# taz.de -- 35 Jahre Wiedervereinigung: Wir sind das Volk?
       
       > Wie blicken die zweite Generation Einwander*innen auf die
       > Wiedervereinigung? Ein Gespräch mit Ebru Taşdemir und Angelika Nguyen.
       
       In der aktuellen Folge von Mauerecho spricht Dennis Chiponda mit Ebru
       Taşdemir und Angelika Nguyen über die Perspektive der zweiten Generation
       von Vertrags- und Gastarbeiter*innen auf die [1][Wiedervereinigung.]
       „Ich selbst bin der Sohn von Vertragsarbeiter*innen und ärgere mich
       darüber, dass unsere Geschichte im Einheitsdiskurs unsichtbar gemacht
       wurden“, sagt Chiponda zur Einleitung des Gesprächs.
       
       Wie nimmt die zweite Generation von Einwander*innen ihr Leben, die
       Einheit sowie ihre Chancen und Möglichkeiten in diesem Land wahr? Was
       bedeutet Einheit für sie und ihre Eltern? Und wie lässt sich aus ganz
       unterschiedlichen Perspektiven eine gemeinsame Erzählung entwickeln?
       
       Angelika Nguyen wurde in den 1960er-Jahren in Ost-Berlin als Tochter eines
       vietnamesischen Arztes und einer deutschen Sprachmittlerin geboren. Heute
       arbeitet sie als Filmjournalistin und freiberufliche Autorin. Ebru Taşdemir
       wuchs in den 1970er-Jahren auf der anderen Seite der Mauer in West-Berlin
       auf. Sie ist Journalistin, arbeitet als Politikredakteurin beim Freitag und
       engagiert sich bei den Neuen deutschen Medienmacher*innen. Ihr Vater kam in
       den 1960er-Jahren als türkischer Gastarbeiter in die BRD, ihre Mutter
       folgte wenige Jahre später.
       
       Zu Beginn des Podcasts sprechen die beiden über die migrantischen
       Communities in der DDR und in der BRD. Taşdemir erzählt, dass in der
       Gegend, in der sie aufwuchs, kaum andere Menschen mit Migrationsgeschichte
       lebten. Dennoch habe es in ihrer Nachbarschaft ein aktives Zusammenleben
       deutsch-deutscher und deutsch-türkischer Familien gegeben. Mit den anderen
       Kindern habe sie türkische Kinderlieder gesungen.
       
       Im Osten habe es solche Communities kaum gegeben, berichtet Nguyen. Erst im
       Erwachsenenalter habe sie ähnliche Erfahrungen geteilt und andere Menschen
       mit ähnlichem Hintergrund kennengelernt. Ihre eigenen Erlebnisse mit
       Diskriminierung und Alltagsrassismus habe sie lange Zeit sehr isoliert.
       
       ## Einheit ohne migrantische Perspektiven
       
       Im Diskurs über die Wiedervereinigung fehle bis heute der Blick darauf, was
       dieser Prozess für die Vertrags- und Gastarbeiter*innen bedeutete.
       Nguyen nahm selbst an den Montagsdemonstrationen in Leipzig im Jahr 1989
       teil. „Da gab es für mich einen Moment, wo die Leute nicht mehr gerufen
       haben: ‚Wir sind das Volk!‘, sondern ‚Wir sind ein Volk!‘. Da habe ich die
       Demo verlassen“, sagt sie.
       
       Sie habe in diesem Moment gespürt, dass der Begriff „Volk“ eine neue
       Bedeutung bekam. „Und ich habe gespürt, dass das eine Bedrohung darstellt
       für alle Menschen of colour.“ Auch Taşdemir beobachtete ähnliche Sorgen in
       ihrer Community in West-Berlin. Mit den Pogromen in Rostock-Lichtenhagen,
       Hoyerswerda, Mölln und Solingen bestätigten sich diese Befürchtungen.
       
       Außerdem geht es im Gespräch darum, dass die Leistungen der Vertrags- und
       Gastarbeiter*innen beim Wiederaufbau und in der Einheitsgeschichte bis
       heute kaum Anerkennung finden. „Sie haben ganz viel Wärme reingebracht in
       diese Gesellschaft“, sagt Taşdemir. Entgegen vieler Vorurteile hätten sich
       die Gastarbeiter*innen nicht zurückgezogen, sondern aktiv den Kontakt
       zur deutschen Bevölkerung gesucht.
       
       Diese gesellschaftliche Wärme, die ihre Eltern mitgebracht hätten, solle
       aber nicht als Gegenkraft zu Hass und Härte im Land missverstanden werden.
       „Ich würde einen Menschen, der rassistische Sprüche von sich gibt, nicht
       zum Tee einladen. Ganz einfach. Kein Keks für Nazis.“
       
       Gerade heute sei auch die gesellschaftliche Teilhabe migrantischer Menschen
       in Deutschland wieder bedroht. Ihre Elterngeneration habe dafür gekämpft,
       dass ihre Kinder bessere Lebensbedingungen hätten, betont Taşdemir. Das sei
       auch heute noch Antrieb für viele politische Kämpfe. Nguyen berichtet, dass
       ihre Familie ihr vermittelt habe, ihren Platz in der Gesellschaft
       selbstverständlich einzunehmen. „Ich denke, dass wir diese
       Kampfbereitschaft auf jeden Fall von unseren migrantischen Herkünften
       haben. Diesen Willen, sich einzubringen und einfach da zu sein.“
       
       Hinweis: In der nächsten Folge geht es nicht um Elternschaft und Erziehung,
       sondern um Klassismus. Das wird am Ende dieser Folge anders angekündigt.
       Bitte entschuldigt diesen kleinen Fehler!
       
       „Mauerecho – Ost trifft West“ ist ein Podcast der [2][taz Panter Stiftung].
       Er erscheint jede Woche Sonntag auf [3][taz.de/mauerecho] sowie überall, wo
       es Podcasts gibt. Besonderen Dank gilt unserem Tonmeister Daniel Fromm.
       
       5 Oct 2025
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Dennis Chiponda
       
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