# taz.de -- Neuer Film von Christian Petzold: Königsberger Klopse für die Schiffbrüchigen des Lebens
       
       > In Christian Petzolds elegantem neuem Spielfilm „Miroirs No. 3“ versuchen
       > vom Leben gezeichnete Menschen in der Uckermark, sich gegenseitig zu
       > helfen.
       
 (IMG) Bild: Paula Beer in einem Cabriolet in der Uckermark
       
       Als Christian Petzold beim diesjährigen Filmfest München zu Besuch war und
       in einem ausführlichen Gespräch Einblick in seine Arbeit als Regisseur
       gewährte, verwendete er eine sehr tröstliche Metapher, um seinen neuen Film
       „Miroirs No. 3“ und die ihm innewohnende Tragik zu beschreiben.
       
       So solle man sich ein Schiff vorstellen, das Schiffbruch erleidet. Die
       Schiffbrüchigen, die in ihrer Not auf dem Ozean treiben, bauen sich aus den
       Trümmerteilen ein Floß. Dieses Überlebensfloß stehe für die Essenz seines
       Films.
       
       Die Metapher erklärt zugleich den etwas rätselhaften Titel „Miroirs No. 3“,
       der dem fünfteiligen Klavierzyklus „Miroirs“ des französischen Komponisten
       Maurice Ravel entnommen ist. Dessen drittes Stück heißt „Une barque sur
       l’océan“, eine Barke auf dem Ozean.
       
       ## Leerer Blick und Stand-up-Paddler
       
       Eine der Schiffbrüchigen ist Laura (Paula Beer), die Klavier an der
       Universität der Künste studiert. Im Prolog sehen wir sie an einem Berliner
       Stadtkanal stehen. Der Blick wirkt leer und verloren. Ein vorbeifahrender
       Stand-up-Paddler in schwarzem Ganzkörperanzug irritiert die Szene.
       
       Ist Laura lebensüberdrüssig und der Mann auf dem Schwimmbrett Charon, jener
       Fährmann in der griechischen Mythologie, der die Seelen der Verstorbenen
       ins Totenreich befördert? Ein Motiv, das zu Petzolds Filmkosmos passen
       würde, in dem Sagengestalten gern einer Neuinterpretation in der Gegenwart
       unterzogen werden. Wie in [1][„Undine“ (2020)], in dem der gleichnamige
       Wassergeist nicht mehr derjenige ist, in den sich die Männer verlieben,
       sondern jener, der selbst einmal lieben will.
       
       In „Miroirs No. 3“ kann die Hauptfigur Laura, so scheint es, nicht mehr
       lieben. Die Beziehung mit ihrem Freund wirkt kühl und angespannt.
       Widerwillig begleitet sie ihn zusammen mit einem befreundeten Paar zu einem
       Wochenendausflug aufs Land. Auf dem Hinweg trifft sich ihr Blick mit dem
       von Betty (Barbara Auer), die am Straßenrand steht und ihren Gartenzaun in
       leuchtendem Weiß streicht.
       
       ## Obhut im abgelegenen Haus
       
       Als Laura doch zurück nach Berlin will, fährt ihr Freund sie genervt im
       feuerroten Cabrio zum nahegelegenen Bahnhof. Nur wenige Meter von Bettys
       Haus entfernt verliert er die Kontrolle über das Auto und stirbt. Laura
       überlebt mit wenigen Kratzern. Laut Notarzt müsse sie nicht ins
       Krankenhaus. Und so bleibt sie bei der seltsam entrückten Betty, die sie in
       ihrem abgelegenen Haus im Nirgendwo der uckermärkischen Provinz in Obhut
       nimmt.
       
       Christian Petzold verzichtet auf Erklärungen. In seinen Filmen ist kein
       Realismus am Werk, der nach psychologischer Glaubwürdigkeit verlangt. Und
       so wird dem tragischen Unfall schnell keine Bedeutung mehr geschenkt. Er
       ist nur die Initialzündung für die märchengleiche Geschichte, die folgt.
       Eine Geschichte über eine vereinsamte Mutter, die einer labilen Frau Obhut
       gibt und dabei von ganz eigenen Sehnsüchten getrieben wird.
       
       Hinzu kommen Richard (Matthias Brandt), Bettys Mann, und der gemeinsame
       Sohn Max (Enno Trebs). Am Esstisch starren beide zunächst irritiert auf den
       vierten Teller, bis sie Laura kennenlernen, die das Essen, es gibt
       Königsberger Klopse, serviert. Es ist offensichtlich, hier soll eine
       Leerstelle in der Familie gefüllt werden.
       
       ## Tropfender Wasserhahn und rauchender Geschirrspüler
       
       Das alles wird mit einer leisen Fröhlichkeit erzählt, bei der immer wieder
       melancholische Töne mitschwingen. Wenn Vater und Sohn, die in der Nähe eine
       Autowerkstatt betreiben und dort zu wohnen scheinen, sich daranmachen, den
       tropfenden Wasserhahn oder den in Rauch aufgegangen Geschirrspüler zu
       reparieren und damit irgendwie auch ihre eigene kaputte Familie reparieren
       wollen.
       
       Wenn beim Kuchenessen über die Vorzüge von Mürbe- und Hefeteig diskutiert
       wird. Oder wenn in einer hinreißenden Szene Max und Laura vor der
       Autowerkstatt sitzen und schweigend einem Lied lauschen, bis sie in
       gemeinsames Lachen ausbrechen. Alltägliche Momente der Geborgenheit und
       Heiterkeit, in denen von Leben gezeichnete Menschen versuchen, sich
       gegenseitig zu helfen. Es ist abzusehen, dass dieses Floß der
       Schiffbrüchigen selbst brüchig wird.
       
       Das abgeschiedene Landhaus wirkt dabei wie ein fünfter Protagonist. Immer
       wieder wird sein Raum ausgelotet, wird durch seine Fenster und Rahmen
       gefilmt. Die Holzveranda, die am Haus vorbeiführende Straße, die mehr einem
       Feldweg gleicht, und die Weitläufigkeit der Wiesen und Felder lassen an die
       Kulisse eines Western denken. Die Filme von Christian Petzold suchen immer
       auch eine Poesie in der Provinz.
       
       „Miroirs No. 3“, mit dem Petzold erstmals zum Filmfestival nach Cannes
       eingeladen wurde, ist der Abschluss seiner Elementar-Trilogie, die er mit
       „Undine“ (Wasser) begann und mit [2][„Roter Himmel“ (Feuer)] fortsetzte.
       Hier ist es ganz beiläufig das Element Luft, genauer gesagt der Wind, der
       die Kleider zum Flattern bringt oder durch die Baumkronen vor Bettys Haus
       rauscht. Es ist ein zarter und traumwandlerischer Film, der wenig möchte,
       dieses Wenige aber mit äußerster Versiertheit erzählt.
       
       17 Sep 2025
       
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