# taz.de -- Plädoyer für langsames Reisen: Warum ich ohne Flugzeug nach Papua-Neuguinea reise
       
       > Gianluca Grimalda wurde als der Klimaforscher bekannt, der seinen Job
       > verlor, weil er nicht fliegen wollte. Jetzt will er in Ozeanien
       > weiterforschen.
       
 (IMG) Bild: Dorthin geht es zurück: Gianluca Grimalda bei Antritt seiner Heimreise im Hafen von Buka, Papua Neuguinea, im Herbst 2023
       
       Berlin taz | Im Oktober 2023 [1][habe ich meinen Job geopfert], um die
       28.000 Kilometer zwischen Papua-Neuguinea und Deutschland zurückzulegen.
       Ich wollte von meinem Forschungsaufenthalt in Ozeanien nicht per Flugzeug
       zurückkehren nach Kiel – doch mein Arbeitgeber akzeptierte [2][die lange
       Reisedauer] nicht. Jetzt mache ich mich wieder auf den Weg Papua-Neuguinea,
       und zwar wieder, ohne zu fliegen.
       
       Derzeit habe ich keinen Forschungsvertrag, aber im Januar werde ich eine
       neue Stelle an der Masaryk-Universität in der Tschechischen Republik
       antreten. Eigentlich hätte dieser Vertrag schon dieses Jahr beginnen
       können. Ich habe mich jedoch entschieden, ihn zu verschieben, damit ich mit
       geringeren Auswirkungen auf die Umwelt reisen kann, ohne die Reisezeit
       berücksichtigen zu müssen.
       
       Glücklicherweise habe ich von verschiedenen Quellen Fördermittel erhalten,
       um meine Forschung in Bougainville, der äußersten Provinz
       [3][Papua-Neuguineas], abzuschließen. Ich möchte zwei Projekte abschließen,
       die ich in den vergangenen Jahren begonnen habe.
       
       Bei einem handelt es sich um eine gemeinsame Initiative von 50
       Sozialwissenschaftler*innen, die 50 verschiedene indigene Gesellschaften
       untersuchen. Das Projekt untersucht die wirtschaftliche Mobilität – also
       Bewegungen von Menschen innerhalb der Gesellschaft, die mit Veränderungen
       in Einkommen oder Vermögen verbunden sind – in Gemeinschaften, die von den
       globalen Märkten abgekoppelt sind. Jetzt geht es darum zu beobachten, wie
       sich Vermögensungleichheiten und soziale Strukturen über einen Zeitraum von
       fünf Jahren entwickelt haben.
       
       ## Muss man so weit von zu Hause weg forschen?
       
       Das zweite Projekt untersucht, wie Menschen in Situationen mit kollektiven
       Risiken wie dem Klimawandel reagieren. Ich untersuche individuelles
       Verhalten in sozialen Interaktionen, indem ich in kleinem Maßstab die
       Auswirkungen von Klimarisiken simuliere.
       
       Viele Menschen fragen sich, ob es wirklich notwendig ist, diese Themen fast
       30.000 Kilometer von zu Hause entfernt zu studieren. Ich glaube, dass es
       notwendig ist, weshalb ich versuche, mehrere Projekte gleichzeitig zu
       entwickeln.
       
       Erstens sind diese Bevölkerungsgruppen bereits von den Auswirkungen des
       Klimawandels betroffen. Alle Küstengemeinden in Bougainville mussten
       aufgrund des steigenden Meeresspiegels ins Landesinnere umziehen. Auch die
       Nahrungsmittelknappheit nimmt zu, wahrscheinlich zusammenhängend mit
       steigenden Temperaturen und anhaltenden Dürren.
       
       Die ersten mutmaßlichen „Klimaflüchtlinge“ kommen aus dieser Region. Es ist
       unerlässlich, ihr Verhalten angesichts schwerer Katastrophen zu
       untersuchen.
       
       Zweitens ermöglicht uns die Tatsache, dass diese Gesellschaften in erster
       Linie auf Selbstversorgung angewiesen sind und sich gerade in die
       Marktwirtschaft integrieren, die Auswirkungen der Marktwirtschaft im Laufe
       ihrer Entwicklung zu untersuchen.
       
       Während ich mich auf den Weg mache, hat sich die Frage, die mir viele
       Menschen in den letzten zwei Jahren gestellt haben, nicht geändert: Lohnt
       es sich wirklich, vier Monate seiner Zeit mit langsamen Reisen zu
       verbringen, verglichen mit weniger als drei Tagen im Flugzeug, wenn man
       bedenkt, dass die eingesparten Emissionen denen entsprechen, die China in
       einer Drittelsekunde ausstößt?
       
       Viele Mitaktivist*innen sind entmutigt. Nach einem Jahrzehnt
       intensiver Mobilisierung [4][sind wir immer noch auf dem Weg zu einem
       Temperaturanstieg von 2,7 Grad bis 2100], was wahrscheinlich zum
       Zusammenbruch mehrerer wichtiger Ökosysteme führen würde. Die Massaker in
       Gaza, der Ukraine und anderswo unterstreichen die Schwäche der globalen
       Governance.
       
       ## Die Gesellschaften werden ums Überleben kämpfen
       
       Trotzdem bin ich entschlossen, meine kohlenstoffarmen Reisen fortzusetzen.
       Ich habe das Gefühl, dass ich mindestens drei Arten von Verpflichtung habe.
       Die erste ergibt sich aus meiner Kohlenstoffschuld. Als Mittvierziger, der
       in Europa lebt, habe ich sicherlich meinen fairen Anteil an
       Kohlenstoffemissionen überschritten, der mit der Einhaltung „sicherer“
       Grenzen für unseren Planeten vereinbar wäre.
       
       Als Forscher, der die Möglichkeit hatte, Klimawissenschaften zu studieren,
       möchte ich in Übereinstimmung mit dem handeln, was ich gelernt habe. Wenn
       Ökosysteme zusammenbrechen, werden die Temperaturen in vielen Teilen der
       Welt auf unerträgliche Werte steigen, extreme Wetterereignisse werden an
       Häufigkeit und Intensität zunehmen und die Nahrungsmittelversorgung wird
       dramatisch zurückgehen.
       
       Die Gesellschaften werden unter diesen extremen Bedingungen ums Überleben
       kämpfen, wie es bereits in der Vergangenheit der Fall war. Ich halte dieses
       Schicksal nicht für unvermeidlich und möchte alles in meiner Macht Stehende
       tun, um diese düstere Zukunft zu vermeiden.
       
       Das zweite ist eine Verpflichtung des Wissens. Ich habe allen Gemeinden,
       die ich in Bougainville besucht habe, versprochen, dass ich zurückkehren
       werde, um die Ergebnisse meiner Forschung mit ihnen zu teilen. Dieser
       Wissenstransfer ist für die Gemeinden wichtig. Meine Forschung liefert
       einen Überblick darüber, wie bereitwillig Menschen sich gegenseitig helfen,
       wie die Geschlechterverhältnisse funktionieren und wie groß die
       Bereitschaft ist, riskante Verhaltensweisen einzugehen.
       
       Darüber hinaus finden viele Gemeinden meine Präsentationen über die
       Ursachen, Auswirkungen und Lösungen des Klimawandels aufschlussreich. Sie
       wollen lernen, und ich habe es mir zur persönlichen Aufgabe gemacht, ihnen
       dabei zu helfen.
       
       Ich habe drittens das Gefühl, dass ich eine Verpflichtung zur
       Repräsentation habe. Viele Menschen haben mich animiert, auch in ihrem
       Namen weiterhin kohlenstoffarm zu reisen. Sie sagen mir, dass sie nicht die
       Zeit oder vielleicht auch nicht den Mut hätten, entsprechend der Tatsache
       zu handeln, dass die Welt brennt. Ich weiß, dass mein Handeln eine
       verstärkende Wirkung haben kann und vielen anderen Menschen Mut gibt.
       
       ## Langsames Reisen ist nicht nur fürs Klima gut
       
       Klimaschutz ist nicht mein einziger Grund, langsam zu reisen. Ich möchte
       auch so reisen wie die stille Mehrheit dieses Planeten, wie die 80 Prozent
       der Weltbevölkerung, die sich keine Flugreisen leisten können.
       
       Ein Papua würde sagen, dass Reisen mit dem Flugzeug bedeutet, über Dinge
       hinwegzufliegen, anstatt sie wirklich zu sehen. Und auch wenn meine Sicht
       oft getrübt ist, glaube ich fest daran, dass ich durch langsames Reisen
       einen „Zoom“ auf die Menschen und die globale Gesellschaft bekomme. Eine
       der heuchlerischsten Aussagen, die ich in politischen Kreisen immer wieder
       gehört hab, war, dass das Ziel der „globalen Governance“ darin bestehe,
       „niemanden zurückzulassen“.
       
       Wenn man dann nach Papua-Neuguinea reist und sieht, dass die wenigen
       vorhandenen Krankenhäuser nicht einmal das Geld haben, um Paracetamol zu
       bezahlen, wird einem klar, dass es eine Welt gibt, die sich sehr von den
       Memoranden der politischen Entscheidungsträger unterscheidet. Es ist diese
       Welt, die ich mit eigenen Augen sehen möchte.
       
       Während meiner langsamen Reisen habe ich immer jemanden gefunden, der mich
       wie ein Familienmitglied behandelt hat. Ich habe mich nie wie ein Fremder
       gefühlt. In den Dutzenden von Menschen, die ich traf, entdeckte ich ein
       echtes Gefühl der grenzüberschreitenden Menschlichkeit. Sie taten, was sie
       konnten, um mir zu helfen – boten mir vielleicht ein Abendessen oder
       zahlten mir eine Busfahrkarte. Dieses Gefühl der Brüderlichkeit und
       Schwesterlichkeit ist vielleicht das Einzige, was mir den Glauben gibt,
       dass wir es vielleicht und entgegen aller Widrigkeiten schaffen werden, das
       schwerwiegendste Kooperationsproblem anzugehen, mit dem wir jemals
       konfrontiert waren, nämlich den Klimawandel.
       
       Was mich ebenfalls motiviert, ist das Bewusstsein, [5][dass sich soziale
       Strukturen ständig weiterentwickeln und wie Klimaökosysteme Kipppunkte
       haben]. Selbst soziale Strukturen, die praktisch während der gesamten
       Menschheitsgeschichte stabil waren wie Sklaverei und das auf Männer
       beschränkte Wahlrecht in politischen Systemen, sind innerhalb weniger
       Jahrzehnte zusammengebrochen – ein Wimpernschlag im Vergleich zu den
       Hunderttausenden von Jahren, die sie Bestand hatten.
       
       Möglicherweise stehen wir kurz vor einem weiteren sozialen Wendepunkt und
       sind uns dessen noch nicht bewusst. Tatsächlich können wir laut einer
       Studie, die kürzlich auf der Konferenz zu globalen Wendepunkten an der
       Universität Exeter vorgestellt wurde, bereits beobachten, dass sich
       erneuerbare Energiesysteme weltweit so schnell verbreitet haben und die
       Kosten so stark gesunken sind, dass wir diese Entwicklung als unumkehrbar
       betrachten können.
       
       Selbst wenn all dies nur eine Illusion wäre, würde ich mein Verhalten nicht
       ändern. Ich schließe mich den (wahrscheinlich fälschlicherweise) Martin
       Luther King zugeschriebenen Worten an: „Selbst wenn ich wüsste, dass die
       Welt morgen untergeht, würde ich heute noch meinen Apfelbaum pflanzen“.
       
       5 Sep 2025
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Klimaforscher-Grimalda-verliert-Prozess/!5994177
 (DIR) [2] /Am-Boden-geblieben/!t5968780
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 (DIR) [4] https://climateactiontracker.org/global/cat-thermometer/
 (DIR) [5] /Politologin-ueber-soziale-Kipppunkte/!5944360
       
       ## AUTOREN
       
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