# taz.de -- Die thailändische Grenzstadt Mae Sot: Myanmars Rückzugsort für Flüchtlinge, Dissidenten und Spione
       
       > Die Brücke der Freundschaft führt Flüchtlinge aus Myanmar zum rettenden
       > Ufer in Thailand. Doch viele müssen den Grenzfluss nachts per Boot
       > überqueren.
       
 (IMG) Bild: Das Lager Mae La in Mae Sot für Flüchtlinge vom Volk der Karen aus Myanmar besteht bereits seit 50 Jahren
       
       Das Restaurant „No Two“ ist ein neues birmesisches Restaurant im Zentrum
       von Mae Sot. Bilder aus der Heimat an den weißen Wänden, Campingklappstühle
       an den Tischen. Das ist alles. „Die Stühle können wir schnell
       zusammenklappen, wenn eine Razzia der Polizei droht“, sagt einer der jungen
       birmesischen Kellner.
       
       Kaum einer der vielen Birmesen in der Grenzstadt im Nordwesten Thailands
       lebt hier legal. Das macht sie anfällig für die Willkür der Polizei. Wie
       die meisten anderen Exilbirmesen, die in diesem Artikel vorkommen, möchte
       auch der Kellner lieber nicht namentlich genannt werden.
       
       Die Speisekarte ist so überschaubar wie die Einrichtung. Bis 11 Uhr gibt es
       Frühstück. Zur Auswahl stehen drei traditionelle birmesische Nudelsuppen.
       Ab 17 Uhr wird gegrillt. Dann kann sich der Gast aus einem Kühlschrank sein
       Lieblingsgericht zusammenstellen. Ein großer SUV hält vor dem „No Two“. Der
       etwa 30-jährige Fahrer und seine modisch gekleidete, stark geschminkte und
       mit Schmuck behangene Gattin steigen aus. Sie bestellen Bier und Essen.
       „Das ist einer der supereichen Cronies der Junta“, flüstert der Kellner
       amüsiert.
       
       Denn es ist kein Geheimnis, dass das „No Two“ – wie so manche Geschäfte in
       Mae Sot – [1][den sogenannten Volksverteidigungskräften (PDF) der
       Untergrundregierung (NUG)] nahesteht. Die kämpft zusammen mit den
       oppositionellen ethnischen Armeen gegen Myanmars Militärjunta, die sich
       2021 an die Macht putschte. „Mein Bruder ist drüben in Kayin ein
       PDF-Kämpfer. Ich selbst war in der Bewegung des zivilen Ungehorsams aktiv“,
       erzählt der Kellner.
       
       ## Der Markt in Mae Sot ist ein Klein-Myanmar
       
       In Mae Sot tummeln sich Flüchtlinge, Künstler, Diplomaten, Militärs,
       Geheimdienstler, Spione, Polizisten, Journalisten, Hilfsorganisationen,
       [2][Dissidenten] und Krisengewinner. Zehntausende Menschen aus Myanmar,
       meist vom Volk der Karen, leben in dem Städtchen, betreiben Geschäfte und
       Restaurants oder arbeiten als Tagelöhner. Der Markt nahe dem „No Two“ ist
       ein Klein-Myanmar.
       
       Auf der anderen Seite der über den Fluss Moei führenden Brücke der
       Freundschaft liegt der Kayin-Staat, auch Karen-Staat genannt. Er ist Heimat
       des Karen-Volkes und ein Hotspot des Bürgerkriegs in Myanmar. Kayin steht
       zu 60 Prozent unter Kontrolle der rebellischen Karen National Union (KNU).
       Noch vor den von der Junta für Ende Dezember angesetzten Wahlen will die
       KNU mit einer „Föderalen Übergangsverfassung“ ihre Vision eines
       demokratischen Myanmar aufzeigen.
       
       Fast jeden Tag fliehen Tausende der buddhistischen und christlichen Karen
       vor Luftangriffen der Junta über die Grenze nach Mae Sot. Sie kampieren im
       Dschungel und gehen zurück, sobald es wieder sicherer ist. Die Vertriebenen
       haben kaum Unterstützung zu erwarten. Hilfsorganisationen müssen vorsichtig
       sein, weil auch sie in Thailand nur geduldet sind.
       
       Kürzlich kamen hier einige tausend asiatische Cybersklaven über die Grenze.
       Sie waren in der myanmarischen Grenzstadt Myawaddy bei [3][vom Militär
       inszenierten Razzien], die mit der Sprengung entsprechender Gebäude
       endeten, aus dortigen Online-Betrugszentren befreit und dann abgeschoben
       worden
       
       ## Ausbleibende Hilfe
       
       Inzwischen geht vielen Organisationen nach dem Stopp der US-Hilfe unter
       Präsident Donald Trump das Geld aus. In neun Lagern auf der thailändischen
       Seite der Grenze – eines davon bei Mae Sot – leben seit Jahrzehnten mehr
       als 100.000 Karen. „Anfang August wurde aus Geldmangel die
       Lebensmittelhilfe eingestellt “, sagt Pastor Robert Htwe, langjähriger Chef
       des Karen-Flüchtlinges-Komitees (KRC), das sieben Lager betreut.
       
       „Wir können nur noch 4.000 der bedürftigsten Menschen mit Nahrung
       versorgen“, sagt der 84-jährige Baptist. Thailands Regierung hat inzwischen
       der Forderung des KRC und anderer Hilfsorganisationen nachgegeben, den
       Flüchtlingen in den Lagern erstmals eine Arbeitserlaubnis zu erteilen,
       damit sie sich selbst versorgen können.
       
       Mindestens einmal pro Woche setzt ein 33-Jähriger, der sich nur Sunshine
       nennt, nachts über den Moei. In Kayin betreibt der Mediziner in einem von
       den „revolutionären Kräften“ befreiten Gebiet zusammen mit anderen Ärzten
       ein Feldlazarett für verwundete Widerstandskämpfer und zivile Opfer des
       Militärs. „Ich kann jederzeit von der Polizei verhaftet werden. Dann müsste
       ich mich freikaufen“, erzählt Sunshine. Seinen richtigen Namen nennt er
       nicht. „Nur meine Mutter und meine Freundin wissen, was ich tue.“
       
       Zwischen Reisfeldern und Wald liegt außerhalb von Mae Sot das Sunshine Care
       Center (SCC). Es hat trotz des Namens nichts mit Doktor Sunshine zu tun.
       Das von einer Karen-Frau gegründete SCC versorgt medizinisch Kämpfer der
       KNU und der PDF, die im Kampf Arme oder Beine verloren haben oder schwer
       verwundet wurden. 130 Verwundete leben dicht an dicht in den provisorischen
       Hütten. In der Hitze verrühren ein paar Ventilatoren die stickige Luft.
       
       ## Versteck in einem Safe House
       
       Wer sich nicht gerade einer Reha-Maßnahme unterzieht, döst auf seiner
       Holzpritsche oder daddelt auf dem Handy wie Sanji. Im April 2024 wurde dem
       28-Jährigen beim Kampf um eine Brücke ins Bein geschossen. Der Transport in
       ein Krankenhaus nach Mae Sot dauerte sieben Stunden, zu lang, um das Bein
       zu retten.
       
       „Nach dem Putsch hatte ich erst friedlich gegen die Junta demonstriert,
       bevor ich mich dem bewaffneten Widerstand angeschlossen habe. Auch wenn ich
       dadurch ein Bein verlor, bereue ich das nicht“, sagt Sanji. Er zeigt ein
       selbstgemaltes Bild, auf dem er entschlossen ein Sturmgewehr hält. „Wenn
       ich könnte, würde ich sofort wieder kämpfen. Aber mit der Prothese geht das
       leider nicht“, sagt er.
       
       Auf verschlungenen Weg und verkleidet floh Alex im Januar vor der
       Zwangsrekrutierung der Armee nach Thailand. „Ich war bei der Bewegung für
       zivilen Ungehorsam dabei und wohl deshalb auf schwarzen Listen“, sagt der
       30-jährige Lehrer aus Yangon. Jetzt lebt er ohne gültige Papiere in Mae Sot
       in einem der 16 Safe Houses, unscheinbaren Unterschlüpfen, der New Myanmar
       Foundation für derzeit mehr als 200 Geflohene. Die Stiftung ist
       Hilfsorganisation und Thinktank für eine demokratische Zukunft Myanmars
       zugleich.
       
       Als Fan von Büchern und Bildung unterrichtet Alex jetzt Flüchtlingskinder
       in dem als Safe House dienenden Mietshaus. Auf der Straße spielen Kinder,
       davor verkaufen Birmesen Obst, Gemüse und Süßigkeiten. „Hier sind die
       Menschen sicher vor Polizeirazzien“, sagt Zon Pwint, die Managerin des Safe
       House. Der Chef der Hilfsorganisation New Myanmar Foundation sei in Maesot
       „sehr gut vernetzt“.
       
       ## Kritik an der Untergrundregierung
       
       Der Biergarten „Memories of Maesot“ ist gesellschaftlicher Treffpunkt für
       Exilbirmesen. Bei Tee, Bier und birmesischen Leckereien von einer der
       vielen Garküchen wird über die Lage in der Heimat diskutiert. Es wird
       politisiert und Klatsch und Tratsch ausgetauscht, während Livebands mit
       internationalen und birmanischen Hits für Unterhaltung sorgen.
       
       Viele hier sind unzufrieden mit der Untergrundregierung NUG („National
       Unity Government“). Der Tenor: Sie köchelt im eigenen Saft. „Die NUG taucht
       schon mal in Washington, Brüssel oder London auf, aber sie hat noch immer
       keine ständige Vertretung in Bangkok. Dabei ist Thailand als Nachbar und
       Asean-Mitglied sehr wichtig für Myanmars Zukunft“, sagt der Initiator des
       Memories of Maesot Thet Swe Win: „Die NUG muss sich dringend reformieren.“
       
       Auf dem sonntäglichen Umsonstmarkt des Memories können sich Flüchtlinge
       kostenlos mit Obst, Gemüse, Reis, Öl und mit Second-Hand-Kleidung sowie
       Kinderspielzeug eindecken. „Das wird durch Geld- und Sachspenden
       wohlhabender Exilanten ermöglicht“, erzählt Thet Swe Win. Alle vereine die
       Hoffnung, irgendwann in ein freies, demokratisches Myanmar heimkehren zu
       können. „Daher der Name ‚Memories of Maesot‘, wenn wir in Myanmar an unser
       Exil in Mae Sot zurückdenken.“
       
       12 Nov 2025
       
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