# taz.de -- Kolumne Materie: Liebeserklärung an die alte Tante „Times“
> Was Tageszeitungen früher bedeuteten, hat unser Autor erst mit seiner
> Sommerlektüre kapiert. Jetzt greift Trump die wichtigste Zeitung der Welt
> an.
(IMG) Bild: Die „New York Times“ war und ist eine Klasse-Zeitung
Fünf Wochen noch, Sie dürften bereits davon gehört haben, schließlich reden
wir über kaum etwas anderes, dann erscheint die letzte gedruckte Ausgabe
der Tageszeitung taz.
Das könnte Ihnen als Leserin der wochentaz erst mal egal sein, denn diese
erscheint ja weiterhin gedruckt. Und trotzdem behellige ich Sie auch an
dieser Stelle mit der sogenannten [1][Seitenwende]. Aber keine Sorge, Sie
werden mich nur ein einziges Mal dabei erwischen, nostalgisch zu werden,
und zwar heute.
Dabei ist die tägliche Arbeit an der gedruckten Zeitung ein
anachronistischer Irrsinn. Jeden Tag müssen die Seiten im Minutentakt in
die Druckerei geschickt werden. Texte werden nicht dann veröffentlicht,
wenn sie rund sind, sondern wenn sie fertig sein müssen. Dabei lesen schon
heute mehr Menschen die taz auf einem der digitalen Kanäle. In Zukunft,
ohne die Bürde des Drucks, kann die taz dann hoffentlich beides sein,
aktueller und ausgeruhter. Und damit endet dieser Werbeblock.
Denn ich bin trotzdem wehmütig, und das hat mit einer Sommerlektüre zu tun.
Im Urlaub wollen ja alle „mal wieder ein gutes Buch lesen“, und eben nicht
die Flut von schlechten Nachrichten. Für Journalisten ist das etwas
beleidigend, deshalb habe ich in diesem Sommer ein Zeitungsbuch gelesen,
den Roman [2][„Jahrestage“ von Uwe Johnson]. Und die Lektüre hallt immer
noch nach. Man kann sich den Roman übrigens auch fantastisch vorlesen
lassen, gesprochen von Charlie Hübner und Caren Miosga.
Der Roman ist vieles: Eine genaue Beschreibung des Aufstiegs der Nazis in
Mecklenburg, ein Porträt von New York im Jahr 1968, eine wunderschöne
Mutter-Tochter-Geschichte. Vor allem, und deshalb kommt er hier vor, ist er
die schönste Liebeserklärung an eine Tageszeitung.
Der Roman zeichnet auf der ersten Zeitebene ein Jahr nach, jedes Kapitel
beginnt mit den Nachrichten, die die New York Times an diesem Tag für ihre
Leserinnen ausgewählt hat. Es ist der verzweifelte Versuch der Zeitung und
ihrer eifrigsten Leserin, der Heldin des Romans Gesine Cresspahl, jeden Tag
lesenderweise Ordnung in die unordentliche Welt zu bringen. Ein Versuch,
der zum Scheitern verurteilt ist. Denn das Nebeneinander all der
Nachrichten, über die Straßenkriminalität in New York, den Rassismus in
Amerika, die neuesten Kriegsmeldungen aus Vietnam, ergibt keine Ordnung.
Doch der Versuch zählt: Schritt zu halten, der Ereignisse eines Tages Herr
zu werden.
Erst mit dieser Sommerlektüre habe ich kapiert, was Tageszeitung bedeutet,
oder besser: früher bedeutet hat. Natürlich bieten auch Nachrichtenwebsites
und Wochenzeitungen Orientierung. Aber was mit dem schleichenden Niedergang
der Tageszeitung, großgeschrieben, unweigerlich an Wert verliert, ist die
Zeitzeugenschaft. Die Nachricht, für die Websites kein Geld verlangen und
nur noch das Grundrauschen bilden.
Wenn die taz zukünftig ausschließlich digital erscheint, wird das unseren
Journalismus ändern. Das ist okay, wäre ja langweilig, wenn alles so
bliebe, wie es ist. Aber kurz traurig sein darf man schon.
Heute, fast 60 Jahre nach den Jahrestagen, [3][greift der US-Präsident die
New York Times an], die wichtigste Zeitung der Welt. Er hat sie in dieser
Woche auf 15 Milliarden Dollar Schadensersatz verklagt, vor allem aber will
er sie einschüchtern und als Sprachrohr der Demokraten diskreditieren.
Als alte Tante wird die Times im Roman bezeichnet. Und wie das mit lieb
gewonnenen Familienmitgliedern ist, Angriffe auf sie nimmt man persönlich.
Die Freiheit der Presse wird vom mächtigsten Mann der Welt angegriffen. Und
das ist viel bedrohlicher als die Frage, ob eine Zeitung auf Papier
erscheint.
19 Sep 2025
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## AUTOREN
(DIR) Kersten Augustin
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