# taz.de -- Russischer Aktivist über Umweltkämpfe: „Menschen blockieren Maschinen mit ihrem Körper“
       
       > Die ökologische Bewegung ist auch unter Putin aktiv, sagt Vitali
       > Servetnik. Große Projekte seien zwar kaum zu stoppen, lokale aber schon.
       
 (IMG) Bild: Ende Gelände goes Russia
       
       taz: Vitali, früher war die russische Umweltbewegung auch im Westen präsent
       mit ihren Recherchen zu fossilen Verschmutzungen oder ihrem Kampf gegen
       Atomkraft. Aber es ist still geworden. Ist der Krieg gegen die Ukraine
       daran schuld? 
       
       Vitali Servetnik: Die russische Umweltbewegung lebt, lediglich die Formen
       ihrer Arbeit haben sich verändert. Öffentlichkeitsarbeit und Pressearbeit
       sind schwieriger geworden. Das liegt zum einen daran, dass die offiziellen
       russischen Medien weniger über uns schreiben. Die unabhängigen Medien
       dagegen schreiben zwar über uns, aber [1][sie haben oft einen Status, der
       für viele Aktivisten eine Hemmschwelle für eine Zusammenarbeit] ist.
       Trotzdem tut sich viel. Jetzt arbeitet die russische Umweltbewegung
       dezentral und lokal. Sie organisiert sich über die sozialen Netze, vor
       allem Telegram.
       
       taz: Hat sie damit Erfolge, von denen außerhalb Russlands einfach wenig
       bekannt wird? 
       
       Servetnik: Erfolgreich sind russische Umweltschützer oft, wenn sie ein
       lokal wichtiges Thema anpacken: eine Müllverbrennungsanlage, Mülldeponien,
       starke Luftverschmutzung, den Schutz eines Parkes vor den Baggern.
       
       taz: Wie steht die russische Umweltbewegung zum Krieg gegen die Ukraine? 
       
       Servetnik: Ich persönlich habe wegen dieses Krieges meine Heimat verlassen.
       Und auch andere Kollegen haben sich zu diesem Schritt entschieden. Viele
       Umweltorganisationen haben sich zu Beginn des russischen Einmarsches
       öffentlich dagegen ausgesprochen. Doch vor dem Hintergrund neuer
       Zensurmaßnahmen mussten sie ihre Erklärungen im Netz löschen. Einige
       Aktivisten haben öffentlich auf der Straße demonstriert. Sie wurden
       deswegen verfolgt, unter Druck gesetzt. Deshalb beziehen russische
       Umweltschützer nun immer weniger zum Krieg Stellung.
       
       taz: Das Machtgefälle ist zu groß geworden? 
       
       Servetnik: Ökologisches Engagement ist in Russland entpolitisiert. Aber
       jeder, der sich mit Ressourcenfragen beschäftigt, greift automatisch in
       Macht- und Geldverhältnisse ein. Das führt dazu, dass Umweltproteste auch
       dann kriminalisiert werden, wenn sie keine explizite Kritik an der
       Regierung äußern.
       
       taz: Wie geht die Arbeit russischer Umweltschützer überhaupt vor sich? 
       
       Servetnik: Mit der Schließung unabhängiger NGOs – [2][viele wurden als
       sogenannte ausländische Agenten gebrandmarkt] – fehlt häufig die
       professionelle Begleitung von Umweltprojekten. Früher konnten
       Expert:innen bei der Planung eingreifen, Umweltgutachten erstellen oder
       zu öffentlichen Anhörungen mobilisieren. Heute erfahren Bürger:innen oft
       erst vom Bau eines Projekts, wenn die Bagger bereits vor der Haustüre
       stehen – und dann bleibt ihnen oft nur der direkte Widerstand.
       
       taz: Wie sieht der aus? 
       
       Servetnik: Menschen blockieren Maschinen mit ihrem Körper. Diese spontanen
       Protestformen haben zugenommen – mit allen Risiken: Polizeiübergriffe,
       Strafverfahren, Repressionen.
       
       taz: Wie erfolgreich sind diese Proteste? 
       
       Servetnik: Trotz der schwierigen Lage [3][dokumentiert die Ökologische
       Krisisgruppe jährlich dutzende Siege für die Umwelt] – eben meist lokal
       errungene Erfolge wie die Rücknahme von Bauprojekten. 2022 haben wir 50
       Erfolge dokumentiert, 2023 waren es 70 und 2024 mehr als 70. Das zeigt:
       Widerstand ist nicht sinnlos. Auch juristische Erfolge gibt es.
       Aktivist:innen konnten sich gegen ungerechtfertigte Strafen wehren, in
       Einzelfällen sogar Strafverfolger oder Angreifer rechtlich belangen.
       
       taz: Wie ist es bei Großprojekten? 
       
       Servetnik: Große Infrastruktur- oder Industrieprojekte – etwa im Auftrag
       von Gazprom, Rosatom oder anderen staatsnahen Konzernen – sind kaum
       aufzuhalten. Wenn hinter einem Projekt ein Freund Putins steht, dann gibt
       es kaum eine Chance.
       
       taz: Wie wichtig ist die Umweltbewegung für die russische
       Zivilgesellschaft? 
       
       Servetnik: Umweltaktivismus ist eine Art Bürgerschule. Wer sich für saubere
       Luft oder gegen einen Asphaltweg durch den Stadtpark einsetzt, wird
       zwangsläufig politisiert. Ökologische Aktivität fördert
       zivilgesellschaftliches Denken. [4][Menschen lernen, ihre Rechte zu
       verteidigen – auch über Umweltfragen hinaus]. Diese Politisierung zeigt
       sich auch in einer auffälligen Korrelation: Regionen mit hoher
       Umweltprotestaktivität wie Archangelsk, Komi oder Baschkortostan gehören
       häufig auch zu jenen, aus denen besonders viele Stimmen gegen den Krieg
       kommen.
       
       taz: Wie ist der aktuelle Stand bei den Repressionen? 
       
       Servetnik: Derzeit sind uns die Namen von acht russischen Umweltschützern
       bekannt, die wegen ihrer ökologischen Arbeit inhaftiert sind: Wladimir
       Gorenkow, Marat Scharafutdinow, Fail Alsynow, Julai Ajupow, Aitugan
       Abdullin, Alfinur Rachmatullina, Sergei Legkobitow, Achmet Jakupow. Sie
       leiden nicht als Einzige unter den Repressionen. Es gibt weitere
       Aktivisten, die mit Geldstrafen, Arreststrafen und anderen repressiven
       Maßnahmen bestraft wurden.
       
       taz: Können Sie, der Sie derzeit nicht in Russland leben, vom Ausland aus
       etwas für die russische Umweltbewegung tun? 
       
       Servetnik: Sehr viel. Ich stehe täglich im Kontakt mit russischen
       Umweltschützern. Und ich kann im Gegensatz zu ihnen an die Öffentlichkeit
       gehen.
       
       18 Dec 2025
       
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