# taz.de -- Kirchenasyl in Berlin: „Ich bin froh, dass Berlin kein Kirchenasyl bricht“
       
       > Gottfried Martens ist Pastor der Evangelisch-Lutherischen
       > Dreieinigkeits-Gemeinde in Steglitz. Ein Gespräch über Kirchenasyl und
       > Abschiebungen
       
 (IMG) Bild: Pfarrer Gottfried Martens in seiner Kirche Dreieinigkeits-Gemeinde in Steglitz
       
       taz: Herr Martens, die Bundesregierung führt jetzt Gespräche mit den
       Taliban über Abschiebungen nach Afghanistan. Welche Gedanken gehen Ihnen
       dabei durch den Kopf? 
       
       Gottfried Martens: Ich habe von Menschen gehört, die nach Afghanistan
       abgeschoben wurden und das nicht überlebt haben, und von anderen, die nur
       durch Zufall das Land wieder verlassen konnten. Das betrifft Mitglieder
       meiner Kirchengemeinde oder anderer christlicher Gemeinden. Seit Horst
       Seehofer werden ja [1][nicht nur Straftäter abgeschoben.] Diese Behauptung
       hat sich immer wieder als falsch erwiesen.
       
       taz: Sie haben mit Ihrer Entscheidung, vier Hamburger Afghanen Kirchenasyl
       zu gewähren, im August einen Streit zwischen den Stadtstaaten Berlin und
       Hamburg ausgelöst. Haben Sie damit gerechnet? 
       
       Martens: Überhaupt nicht. Unsere Kirchenasyle unterschieden sich nicht von
       dem, was andere christliche Gemeinden auch tun. [2][Da wollte Hamburg wohl
       zeigen, dass sie die AfD noch rechts überholen.] Ich bin froh, dass Berlin
       kein Kirchenasyl bricht.
       
       taz: Welche Reaktionen haben Sie bekommen, als Sie mit dem Kirchenasyl so
       stark in der Öffentlichkeit standen? 
       
       Martens: Ein breites Spektrum, das die tiefe Spaltung in unserer
       Gesellschaft widerspiegelt. Ich erhielt E-Mails, die mir Mut machten. Aber
       auch solche, die inhaltlich auf unterirdischem Niveau waren, in denen etwa
       gefordert wurde, alle Afghanen wegzuschicken. Andere schrieben mir, sie
       wollen aus der Kirche austreten, damit ihre Kirchensteuern nicht an uns
       gingen. Die haben übersehen, dass wir eine unabhängige Kirche sind und
       überhaupt keine Kirchensteuern bekommen.
       
       taz: Warum gewähren Sie christlichen Afghanen und Iranern Kirchenasyl? 
       
       Martens: Weil wir davon überzeugt sind, dass diesen Menschen bei
       Abschiebung Gefahr an Leib und Leben droht. Übrigens gewähren wir nicht nur
       Christen Kirchenasyl, sondern auch anderen Menschen, die sich vom Islam
       abgewandt haben und beispielsweise Atheisten sind. Sie sind genauso
       bedroht.
       
       taz: Haben Sie eigentlich eine Erklärung, warum gerade viele Afghanen zum
       Christentum konvertieren? 
       
       Martens: Weit über 90 Prozent unserer afghanischen Gemeindemitglieder
       gehörten in Afghanistan zur schiitischen Minderheit der Hazara. Sie haben
       die Erfahrung gemacht, von den sunnitischen Taliban bedroht zu werden, weil
       diese sie als ungläubig ansahen. Sie haben Verbrechen im Namen des Islam
       erlebt: Ihre Familienmitglieder wurden umgebracht. Das kann dazu führen,
       dass es keinen positiven Bezug mehr zum Islam gibt und man sich einer
       anderen Religion zuwendet. Eine Rolle spielen sicher auch der sexuelle
       Missbrauch durch Angehörige des schiitischen Klerus. Das hat eine
       erschreckende Dimension, die die Erfahrungen in christlichen Kirchen in
       Deutschland noch deutlich übersteigt.
       
       taz: Böse Zungen behaupten, in Ihrer Gemeinde werde man getauft, um nicht
       in die islamischen Staaten Iran und Afghanistan abgeschoben zu werden. Was
       ist da dran? 
       
       Martens: Nichts. Aus zwei Gründen: Zum einen hat man als Christ beim
       Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) inzwischen eher schlechtere
       Chancen auf Asylanerkennung, weil den Menschen der Glaubenswechsel nicht
       geglaubt wird. Ich vermute hier eine Anweisung von oben. Auf der anderen
       Seite haben wir hohe Standards für die Taufzulassung. Wir haben einen sehr
       gründlichen farsisprachigen Taufunterricht in der Gemeinde, der mehrere
       Monate dauert. Wir erwarten Engagement in der Gemeinde. Am Ende gibt es
       sogar eine Taufprüfung, wo einerseits Wissen abgefragt wird, andererseits
       der Glaubenswechsel anhand der persönlichen Biografie erläutert werden
       muss. Nur etwa die Hälfte der ursprünglichen Teilnehmer am Taufunterricht
       wird am Ende auch getauft.
       
       taz: Ich habe einmal einen Iraner aus Ihrer Gemeinde kennengelernt. Er
       sprach von strengen religiösen Anforderungen, beispielsweise soll man
       mehrere Gottesdienste pro Woche besuchen. Kann man da überhaupt einen
       Glauben nur vortäuschen? 
       
       Martens: Man kann keinem Menschen ins Herz schauen. Aber unsere Erfahrungen
       als Gemeinde reichen viel tiefer als beispielsweise die Eindrücke des
       Bundesamts für Migration und Flüchtlinge und der Gerichte, die die Menschen
       bei einer einzigen Anhörung kennenlernen. Oft glauben sie unseren
       Mitgliedern nicht, dass sie Christen sind. Sie behaupten auch, ich schreibe
       Gefälligkeitsgutachten, was ich natürlich mit Nachdruck bestreite. Wenn ein
       Gericht Wissensfragen über das Christentum abfragt, dann haben
       Nichtakademiker schon manchmal Probleme. Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Ein
       Gemeindemitglied von uns wurde im Iran inhaftiert, weil er Bibeln verteilt
       hatte. In der Türkei hat er sechs Jahre lang als Missionar gearbeitet. In
       unserer Gemeinde leitet er Bibelstunden. Aber das Bamf behauptete, er sei
       kein Christ, und lehnte den Asylantrag ab.
       
       taz: Sie haben das Thema Missionierung angesprochen. Missionieren Ihre
       Gemeindemitglieder? 
       
       Martens: Was verstehen Sie darunter?
       
       taz: Ich saß mal in einem Fernbus neben einem Mitglied einer christlichen
       Freikirche. Er versuchte über Stunden, mir seinen Glauben aufzuschwatzen. 
       
       Martens: Das tun wir nicht. Wir überfallen keine unbekannten Menschen. Aber
       natürlich erzählen unsere Gemeindemitglieder Freunden und Bekannten die
       eigene Lebensgeschichte, zu der auch der Glaube gehört.
       
       taz: Zurück zu Abschiebungen nach Afghanistan. Wie erging es abgeschobenen
       Mitgliedern Ihrer Gemeinde? 
       
       Martens: Ein Mann, der bei uns gerade im Kirchenasyl sitzt, wurde aus
       Schweden abgeschoben. Er war schwedischer Meister im Kickboxen, wegen
       seiner Tätigkeit mit benachteiligten Jugendlichen war er ausgezeichnet
       worden. Kurz vor der Machtübernahme der Taliban wurde er abgeschoben,
       obwohl er Christ war. Er musste sich verstecken. Überlebt hat er, weil er
       von seinem Versteck aus einen Taxifahrer organisieren konnte, der ihn an
       die iranische Grenze brachte. Er hat sich wieder nach Schweden
       durchgeschlagen, [3][kassierte dort erneut einen Abschiebebescheid]. Berlin
       will ihn dennoch nach Schweden zurückschicken.
       
       taz: Sie kennen sicher noch mehr solcher Fälle … 
       
       Martens: Ich kenne noch einen tragischen Fall aus unserer Nachbargemeinde
       in Brandenburg. Der Mann wurde zu Seehofers 69. Geburtstag abgeschoben. Er
       war kein Straftäter. Aus Kabul rief er seine Gemeinde an, weil er
       verzweifelt war. Die Gemeinde hat ihn dann finanziell unterstützt. Als die
       Taliban an die Macht kamen, flüchtete er nach Pakistan. Die letzte
       Nachricht, die wir von ihm erhielten, war, dass er zurück nach Afghanistan
       geschoben wird. Seitdem haben wir kein Lebenszeichen bekommen. Wäre er noch
       am Leben, hätte er sich allein schon wegen der finanziellen Unterstützung
       bei seiner Kirche gemeldet.
       
       taz: Sie können aber nicht beweisen, dass er getötet wurde? 
       
       Martens: Wer kann das schon? Es gibt ja selten Zeugen. Darum erschrecken
       mich die vielen Abschiebebescheide an christliche Afghanen in jüngster
       Zeit. Ich habe zunehmend den Eindruck, das Bamf befindet sich in einem
       Elfenbeinturm, das die Wirklichkeit in Afghanistan verzerrt wahrnimmt. Für
       ein Gemeindemitglied wurde die Abschiebung als unproblematisch angesehen,
       weil er intellektuell nicht in der Lage sei, mit den Taliban über seine
       Religion zu diskutieren. Als ob die Taliban darüber auf akademischem Niveau
       diskutieren würden.
       
       13 Oct 2025
       
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