# taz.de -- Stolperstein-Rundgang in Charlottenburg: Spazieren hilft gegen Vergessen
       
       > Stolperstein-Spaziergänge erinnern an die Novemberpogrome. Ein Zentrum
       > jüdischen Lebens in Berlin war und ist Charlottenburg.
       
 (IMG) Bild: Das Treblinka-Mahnmal vor dem Amtsgericht Charlottenburg
       
       Eingepackt in warme Wintermäntel drängen sich am Sonntagvormittag etwa 40
       Menschen am Amtsgericht Charlottenburg um eine Bronze-Skulptur. Sie stellt
       „übereinanderliegende, ermordete Menschen“ dar, wie Evelyn Krause-Kerruth
       von der Initiative Stolpersteine erzählt. Menschen, die nicht mehr aussehen
       wie solche, weder wie lebende noch wie tote. Ihre Körper sind bis zur
       Unkenntlichkeit abstrahiert, und das war wohl auch die Intention des
       jüdisch-ukrainischen Bildhauers Vadim Sidur, der diese Skulptur im Jahr
       1966 schuf.
       
       Denn das Treblinka-Mahnmal steht für die mehr als 800.000 Jüdinnen und
       Juden sowie die etwa 2.000 Sinti und Roma, die von den Nationalsozialisten
       im Vernichtungslager Treblinka östlich von Warschau ab dem Jahr 1942
       ermordet wurden – unter ihnen waren auch aus Berlin Deportierte. Es wurde
       1979 vor dem Amtsgericht aufgestellt, denn die Justiz nahm im Dritten Reich
       eine Schlüsselrolle in der Vernichtung ein. „Sie war zuständig für die
       Registrierung jüdischer Menschen“, sagt Krause-Kerruth. „Eine Voraussetzung
       für ihre Deportation.“
       
       Das Treblinka-Mahnmal ist die erste Station eines der am Sonntag in der
       ganzen Stadt stattfindenden Stolperstein-Spaziergänge, die an die
       [1][Novemberpogrome von 1938 erinnern]. „Wir versuchen, die
       unterschiedlichen Geschichten von Jüdinnen und Juden in Berlin
       aufzuzeigen“, sagt James Diskant, der sich wie Krause-Kerruth in der
       Bürgerinitiative Stolpersteine im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf
       engagiert.
       
       Denn die Nacht vom 9. auf den 10. November markierte die Plünderung und
       Zerstörung von Synagogen und Betstuben, von jüdischen Geschäften und
       Wohnungen. Dort, wo Jüdinnen und Juden beteten, arbeiteten, wohnten. Wie
       auch hier in Charlottenburg, in der Nähe des Lietzensees, der zwischen
       gutbürgerlichen Wohnhäusern und knorrigen Bäumen mit gelben Blättern fast
       schon tröstlich sanft und leise daliegt.
       
       ## 4.000 von 11.000 Berliner Stolpersteinen
       
       Suarezstraße, Witzlebenstraße, Neue Kantstraße. Weit muss man nicht
       spazieren, um wortwörtlich über jüdisches Leben zu stolpern. Denn dieses
       war und ist ein prägender Bestandteil Charlottenburgs. Davon zeugen die
       über 4.000 verlegte Stolpersteine. Berlinweit sind es mehr als 11.000.
       
       Ob Stolpersteine nur an Personen erinnern, die in Konzentrationslagern
       ermordet wurden, möchte eine Teilnehmerin des Spaziergangs wissen.
       „Stolpersteine erinnern an alle, die von den Nazis verfolgt wurden“,
       erklärt Diskant. „Jüdinnen und Juden, Sinti und Roma, Homosexuelle,
       Sozialdemokratinnen und Kommunistinnen, Schwarze Menschen.“
       
       Dass es ein Bedürfnis nach Erinnern gibt, verdeutlicht die Liste mit
       Anträgen für Personen, denen ein Stolperstein gewidmet werden soll. Sie ist
       in Charlottenburg-Wilmersdorf so lang, dass vorerst keine weiteren Anträge
       mehr angenommen werden, um mit der Produktion der handgefertigten Steine
       voranzukommen.
       
       Gegen Ende der Tour schließt sich abermals der Kreis zur NS-Justiz. Am
       Lietzensee verbirgt sich hinter Zäunen das damalige Reichskriegsgericht,
       der höchste Gerichtshof der Wehrmachtsjustiz. Von hier gingen Todesurteile
       unter anderem gegen Menschen aus, die man heute als
       Kriegsdienstverweigernde bezeichnen würde. Eine Aufarbeitung seitens der
       Justiz nach 1945 blieb lange aus. Doch langsam stellt man sich auch hier
       der Geschichte.
       
       9 Nov 2025
       
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