# taz.de -- Die Wahrheit: „Achtung, hier kratzt die Polizei!“
       
       > Krätze oder Noro? Sind in jeder schimmeligen Polizeistation frei
       > erhältlich. Ein hygienischer Wahrheit-Lagebericht aus NRW.
       
 (IMG) Bild: Mitarbeiter auf dem Weg zum Arbeitsplatz
       
       Irgendwo sonntags am Rande einer westfälischen Provinzstadt. Zwei kurze,
       aber heftige Stöße mit der Einsatzramme reichen, um die Tür aus den Angeln
       zu heben. Die dahinter liegende Wohnung wird vom SEK augenblicklich
       gestürmt. Für Hauptkommissar Wolfgang Ahrens bedeutet der Zugriff Rettung
       in letzter Sekunde.
       
       Der 53-Jährige sprintet am entsetzten Rentner-Ehepaar vorbei ins
       Badezimmer. Als er eine Viertelstunde später wieder herauskommt, wirkt er
       nicht nur mental erleichtert. Ahrens tupft sich keuchend die Schweißperlen
       von der Stirn. Danach leistet er bei den zitternden Senioren für die
       „bedauerliche Verwechslung“ Abbitte und wünscht einen schönen Tag.
       
       Wenige Minuten später kann die versprochene Ortsbesichtigung seiner
       Dienststelle endlich beginnen. Über die Frage, welcher Wache er als
       Führungskraft vorsteht, haben wir mit dem Ordnungshüter aus Rücksicht auf
       die Schamgefühle seiner Mitarbeiter Stillschweigen vereinbart.
       
       „Dass nach einem Bericht unserer Gewerkschaft GdP hunderte von
       Polizeistationen in Deutschland marode und teilweise von Schimmel und
       Kakerlaken befallen sind, haben Sie sicher schon gehört“, raunt uns Ahrens
       beim Kriechen durch ein Loch in der Mauer zu. Wie er uns erklärt, sei der
       Bereich um den Haupteingang wegen der Gefahr von herabfallenden
       Gebäudeteilen bis auf Weiteres gesperrt.
       
       ## Renovierungsarbeiten liegen auf Eis
       
       „Leider liegen die angefangenen Renovierungsarbeiten wegen des
       milliardenschweren Investitionsstaus bei den Immobilien der Polizei derzeit
       auf Eis. Und jetzt hat es auch noch unsere Sanitäranlagen erwischt!“,
       flucht er. „Deswegen benutzen wir an Werktagen für gewöhnlich die Schulklos
       des städtischen Max-Planck-Gymnasiums. Am Wochenende mieten wir uns dann
       spontan im nahen Wohnblock ein. Kopf einziehen!“
       
       Geschickt den überall lauernden Mausefallen ausweichend erreichen wir mit
       Ahrens das Büro. Weil es durch das undichte Dach regnet, haben die Beamten
       an den Schreibtischen blaue Schirme mit NRW-Polizeilogo aufgespannt.
       Mittels antik aussehender Schreibmaschinen werden fleißig Berichte aufs
       Papier gehackt. „Unsere teuren EDV-Anlagen haben wegen der hohen
       Luftfeuchtigkeit schon vor Monaten den Geist aufgegeben, und Ersatz ist
       nicht in Sicht“, rechtfertigt der Gendarm den Rückfall ins vorige
       Jahrhundert. „Deswegen ist die Triumph-Adler No. 11 in Sachen
       Digitalisierung erst mal das höchste der Gefühle.“
       
       Als aus dem verbeulten Aktenschrank plötzlich eine kapitale Ratte
       hervorschnellt und in den Nebenraum wuselt, ist Ahrens gerade damit
       beschäftigt, sich am linken Unterarm zu kratzen. Ausschlag! Obwohl die Jagd
       nach Ungeziefer momentan vor der Verbrechensbekämpfung absoluten Vorrang
       hat, haben die katastrophalen Zustände auf seiner Wache paradoxerweise zu
       einem Rückgang der Kriminalitätsrate geführt. „Das Risiko, sich bei einem
       Aufenthalt in einer unserer Zellen mit Rur, Noro oder Beulenpest
       anzustecken, ist Kleinkriminellen einfach zu hoch“, berichtet das
       Polizei-Urgestein. „Da heißt es buchstäblich: ‚Besser sauber bleiben!‘
       Kommen Sie.“
       
       Auf dem Weg zum Fuhrpark passieren wir die behördlich verplombten und mit
       Totenkopf-Warnaufklebern versehenen WC-Türen. Durch einen offenen Spalt
       blitzt aus der Dunkelheit kurz ein Augenpaar auf. In der Garage angekommen,
       bewundern wir schrottreife Polizeiautos mit offenstehenden Motorhauben. Die
       vielen herumliegenden Fahrzeugteile wie Kennzeichenschilder, kaputte Reifen
       und abgefallene Kotflügel lässt Ahrens links liegen und zeigt uns seine
       neue Flotte. „Weil selbst unsere Motorräder und E-Bikes nicht mehr
       fahrtüchtig sind, mussten wir auf anspruchslose und wartungsarme Laufräder
       mit Hartgummireifen umsteigen.“
       
       ## Formschöne Helmkameras aus den Siebzigern
       
       Jemand hat einen antiken Fotoapparat mit Paketklebeband an einer
       Polizeikelle befestigt. „Mit diesen formschönen Helmkameras aus den
       siebziger Jahren versuchen wir, den technikverwöhnten Nachwuchs
       anzusprechen.“ Dieser sei Ahrens zufolge wegen des wegbrechenden
       Altpersonals bitter nötig. „Viele Kollegen wechseln in private
       Sicherheitsfirmen, werden Kaufhausdetektive oder Türsteher. Jedes
       Unternehmen, das hygienische Grundbedürfnisse auch nur ansatzweise
       befriedigt, ist eine Bedrohung für unseren Personalschlüssel“, redet sich
       der Gesetzesdiener in Rage.
       
       Da die restlichen Gebäudeteile aktuell noch verschüttet sind, haben wir das
       Ende unserer Tour schon erreicht. Wolfgang Ahrens verabschiedet sich von
       uns mit einem Hinweis. Für morgen habe sich NRW-Innenminister Herbert Reul
       für eine Ortsbegehung angemeldet. Viel erwarte er vom hohen Besuch
       allerdings nicht. „Mit etwas Glück“, keckert der Hauptkommissar böse und
       schüttet sich reichlich Puder auf seinen juckenden Unterarm, „kriegt der
       Reul bei uns die Krätze!“
       
       19 Aug 2025
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Patric Hemgesberg
       
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