es gut ist, wenn Millionen von Menschen, insbesondere
       Menschen mit geringem Einkommen, das gleiche Geld am Kapitalmarkt anlegen
       und dort sparen.
       
       taz: Wären Sie dafür, dass Erb*innen großer Vermögen etwas mehr abgeben
       zum Wohle der Hälfte der Bevölkerung, die keines hat? Bei
       Unternehmensvermögen gibt es Ausnahmen, die dafür sorgen, dass
       Millionenbeträge leistungslos weitergegeben werden können. 
       
       Dürr: Eine Erbschaftssteuer, die mit einem Satz von beispielsweise 30
       Prozent das Unternehmen belasten würde, würde bedeuten, dass 30 Prozent
       eines Unternehmens veräußert oder weggeschnitten werden müssten. Das kann
       niemand wollen.
       
       taz: Sie sind also dagegen, Privilegien abzuschaffen, die erlauben, dass
       Vermögen steuerfrei verschenkt oder in Stiftungen versteckt werden kann? 
       
       Dürr: Ihre Frage unterstellt, dass das möglich sei. Ich behaupte, dass eine
       hohe Erbschaftssteuer für Unternehmen nicht möglich ist, ohne dass
       Arbeitsplätze verloren gehen.
       
       taz: Also keine Reform der Erbschaftssteuer mit der FDP. 
       
       Dürr: Ich würde sogar noch weiter gehen: Ich bin gegen eine Erhebung von
       Erbschaftssteuer, wenn sie Vermögen betrifft, an denen Arbeitsplätze
       hängen. Familienunternehmen, die von der einen an die nächste Generation
       weitergegeben werden, sind unser letzter Wettbewerbsvorteil in Deutschland.
       
       taz: Verengen Sie den Liberalismus in der FDP nicht zu sehr auf
       Marktradikalität? Gibt es nicht darüber hinaus eine größere Erzählung von
       Freiheit? 
       
       Dürr: Sie machen einen Widerspruch aus, den ich nicht sehe. Die Freiheit
       des Einzelnen und wirtschaftliche Freiheit gehören unmittelbar zusammen.
       Das ist ein Grund, warum die FDP glasklar gegen Chatkontrolle ist. Das
       unterscheidet uns von der Union. Für uns steht der Einzelne im Vordergrund.
       Das gilt auch bei der Überwachung.
       
       taz: Die Frage zielte darauf ab, warum es die FDP nicht schafft, eine
       liberale Gegenerzählung zum um sich greifenden Autoritarismus zu liefern. 
       
       Dürr: Ich will die FDP genau in diese Richtung erneuern. Der Grund, warum
       die Extremisten Zustimmung finden, ist nicht, weil die Leute deren Thesen
       teilen, sondern weil sie bitter enttäuscht sind von den anderen Parteien.
       
       taz: Auch von Ihrer. 
       
       Dürr: Der Unterschied ist, dass die FDP keine moralischen Fensterreden
       hält, sondern sehr konkrete Änderungsvorschläge macht.
       
       taz: Würden Sie für uns noch diesen Satz ergänzen: Ein Bundestag ohne die
       FDP ist wie … 
       
       Dürr: … eine liberale Demokratie ohne Liberale. Und das funktioniert nicht.
       
       taz: Funktioniert doch aktuell. 
       
       Dürr: Da widerspreche ich.
       
       9 Nov 2025
       
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