# taz.de -- Alternativer Nobelpreis: Eine konservative Anarchistin
       
       > Taiwans erste Digitalministerin Audrey Tang sieht sich als
       > „staatsbürgerliche Hackerin“. Sie will die digitale Zukunft
       > radikaldemokratisch gestalten.
       
 (IMG) Bild: Audrey Tang ist eine der diesjährigen Gewinnerinnen des Right Liverlihood Awards
       
       Berlin taz | Als „staatsbürgerliche Hackerin“ und „konservative
       Anarchistin“ beschrieb sie sich selbst vor fünf Jahren in einem
       [1][Interview mit der taz]. Die heute 44-jährige freie Programmiererin
       Audrey Tang ist die erste Person aus Taiwan überhaupt, die mit dem
       [2][Right Livelihood Award] ausgezeichnet wird. Begründet wird dies damit,
       dass sie „den sozialen Gebrauch digitaler Technologie zu Stärkung der
       Bürger vorangebracht, die Demokratie erneuert und Spaltungen überwunden“
       habe.
       
       Tang war Taiwans erste Digitalministerin, Taiwans erste Beamtin mit
       nicht-binärem Geschlecht und die erste trans Ministerin der Welt. Sie nennt
       sich „post gender“ und sagt, sie akzeptiere „jedes Pronomen, mit dem mich
       die Leute online beschreiben.“ Heute ist Tang digitale Botschafterin
       Taiwans – sie vertritt also einen kleinen, international isolierten
       ostasiatischen Inselstaat, der zugleich eine Chip-Weltmacht ist und [3][von
       der Volksrepublik China mit gewaltsamer Vereinigung bedroht wird].
       
       Als Parteilose war Tang acht Jahre in der Regierung der Peking-kritischen
       Demokratischen Fortschrittspartei, bis sie 2024 von sich aus abtrat und
       seitdem weltweit als basisdemokratische Digitalaktivistin unterwegs ist.
       Schon 2021 trat sie [4][digital auch beim taz lab auf].
       
       ## Überfliegerin in der Netzwelt
       
       Tang, die einen Teil ihrer Kindheit in Deutschland verbrachte, ist eine
       Überfliegerin. Sie begann mit acht Jahren das Programmieren. Mit 14 verließ
       sie ohne Abschluss die Schule und bildete sich selbst zur
       Softwareprogrammiererin aus. Mit 19 beriet sie den Apple-Konzern und die
       Wikimedia-Foundation im Silicon Valley. Sie übersetzte mehrere Handbücher
       von Open-Source-Software ins traditionelle Chinesisch.
       
       2012 war sie Mitgründerin der digitalen freien Bürgerbeteiligungsplattform
       g0v, bei der sie noch heute aktiv mitarbeitet. 2014 beteiligte sie sich an
       der Sonnenblumenbewegung, die aus Protest gegen ein geplantes
       Dienstleistungsabkommen mit China das Parlament in Taipeh besetzte. Tang
       sorgte mit für die digitale Infrastruktur der Besetzer, die den Kurs der
       Regierung erfolgreich ändern konnten.
       
       Durch ihre ungewöhnliche Biografie wie durch ihre progressiven Gedanken zur
       Stärkung der Demokratie mittels digitaler Praktiken erregt Tang weltweit
       Aufmerksamkeit. Schon anhand ihrer Person zeigt sich ein deutlicher
       Kontrast Taiwans zum autoritär regierten China. Tang propagiert
       Transparenz, erkennt aber an, dass diese angesichts von Pekings auch
       digitalen Bedrohungen wie Manipulation und Fake News ihre Grenzen haben
       muss.
       
       ## Datenschutz schon in der Grundschule
       
       „Radikale Transparenz ist keine hundertprozentige Transparenz“, sagte sie
       im Januar 2020 zur taz. „Unsere Gegner wollen Menschen dazu bringen, der
       Demokratie zu misstrauen“. Radikale Transparenz diene als Gegenmittel, weil
       die Menschen den Kontext erfahren würden – also warum man über etwas
       spreche und warum man etwas tue. „Wir teilen gute und schlechte Nachrichten
       mit ihnen. Würden wir nur gute Nachrichten wie Propaganda verbreiten,
       vertrauten uns die Menschen nicht. So verstehen sie, dass wir eine
       Demokratie sind.“ Sie ist überzeugt: „Für die Gegner wird es dann
       schwierig, mit Desinformation Zwietracht zu säen.“
       
       Laut Tang ist es notwendig, die Demokratie digital zu überdenken. „Wer sich
       zum Beispiel bei der Bestimmung der Luft- und Wasserqualität auf den Staat
       verlässt, liefert sich der Umweltschutzbehörde aus“, sagte sie. Auch sich
       auf private Dienstleister zu verlassen mache abhängig. „Nur durch Stärkung
       des sozialen Sektors mit offener Hardware und durch Anbieten eines
       Breitbandzugangs als Menschenrecht werden soziale Innovationen auch in den
       ärmsten ländlichen Gegenden möglich“, so Tang.
       
       Sie setzt auch auf frühkindliche Medienbildung. Schon in der Grundschule
       müssten Kinder lernen, dass sie auch für ihre Daten verantwortlich seien.
       Dazu gehöre etwa die Erkenntnis, dass Facebook kein Ersatz für persönliche
       Begegnungen sein könne.
       
       ## Vielseitige „Chatroom-Moderatorin“
       
       Was aber versteht sie unter der Bezeichnung der „staatsbürgerlichen
       Hackerin“? Staatsbürgerlich zu sein bedeutet für sie, dass ihr am
       Wohlergehen der Öffentlichkeit liegt. Hackerin zu sein bedeute, ein System
       zu verstehen und zu verbessern – nicht, bestehende Institutionen zu stören.
       Und sie bezeichnet sich als Anarchistin, weil sie als Ministerin weder
       Befehle zu geben noch entgegenzunehmen pflegte. Konservativ dagegen sei
       sie, weil sie Taiwans Artenvielfalt erhalten und die Erfahrungen früherer
       Generationen einbeziehen wolle.
       
       In Taiwan hat mal jemand gesagt, sie sei eher eine Art Chatroom-Moderatorin
       gewesen als eine typische Ministerin. Eine Bereicherung für moderne
       Demokratien sind ihre Erfahrungen auf jeden Fall.
       
       1 Oct 2025
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Trans-Ministerin-ueber-Taiwan/!5651745
 (DIR) [2] /Alternativer-Nobelpreis/!t5027233
 (DIR) [3] /Taiwan-Der-chinesische-Ueberfall-rueckt-naeher/!6076303
 (DIR) [4] https://www.youtube.com/watch?v=NglA6N3s-2Q
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Sven Hansen
       
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