# taz.de -- Eine vergessene Architektin: Du musst wissen, wie man kocht
       
       > Astra Zarina wirkte in den 1960er Jahren mit am Bau des Berliner
       > Märkischen Viertels – und doch verschwand ihr Name aus der
       > Architekturgeschichte.
       
 (IMG) Bild: Astra Zarina in ihrem Architektur-Studio in Rom in den frühen 1960er Jahren
       
       Wenn man an die Architekten denkt, die Berlin nach dem Zweiten Weltkrieg
       geprägt haben und die Stadt aussehen ließen, wie sie heute aussieht, dann
       denkt man erst mal und sehr lange nicht an Astra Zarina.
       
       Dabei hat die am 25. August 1929 geborene Architektin ihr einziges Bauwerk
       in Berlin errichtet. Und trotzdem – oder gerade deshalb – sollte man heute
       von ihr als erfolgreicher Architektin sprechen. Astra Zarina wurde in Riga
       geboren und starb 2008 in Rom.
       
       Innerhalb dieses Zeitraumes verbrachte sie zwar nicht viel, aber prägende
       Zeit in Berlin. Nachdem ihre Familie 1949 aus Lettland über Österreich und
       Deutschland in die USA geflohen war, schloss Zarina ihr Architekturstudium
       am Massachusetts Institute of Technology mit Auszeichnung ab und arbeitete
       anschließend bei [1][Minoru Yamasaki], dem Architekten, der später das
       World Trade Center gestalten sollte.
       
       ## Seattle, Rom, Berlin
       
       Dort galt sie als eine der besten Zeichnerinnen und Planerinnen. 1960, kurz
       nachdem sie als erste Frau überhaupt den Rome Prize der American Academy
       gewonnen hatte, wurde sie gemeinsam mit ihrem ersten Ehemann Douglas
       Philipp Haner angeheuert, Teil der Gruppe von Architekten zu werden, die
       das [2][Märkische Viertel] planen sollten. Dieser Wohnstadt, die nach wie
       vor ohne U-Bahn-Anschluss ein bisschen abgeschottet, ganz am Rande, im
       Norden Berlins liegt.
       
       Damals war das Gebiet noch von Kleingärten besiedelt und eher ländlich
       geprägt. Noch heute erheben sich die Wohntürme direkt neben den
       Getreidefeldern der Mark Brandenburg. Von Senatsbaudirektor Düttmann und
       seinen Mitstreitern beschlossen, sollte hier schon bald die neueste und
       modernste Wohnsiedlung Berlins entstehen.
       
       Dringend benötigter Wohnraum für bis zu 50.000 Menschen, schon damals litt
       Berlin unter akutem Wohnungsmangel. Für die Planung des Märkischen Viertels
       heuerte man vor allem junge Architekten aus dem Ausland an, um
       sicherzugehen, dass sie nicht unter den Nationalsozialisten gearbeitet
       hatten.
       
       Von 1963 bis zur endgültigen Fertigstellung 1974 bauten diese insgesamt
       17.000 Wohnungen. Unter den 35 Architekten war Astra Zarina – als einzige
       Frau. Damals, Anfang dreißig, auf dem Weg von Seattle nach Rom, muss ihr
       das Projekt wie eine große Verheißung vorgekommen sein.
       
       ## Der Name ihres Ex-Partners stand im Vordergrund
       
       In Berlin traf Zarina auf einen starren, bürokratischen Apparat, dem das
       Einhalten von Bauvorschriften und Normen wichtiger war als klug durchdachte
       Abweichungen. So sah man in ihren ersten Entwürfen für den Teil des
       Märkischen Viertels, den sie gemeinsam mit Haner planen sollte,
       Wohneinheiten, die eine Art Innenhof formten und ebenerdige Ladenzeilen:
       eine Durchmischung und ein Nebeneinander von Leben, Wohnen und Arbeiten.
       
       Doch die damaligen Berliner Bauherren verstanden das neue Viertel als
       Blaupause am Reißbrett, in dem sich die verschiedenen Lebensbereiche kaum
       berühren sollten: Es sei „Brutalität, mit der wir da Lyrik gemacht haben“,
       beschrieb Düttmann das Viertel noch 1967 gegenüber dem [3][Tagesspiegel].
       
       Doch schon während die ersten Bewohner ab 1963 einzogen, kam es zu
       Beschwerden. Viele der Probleme hingen damit zusammen, dass die
       Infrastruktur noch nicht entwickelt war, die Menschen aber schon eingezogen
       waren. Der Kindergarten war noch zu, der Spielplatz noch nicht gebaut, die
       Bäume noch nicht gewachsen.
       
       Während in Berlin die ersten Probleme sichtbar wurden, war Zarina bereits
       nach Rom gezogen, wo sie den Rest ihres Lebens bleiben sollte. Sie notierte
       noch, dass sie durch das Projekt weder „reich noch berühmt“ geworden sei.
       Vielleicht hatte sie sich genau das davon versprochen. Vom Ehemann trennte
       sie sich schon in der Planungsphase. Obwohl sie das Projekt allein
       beendete, war es der Name des Ex-Partners, der immer wieder in den
       Unterlagen zum Märkischen Viertel auftauchte, während ihr eigener
       verschwand.
       
       ## Zarinas Engagement für die Studierenden
       
       Und doch hat sie sich in die Architekturgeschichte eingeschrieben. Nicht
       durch große, ressourcenverschlingende Bauten, sondern durch die Lehre.
       Nachdem sie wegen ihrer Lehrtätigkeit an der Washington University
       jahrelang zwischen Rom und Seattle gependelt war, schlug Zarina, die
       mittlerweile Professorin war, dem Dekan vor, ihr sechs vielversprechende
       angehende Architekten nach Rom zu schicken, so könne sie viel besser
       unterrichten.
       
       1970 kam die erste Gruppe amerikanischer Architekturstudenten an. Zarina
       brachte sie in ihrer eigenen Wohnung unter. Ursprünglich als einmaliger
       Austausch gedacht, war es der Start für das „Rome program“ der Universität,
       das es bis heute auch für andere Wissenschaftszweige gibt.
       
       Als Zarina in den 1960er Jahren zum ersten Mal nach Civita di Bagnoregio,
       einem Bergdorf, circa eine Stunde von Rom entfernt, kam, lebten dort noch
       weniger als zehn Menschen und der Tuffstein der Fundamente bröckelte unter
       ihnen wie „frischer Ricotta“. Zarina nahm ihre Studierenden mit,
       restaurierte einige Gebäude und richtete das [4][Civita Institute] ein, das
       es heute gibt und das sich dem Erhalt des Bergdorfes widmet.
       
       Die Studierenden wurden bei Familien vor Ort untergebracht und arbeiteten
       mit Zarina daran, das Dorf mit den Ressourcen, die zur Verfügung standen,
       zu erhalten. Sie lernten Dinge zu erhalten, statt sie abzureißen und neu zu
       bauen.
       
       ## Architektur und Tischkultur
       
       Zarina prägte viele ihrer Studierenden, die teilweise bis heute angeben,
       dass sie ihre Karriere und wie sie die gebaute Umwelt wahrnehmen, Zarina zu
       verdanken haben. Ihre Lehrtätigkeit endete nicht bei der Theorie oder der
       Architektur im Allgemeinen. So hat sie einmal gesagt: „If you want to be an
       architect you have to know how to cook“.
       
       Sie veranstaltete regelmäßig sogenannte „Didactic Dinner“. Dinner, bei
       denen sie den jungen Amerikanern zeigte, wie man Huhn mit Estragon und
       Granatapfelsauce zubereitete, dass zum Ende eines Arbeitstages ein kleines
       Glas Fernet Branca gehörte und wie man mit eingeladenen römischen Freunden
       und Intellektuellen Konversation betrieb. Zarina unterrichtete Habitus und
       mit ihm das Selbstverständnis, mit dem man sich in der Welt bewegt.
       
       Wenn man den Maßstab, mit dem man Erfolg in der Architektur bemisst,
       verändert, rücken plötzlich viele weitere interessante Figuren der
       Architektur ins Blickfeld, deren Tätigkeit bislang eher wenig beachtet
       wurde. Und schaut man sich die Geschichte Asta Zarinas an und wie viele
       Spuren sie, nicht zuletzt durch ihre Studierenden, in der [5][Architektur]
       hinterlassen hat, versteht man, warum sich das dringend ändern sollte.
       
       Eine Publikation der Autorin über Astra Zarina erscheint im Frühjahr 2026
       bei Hatje Cantz.
       
       25 Aug 2025
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Laura Helena Wurth
       
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