# taz.de -- Aktivist:innen gegen Leerstand: Mühsame Instandbesetzung in Bremen
       
       > Seit gut zwei Wochen haben Aktivist*innen in der Bremer Neustadt ein
       > leer stehendes Haus besetzt. Ein Besuch bei Schimmel, Kälte und
       > Dunkelheit.
       
 (IMG) Bild: Innen voller Schimmel: besetztes Haus in der Bremer Neustadt
       
       Mehrere Mate-Dosen stehen vor der Tür in der Kornstraße 155. Eine kleine
       Spende von Nachbar*innen, eine von vielen: Die Aktivist*innen der
       Gruppe „Leerstand gestalten“ erfahren eine Menge Solidarität, seit sie
       [1][vor gut zwei Wochen das Haus in der Bremer Neustadt besetzt haben.]
       
       Das Gebäude steht im Mittelpunkt eines Konflikts, der längst zum Politikum
       geworden ist: ein Streit zwischen Eigentumsrecht, Wohnungspolitik und der
       Frage nach legitimen Formen des Protests. Ein Besuch vor Ort zeigt die
       enorme Fläche ungenutzten Raums und zugleich das Ausmaß der Verkommenheit.
       
       Mit dem dreistöckigen Haus mitten in der beliebten Bremer Neustadt ist
       schon lange nicht mehr viel los. Zwar befand sich von 2003 bis 2020 ein
       Büro der benachbarten Sparkassenfiliale im Erdgeschoss, die oberen Etagen
       gehörten jedoch nicht dazu. Seit 2020 steht das Haus nun komplett leer. Vor
       zwei Jahren hat ein Wasserschaden die Substanz weiter in Mitleidenschaft
       gezogen. Doch nicht alles, was heute an Schäden im Haus zu sehen ist, lässt
       sich darauf zurückführen.
       
       Es waren Anwohner*innen, so erzählen es die Leute von „Leerstand
       gestalten“, die auf die Situation aufmerksam gemacht hätten. Vor rund zwei
       Wochen besetzten die Aktivist*innen der Gruppe das dreistöckige Haus.
       Mittlerweile gibt es eine Anzeige wegen Hausfriedensbruchs, die Polizei
       forderte die Aktivist*innen auf, zu gehen. Eine Räumung gab es bisher
       nicht: Die Besetzung hält bis heute an.
       
       ## Schimmel, überall Schimmel
       
       Schon beim Betreten des Hauses steigt der feuchte, modrige Geruch in die
       Nase. Es ist dunkel und kühl: Gas und Strom wurden kurz nach der Besetzung
       abgeschaltet – aus Sicherheitsgründen, heißt es von der Polizei. Es wirkt
       nahezu gespenstisch. An fast jeder Tür hängt ein Zettel mit einem Hinweis
       zum Schimmelbefall. Die meisten Räume stehen leer. Nur einem geben ein paar
       Möbelstücke und Kerzenlicht eine vage wohnzimmerartige Atmosphäre. Ein paar
       selbstgemachte Plakate hängen an der Wand, Genaues lässt sich nicht
       erkennen, es ist sehr dunkel.
       
       Mir als Journalisten bieten die Besetzer*innen eine FFP2-Maske an, sie
       selbst aber tragen nur rote Sturmmasken, zur Vermummung. Keine Angst vor
       Schimmelsporen? „Uns ist das Risiko natürlich bewusst“, sagen die
       Besetzer*innen. „Aber wir stellen die Alltagstauglichkeit über unsere
       Gesundheit. Mit Maske hier zu leben, wäre einfach nicht praktikabel.“ Um
       die Belastung zumindest zu verringern, hätten sie bereits damit begonnen,
       größere Schimmelflächen zu bekämpfen. Leicht ist das nicht: Ohne Heizung
       oder Strom lässt sich gegen die Feuchtigkeit kaum etwas ausrichten.
       
       Auch sonst sind die Bedingungen alles andere als einfach: Trotz Winterjacke
       und heißem Tee ist es empfindlich kalt. Eine Art Schichtdienst in der
       Besetzung, die Möglichkeit, mal rauszukommen, gäbe es nicht. [2][Das läge
       auch an der weiterhin starken Präsenz der Polizei.] „Wir versuchen, unseren
       Alltag hier so gut es geht aufrechtzuerhalten“, sagt eine der
       Besetzer*innen. Einige arbeiten von hier aus im Homeoffice, andere gehen
       ihrem Studium nach.
       
       Dass es in den nächsten Wochen kälter wird, ist ihnen bewusst. „Wir ziehen
       uns warm an.“ Alle schlafen in einem Raum, dicht beieinander. Das wärmt.
       Wer nicht schläft, steht Schmiere, eine Nachtwache vertreibt sich die lange
       Zeit mit Puzzeln. „Wir haben immer noch die Befürchtung, dass bald eine
       Räumung erfolgen könnte“, sagt eine Besetzerin.
       
       Die Besetzer*innen wirken trotzdem eher entschlossen als müde.
       Allerdings auch ein bisschen verhalten, so richtig ins Erzählen kommen sie
       nicht. „Die Solidarität aus der Nachbarschaft ist beeindruckend“, sagt
       einer. Einen ganzen Karton Yum-Yum-Nudeln hätten sie gespendet bekommen.
       Täglich werde draußen gekocht; und Kleiderspenden würden auch regelmäßig
       vorbeigebracht. Die Unterstützung von außen scheint die fehlende Wärme im
       Haus zu kompensieren.
       
       Fotos aus den ersten Tagen der Besetzung zeigen große Schutthaufen in den
       Räumen. Mittlerweile sind sie verschwunden; viele Stunden stecken die
       Aktivist*innen darein, das Haus wieder bewohnbar zu machen. Caroline
       Brauer, Pressesprecherin von „Leerstand gestalten“, sagt, sie stünden
       derzeit mit Architekt*innen in Kontakt, um eine mögliche Sanierung des
       Gebäudes zu planen. Es gibt viel zu tun, nicht nur der allgegenwärtige
       Schimmel ist ein Riesenproblem. Im Flur fehlt die Decke stellenweise
       vollständig, Lampen hängen lose herab oder liegen bereits auf dem Boden.
       
       ## Solidarität aus dem Stadtteil
       
       Die Gruppe versucht auch außerhalb des Hauses, sich im Stadtteil zu
       vernetzen. Täglich wird ein Programm mit Workshops, Lese- und Filmabenden
       angeboten. Gerade findet ein Trommelworkshop vor dem Haus statt; das
       Interesse scheint groß: Leute kommen und gehen, suchen das Gespräch, hören
       zu oder machen mit – Kinder, Erwachsene, auch eine ältere Frau hat sich
       eine Trommel genommen. Die Strategie, Nähe zu den Menschen aus der
       Nachbarschaft zu suchen, scheint aufzugehen. Die Gruppe bekommt
       Aufmerksamkeit – und das ist dabei ihr größter Erfolg.
       
       Der Eindruck bestätigt sich bei einem Spaziergang durch die Neustadt. Ob im
       Falafel-Imbiss, in der Straßenbahn oder auf der Straße: überall scheint vor
       allem Verwunderung über den langen Leerstand zu herrschen. Viele sagen, sie
       könnten nachvollziehen, warum die Aktivist*innen das Haus besetzt
       haben.
       
       Mehrere Menschen erzählen auch von ihrer Sorge über den angespannten
       Wohnungsmarkt in Bremen. Sie berichten von steigenden Mieten und
       schwierigen Wohnungssuchen. Tatsächlich verschärft sich die Lage in Bremen
       seit Jahren: Um 57 Prozent sind die Mieten seit 2015 gestiegen, während der
       Bedarf an Wohnraum wächst. 13.000 Wohnungen in der Stadt stehen leer.
       
       Inzwischen befasst sich auch die Bremer Politik mit der Besetzung. Sofia
       Heuser, Mitglied des Landesvorstands der Linken, begrüßt die Aktion. „Das
       Haus steht seit über zwanzig Jahren leer und verfällt“, sagt sie. Es sei
       ein Beispiel dafür, wie Wohnraum in der Privatwirtschaft zum
       Spekulationsobjekt verkommt.
       
       Thore Schäck, Fraktionsvorsitzender der FDP Bremen, bewertet das
       erwartungsgemäß ganz anders. Er kritisiert die Besetzung scharf: „Wer leer
       stehende Häuser eigenmächtig besetzt, missachtet das Eigentum anderer und
       verstößt gegen Grundrechte. Linke Hausbesetzer, die den Rechtsstaat mit
       Füßen treten, brauchen wir hier in Bremen nicht.“
       
       Die Auseinandersetzung berührt grundlegende Fragen der Wohn- und
       Eigentumspolitik. Wohnraum dem privaten Markt zu überlassen, hätte
       offensichtlich nicht funktioniert, meint Caroline Breuer. Verteidigt werde
       in der Kornstraße nicht weniger als das Recht auf Wohnen. [3][Dafür seien
       auch illegale Mittel legitim:] „Gesetzesübertretungen waren schon immer
       Teil von gesellschaftlichen Veränderungen zum Besseren“, sagt sie.
       
       2 Nov 2025
       
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