# taz.de -- taz-Leser der ersten Stunde: Ein Leben, radikal gelesen
       
       > Pejo Boeck schaffte es auf die Titelseite der ersten taz-Ausgabe. Und
       > seitdem? Zu Besuch bei einem Mann, der die taz ein Leben lang begleitet
       > hat.
       
 (IMG) Bild: Peter-Josef „Pejo“ Boeck in seinem Haus in Bielefeld
       
       Auf der betagten dunkelbraunen Wohnzimmerkommode liegen fein säuberlich ein
       paar Stapel laminierter taz-Seiten: Das sind, erklärt Hausherr Peter-Josef
       (Pejo) Boeck, 76, „rund 250 Seiten, die mir in den letzten Jahren besonders
       wichtig waren“. Eine Art Erbe: „tazzen für andere mal irgendwann.“ Beim
       beiläufigen Herumblättern entdeckt Fotograf Max Mann gleich: „Ach, da, das
       Bild ist von mir.“
       
       Pejo Boeck, Abonnent seit 1980, längst auch Genosse („einer der ersten
       Stunde“), ist der taz solidarisch und kritisch zugetan. Und er hat eine
       Lebensgeschichte, die ihresgleichen sucht, voller Wendungen, Turbulenzen,
       Schicksalsschlägen. Und in mancherlei Hinsicht spiegelt sich die Geschichte
       der taz in der ihres Abonnenten Boeck.
       
       Zufällig begann diese gemeinsame Geschichte gleich mit der ersten Ausgabe
       am 17. April 1979. Auf der Titelseite unten rechts, nachlesbar im
       Jubiläumsband „40 Jahre Taz – das Buch“, ist ein Text angekündigt: „Geburt
       nach Stoppuhr – Dortmunder Eltern klagen gegen das Städtische Krankenhaus
       (Seite 8).“ Es geht um die dramatisch verpfuschte Klinikgeburt der kleinen
       Sabine, die schwerstbehindert so gerade mit dem Leben davon kam. Der
       klagende Vater war Pejo Boeck.
       
       Wir sitzen, 46 Jahre später, in seinem Wohnzimmer in Bielefeld bei
       selbstgebackenem Pflaumenkuchen, überaus köstlich. Drumherum moderne
       Gemütlichkeit: ein Picasso-Druck an der Wand, ein paar pakistanische
       Kunstgegenstände und Bilder, plakativ-bunte Teppiche, die großen Fenster
       alle bis zum Boden: „Ich brauche den weiten Blick und viel natürliches
       Licht.“ Ringsum stehen, als Gegensatz zur idyllischen Frische, ein paar
       gediegene restaurierte Möbel. „Mein Vater war Hausmeister in einem
       Seniorenheim. Ein Bewohner starb und hinterließ all die Sachen, die niemand
       wollte.“ Könne er haben, habe die Heimleitung gesagt, „wenn er 60 Stunden
       Extraschicht drauflege“.
       
       Extraschichten verlangte Pejo Boeck das Leben so einige ab. Da war
       zuvörderst der 23. August 1978. „Das war der Tag, der mein Leben von Grund
       auf verändert hat.“ Am errechneten Geburtstermin von Tochter Sabine macht
       sich Ehefrau Ulla Boeck morgens auf den Weg in die städtische Frauenklinik
       Dortmund. Dort geht alles schief. Man leitet wehenauslösend die
       „programmierte Geburt“ ein – offenbar erfolglos. Der Dienstschluss droht.
       Eilig wird mit Zange und Saugglocke hantiert. Alles dauert ein paar
       Ewigkeiten zu lang.
       
       Das Kind wird kaum überlebensfähig auf die Welt geholt, schwerste
       Behinderungen sind sicher. Einziger Mediziner im Kreißsaal ist
       Assistenzarzt Dr. F. in seinem ersten Berufsjahr, offenbar überfordert. Der
       Oberarzt in Rufbereitschaft wohnt 20 Minuten entfernt und kommt viel zu
       spät.
       
       Die Eltern Boeck verklagen die Ärzte wegen „fahrlässiger schwerer
       Körperverletzung“ und das Krankenhaus zivilrechtlich auf Schadenersatz,
       Schmerzensgeld, Rente. Es sollte einer der längsten Kunstfehlerprozesse der
       deutschen Rechtsgeschichte werden. Dazu später mehr.
       
       Die taz, sagt Boeck, habe er [1][von den Nullnummern 1978] an neugierig
       verfolgt. „Ich dachte aber, eine Tageszeitung, das ist zu ambitioniert, das
       geht schief.“ Also habe er nur ab und an am Kiosk eine gekauft. Zudem:
       „1978 begann das Drama um meine Tochter, der Prozess. Und ich war gerade
       voll beschäftigt mit der Gründung erst der Bunten Liste und dann dem
       Kreisverband der Grünen in Dortmund.“
       
       Und dann war da 1977/78 noch dies: Von seiner beschaulichen Geburtsstadt
       Kleve am Niederrhein aus landete er zum Studium 1970 in Berlin. Nach dem
       Abschluss als Diplom-Volkswirt und -Handelslehrer an der Freien Universität
       in Westberlin folgte das Referendariat in Wuppertal und 1977 schließlich –
       das Berufsverbot.
       
       „Im Fachbereichsrat Ökonomie war ich Ersatzkandidat der Roten Zellen
       gewesen. Und Mitarbeiter in der Liga gegen den Imperialismus, Ortsgruppe
       Kreuzberg, der damals auch die spätere grüne Vizepräsidentin des
       Bundestags, Antje Vollmer, angehörte“, sagt Boeck. Es ging „um
       Solidaritätsarbeit für die Völker Indochinas, für die Befreiung Afrikas aus
       kolonialer Unterdrückung, für das chilenische Volk etc. Das war zentral für
       die Begründung des Berufsverbots.“
       
       Radikalenerlass hieß das Werkzeug der Behörden. Solche linken
       Verfassungsfeinde auf Kinder loslassen? Um Staates willen – nein. „Das
       alles passierte zudem im Deutschen Herbst. Protestier da mal gegen …“, sagt
       Boeck heute. Vorübergehend kam er an einer Privatschule unter und half dort
       bei der Berufsqualifikation für Spätaussiedler.
       
       Das Berufsverbot sollte lange fünf Jahre bleiben. „1982 hat das neue
       SPD-Ministerium in NRW Altfälle wie mich abgearbeitet“, eingebettet in
       „eine ganz eindrucksvolle Geschichte“: Ein hoher Ministerialbeamter habe
       ihn zu einem informellen Privatbesuch nach Hause gebeten. „Nach langem
       Zögern bin ich hin. Der Mann sagte, wenn er eine neue Schule einrichten
       müsste, würde er lauter Berufsverbotler einstellen. Dann wisse er
       wenigstens, dass das läuft.“ Ergänzt um den Satz: „Leute wie Sie brauchen
       wir im Schuldienst!“
       
       Pejo Boeck sah sein Mantra bestätigt: „Es lohnt sich immer zu kämpfen, die
       eigenen Ansichten offensiv und gradlinig zu vertreten. Immer authentisch zu
       bleiben.“ Die Bezirksregierung war indes wenig beeindruckt: „Die wollte
       noch gegen die Aufhebung des Berufsverbots aufbegehren.“ Boeck bekam eine
       Stelle in Lünen nahe Dortmund. Zur Begrüßung sagte der Schulleiter: „Wir
       wollten Sie gar nicht, aber wir mussten Sie nehmen.“ Später war Boeck
       Lehrer an diversen Berufskollegs, Pensionierung im Sommer 2015. Und direkt
       nach den Ferien stieg er für zwei Jahre in Teilzeit wieder ein, „wegen
       einer neuen Flüchtlingsklasse“.
       
       Tochter Sabine überlebte schwerstbehindert die verkorkste Geburt. Boecks
       wichtigster Kampf führte strafrechtlich zunächst zu einer Niederlage am
       Landgericht Dortmund, der angeklagte Assistenzarzt hatte einen
       „Schicksalsschlag“ geltend gemacht. Chancen für eine Nebenklagerevision
       beim Bundesgerichtshof? Drei Prozent, habe der junge Anwalt gesagt. „Hab
       ich gesagt: Das reicht mir.“
       
       Der Bundesgerichtshof hob das Urteil tatsächlich auf und verwies die Causa
       zur Neuverhandlung an eine andere Kammer. „Ich hatte Ärzte im
       Freundeskreis, wir haben interne Krankenhausakten bekommen, damit konnte
       der Anwalt sehr gut gebrieft werden.“ Dann Prozessgewinn im zweiten Anlauf.
       Jetzt rief die beklagte Klinik den BGH an. Springers Welt witterte empört
       „einen jungen Grünen, der Ärzte hinter Gitter bringen will“.
       
       1985 reiste Boeck zur mündlichen Verhandlung nach Karlsruhe. Wieder
       Karlsruhe: Da war er fünf Jahre zuvor auch beim Gründungsparteitag der
       Bundesgrünen gewesen. Seit 1979 ist Boeck „Mitglied der ersten Stunde“.
       
       Der Bundesgerichtshof wies die Revision der Klinik ab. „Die Entscheidung
       erfuhr ich auf einem Autobahn-Rastplatz auf der Rückfahrt. Ich habe einen
       Freudentanz gemacht und geweint vor Glück. Endlich alles vorbei.“ Zumindest
       strafrechtlich gesehen war das so: Der Assistenzarzt wurde rechtskräftig zu
       30 Tagessätzen à 300 D-Mark verurteilt, der Oberarzt indes freigesprochen.
       Wichtig ist Pejo Boeck dies: „Es ging mir nie um Rache, um Hass auf Ärzte,
       sondern allein um mein tiefstes Empfinden für Gerechtigkeit. Wut hatte ich
       nur auf den Klinikchef, der nie mit mir reden wollte.“
       
       Die Boecks gründeten den „Arbeitskreis Kunstfehler in der Geburtshilfe e.
       V.“ Pejo war jahrelang Vorsitzender: „Ich habe Eltern beraten, oft auch
       Anwälte, weil ich ja leider so viel Kenntnis hatte. So viele Schicksale,
       gebrochene Menschen, zerbrochene Ehen. Für mich war die Arbeit aber auch
       tröstlich.“ Er habe dadurch sein Schicksal annehmen können. Den Verein mit
       derzeit 400 Mitgliedern gibt es bis heute.
       
       Boecks Haus, Baujahr 2000/01, hat satte 240 Quadratmeter und liegt in einer
       gehobenen Wohngegend im Bielefelder Süden. Auch jetzt im Herbst blüht es
       noch im Garten, die feuerroten Dipladenia („meine Lieblingsblumen“)
       überstrahlen alles. Solarpanele sind auf dem Dach befestigt, die Räume
       „alle bestmöglich isoliert“. In der Gästetoilette überrascht eine private
       Seltenheit: ein Urinal. „Ich wollte so was unbedingt.“ Das hat pinkelnden
       Männern den Sitzstreik erspart und damit viel Wischarbeit. Im Keller
       schnurrt die Pelletsheizung, also, sagt Boeck: „Eine Wärmepumpe brauche ich
       nicht.“
       
       Alles ziemlich öko und idyllisch hier. „Klar ist das Haus sehr nobel. Für
       den jungen Pejo wäre das undenkbar gewesen. Aber er könnte es heute
       verstehen. Denn ohne Sabine gäbe es das ja nicht“, sagt Boeck.
       
       Die Tochter war zunächst in einer Behinderteneinrichtung der
       Bethel-Stiftung untergebracht, dann pflegten die Boecks sie viele Jahre zu
       Hause. Der Neubau war konzipiert für die vierköpfige Familie: Eltern,
       Tochter, Schwiegervater. Dazu eine Pflegekraft, alles rundherum
       schwerstbehindertengerecht geplant und entsprechend teuer. Der Rohbau war
       fertig, da starb Sabine im November 2000 mit 22 Jahren. „Sie konnte nie
       laufen und sprechen, lebenslang musste sie gefüttert und gewickelt werden.“
       Boeck spricht meist ausdauernd und druckreif. Jetzt stockt seine Stimme ein
       wenig: „Nur lachen konnte sie, und wie!“
       
       Das Riesenhaus blieb. Die Ehe scheiterte bald. Boeck heiratete erneut, aber
       auch diese Ehe hielt nicht. „Bei meiner zweiten Frau Elke weiß ich bis
       heute nicht recht, warum. Sie zog 2014 einfach aus.“ Wieder stockt seine
       Stimme kurz. Er berichtet von der neuen Partnerin Sonja, die in Düsseldorf
       lebt. Und wieder von Tochter Sabine: „Auch 25 Jahre nach ihrem Tod denke
       ich oft: Wie wäre sie wohl heute ohne diese verpfuschte Geburt!“
       
       Dem Grunde nach, wie Juristen sagen, wurde 1981 nicht nur straf-, sondern
       auch zivilrechtlich alles rechtskräftig geklärt, aber es waren noch keine
       Summen ausgemacht. Selbst nach Sabines Tod habe es noch „ungeklärte Fragen
       und Debatten“ gegeben. Der „Schicksalsschlag“ im Kreißsaal kostete die
       Verantwortlichen viele hunderttausend Mark. Und Boeck heute? „Ich bin immer
       noch sechsstellig verschuldet.“
       
       Pejo Boeck wusste bald drei Dinge: „Erstens: Ich will auf Dauer nicht
       alleine leben. Zweites: Eigentum verpflichtet. Und drittens: Finanziell
       kann ich das alleine nicht stemmen.“ Und so bot er 2016 dem
       Studierendenwerk der Uni Bielefeld Zimmer an. Es bewarben sich zwei
       Pakistani, ein Doktorand und ein Student. „Wir haben zusammen pakistanisch
       gekocht. Fantastisch. Und schon wohnten sie hier.“ Man könnte noch viertens
       ergänzen: So geht Kampf gegen Wohnungsnot auch. Wenn auch vielleicht in
       sehr kleinem Maßstab, zugegeben.
       
       Bis heute gab es immer neue MitbewohnerInnen, zeitweilig waren es mal acht,
       viele aus dem muslimischen Kulturkreis. Zwischenzeitlich brachte Boeck für
       neun Monate auch ein Polizistenpaar aus der Türkei unter, „die nach dem
       Putsch 2016 inhaftiert waren und dann auf abenteuerlichen Wegen fliehen
       konnten. Einmal habe ich sogar den Ramadan mitgemacht, ein ganz großes
       Erlebnis.“
       
       Seit drei Jahren wohnt jetzt die 41-jährige Pia hier, die eine Ausbildung
       zur Zugbegleiterin macht, und neuerdings Azeem, 27, Masterstudent im
       Studiengang Nachhaltige Energien. Einmal im Jahr lädt Boeck zu einem
       „großen internationalen und interkulturellen Gartenfest, zuletzt
       Halal-Grillen mit Menschen aus acht Ländern“. Der Grill auf der Terrasse
       ist ein klassisches Modell. „So ein modernes Gasding kommt mir nicht ins
       Haus“, sagt Boeck.
       
       Über die Hochschule vertieften sich ab 2017 die Kontakte nach Pakistan.
       Boeck erzählt von Einladungen nach Lahore, zu Vorträgen an der dortigen Uni
       über interkulturellen Austausch, „immer brechend voll“.
       
       Fünfmal war Boeck bis heute zu Gastvorträgen in Pakistan. Einmal bekam er
       als Ehrengast bei einer Promotionsfeier einen schwarzen Talar umgehängt und
       saß mit den einheimischen ProfessorInnen in der ersten Reihe. „Das Ding sah
       genauso aus wie bei uns 1967“, als die Studentenrevolte losging mit dem
       Spruch ‚Unter den Talaren – der Muff von 1.000 Jahren‘“. Peinlich, ein
       später Verrat? „Nein, ich habe das als große Wertschätzung empfunden.“ Mit
       Lerneffekt obendrein: „Der Talar an sich ist nicht falsch, entscheidend
       ist, wer drinsteckt.“
       
       Mitglied der Grünen ist Boeck bis heute geblieben. Dass die Partei nicht
       zur großen Gaza-Solidaritäts-Demo Ende September nach Berlin aufgerufen hat
       (wo Boeck „selbstverständlich hingefahren“ war), fand er „politisch
       falsch“: es herrsche „zu viel Staatsräson-Denken. Und bei Palästina sind
       wir viel zu leise.“ Die Ampel? „So sehr ich Robert Habeck schätze, aber er
       und die anderen haben viel zu wenig Kante gegen diese FDP gezeigt“, sagt er
       über den damaligen Grünen-Wirtschaftsminister.
       
       Was macht ihn zuversichtlich bei seiner Partei, den Grünen? „Gute Frage,
       schwere Frage“, sagt er. Pause. Dann: „Wir müssen Klimakrise und die
       soziale Frage viel besser zusammenbringen, das untere Drittel der
       Gesellschaft mehr in den Blick nehmen, auch gegen die AfD. Mein Traum
       bleibt eine gemeinsame links-grüne Partei.“
       
       ## Er macht Tomate-Mozarella für den taz-Reporter
       
       Welche Typen für ihn politisch Hoffnung ausstrahlen: „van Aken und auch
       Reichinnek“, sagt er. Also der Parteichef und die Fraktionsvorsitzende der
       Linken. Äh, Grüne nicht? „Ja doch, die beiden Vorsitzenden der
       Bundestagsfraktion, Haßelmann und Dröge. Und Sven Giegold, den Ex-Sprecher
       von Attac, den schätze ich sehr.“
       
       Jahrelang hat Boeck für die taz als eine Art analoger Influencer gewirkt.
       „Bei den taz-Kampagnen habe ich immer wieder für Abos geworben, auch
       Probeabos verschenkt.“ Vor drei Jahren etwa, ein rundes halbes Dutzend zu
       Weihnachten. Und auch im Unterricht habe er „in all den Jahren oft genug
       auch mit Texten aus der taz gearbeitet. Und FreundInnen immer wieder von
       den bereichernden Begegnungen auf den tazlab-Kongressen und den
       Geno-Versammlungen erzählt.“
       
       Der jährliche Genossenschaftstreff ist für Peter-Josef Boeck ein Fixpunkt
       im Leben geworden. „Das Tolle da ist: Man findet mit Fremden schnell sehr
       wohltuende Verbindungen. Das stärkt alle und wirkt lange in den Alltag
       nach. Gerade in diesen Zeiten brauchen wir so was wie die taz, um die wir
       uns scharen können. Und das wird in den nächsten Jahren noch wichtiger
       werden.“
       
       Pejo Boeck macht für den taz-Reporter dann noch Tomaten mit Mozzarella.
       Dabei erzählt er, dass er vor ein paar Jahren sein taz-Abo zeitweilig auf
       das digitale E-Paper umgestellt hatte. „Ich wollte schon mal das
       Zeitungslesen am Bildschirm lernen. Aber meine Selbstwahrnehmung war: Ich
       lese weniger und nicht so intensiv.“ Also hatte er wieder auf Print
       zurückgedreht, so lange es ging.
       
       Inhaltlich, findet er, habe seine taz „in all den Jahren einiges verloren
       an Frische und Expertise, auch personell“. Aber es sei „erstaunlich, welch
       tolle junge Leute nachrücken, klar und analytisch, alle Achtung!“
       
       Anfangs war die taz ein Spontiblatt: radikal, kompromisslos links. Das ist
       lange passé: Der Vorwurf, ein bisschen gemütlich geworden zu sein, den
       Grünen zugeneigt, ist schon länger einer, an dem man sich abarbeitet, auch
       redaktionsintern. Sind das Parallelen zu Ihrem Leben, Herr Boeck? Das
       „Nein“ kommt deutlich: „Ich war nie ein Sponti. Und bin immer ein radikaler
       Linker geblieben. Radix ist die Wurzel. Die bleibt.“
       
       Mehr Klarheit wünscht sich Boeck [2][bei Artikeln zum Nahostdrama]. Nur
       „eine schwache 2“ will der Exlehrer der taz ins Zeugnis schreiben. „Das
       fürchterliche Hamas-Massaker wurde in der taz manchmal missbraucht, um den
       Völkermord in Gaza indirekt zu rechtfertigen“, findet er.
       
       Und er hat „einen Herzenswunsch“: Mehr über Pakistan! „Man weiß hier so
       wenig über dieses Land. Da gibt es so viele starke Frauen. Ich war an einer
       Uni, da sind zwei Drittel der Leitungsposten weiblich besetzt. Und Männer
       unterstützen aktive Frauen oft ganz offensiv.“ Zumindest für die
       Mittelschicht im Land gelte das.
       
       Eines kann fortan nur noch samstags geschehen: das Ausschneiden und
       Laminieren besonderer Seiten. Ärgerlich für Boeck: Eigentlich war dieser
       Text für die Ausgabe der wochentaz vom 18. Oktober geplant gewesen. „Da
       kann mir die taz bestimmt zehn Exemplare schicken“ – auch zum Laminieren,
       hatte er sich gefreut. Nun findet sich Boeck, und das ist ja irgendwie auch
       passend, erneut in einer Art Erstausgabe der taz wieder: Der ersten
       werktags-taz, die nicht mehr ausgedruckt wird.
       
       Peter-Josef Boeck wird die taz digital weiterlesen, wie er das schon mal
       geübt hat. Die [3][Seitenwende] sei „wohl unvermeidlich“, sagt er, aber
       eben auch: „ein Kulturbruch“.
       
       20 Oct 2025
       
       ## LINKS
       
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       Seit 2011 denken wir über taz Journalismus ohne täglich gedruckte Zeitung
       nach. Jetzt ist der Moment gekommen. Ein Zeichen von Aufbruch und
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       macht sie heute, und wie schaut sie auf die taz?
       
 (DIR) Der letzte taz-Handverkäufer in Berlin: Auf Abschiedstournee
       
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       Olaf Forner ist der letzte Handverkäufer der taz in Berlin.