# taz.de -- Die Wahrheit: Pilzköpfe nebst Herbstnebel
       
       > Zu Besuch im Schwammerl-Paradies, einer mykologischen Idylle mitten im
       > Stadtforst von Eberswalde, mit einem gewaltigen Pilz als Bestseller.
       
 (IMG) Bild: Hoffentlich ist kein giftger dabei: Pilzsammlerkörbchen
       
       Der Genuss der herbstlichen Idylle im Eberswalder Stadtforst dauert für uns
       nur wenige Minuten. Pünktlich zur vereinbarten Zeit donnert Stanislaus
       Wuttke mit seinem 700 PS starken Bulldozer über einen kleinen Hügel auf die
       Lichtung. Wenige Minuten später ist der brandenburgische Waldboden vom
       Ameisenhaufen bis zum perforierten Wurzelwerk einmal komplett umgewälzt.
       Während seine Mitarbeiter umgeknickte Jungbuchen und vom Pech verfolgte
       Maulwürfe in den Häcksler schieben, lotst Wuttke einen Siebentonner
       rückwärts ins landschaftsgeschützte Kerbtal. Erst als die Paletten mit den
       vergammelten Supermarkt-Champignons ausgeladen sind, hat der gebürtige
       Lausitzer die Muße, uns zu begrüßen.
       
       „Herzlich willkommen im Schwammerl-Paradies!“, schüttelt der Unternehmer
       mit der exzentrischen Pilzkopf-Frisur uns die Hände. Wuttke hat sich mit
       seiner Firma „Mushrooms 4 U“ auf geführte Touren für Laien spezialisiert,
       die beim Pilzesammeln ohne viel Aufwand und Vorwissen saisonunabhängig
       Erfolge feiern möchten.
       
       „Damit es dabei nicht zu unschönen Begegnungen mit dem Spitzgebuckelten
       Raukopf oder dem hochgiftigen Kahlen Krempling kommt, wird das Erdreich
       nach dem Umgraben noch mal eben mit dem Flammenwerfer bearbeitet“, lodert
       es in Wuttkes Augen für einen Moment irre auf. „Erst danach fangen meine
       Leute an, die Discounterpilze unter Druckluft und mit dem Stiel voran in
       die Humusauflage zu schießen. Mit diesem Prinzip können zahlungskräftige
       Pilzsammler ihrer Leidenschaft locker bis in den Mai frönen. Na, wenn man
       vom Teufel spricht: Kundschaft!“
       
       Der Hobby-Mykologe deutet auf einen rappelvollen Reisebus. „Jeder Gast hat
       auf meiner Homepage eine Sammel-Tageskarte à 1.000 Euro, exklusive der
       Gebühr für Wildtoiletten-Benutzung, Leihkörbchen und Stromkosten für das
       Flutlicht, bezahlt“, erklärt Wuttke, der auf den Tag genau fünf Jahre nach
       seiner unehrenhaften Entlassung aus dem Bund deutscher Forstleute (BDF) ein
       bemerkenswertes Comeback feiert.
       
       ## Fan der Beatles
       
       Nach kurzem Fußweg durch den geschundenen Herbstwald kommen wir mit
       Beatles-Fan Wuttke vor einem haushohen Stacheldrahtzaun zum Stehen, der das
       20 Hektar große Areal großzügig umrundet. Ein durchgängig hochfrequentes
       Knistern weist darauf hin, dass hier alles gehörig unter Strom steht. „Als
       selbstständiger Unternehmer muss ich natürlich verhindern, dass in aller
       Herrgottsfrühe Spaziergänger auftauchen und mit spitzen Fingern meine
       mühsam präparierten Auslagen plündern. Außerdem ist die Nachbarschaft hier
       nicht gerade die beste. Kommen Sie!“
       
       Es ist früher Vormittag. Auf der parkeigenen Müllkippe für
       schwachradioaktiven Abfall zeigt Wuttke uns seinen monströsen
       Verkaufsschlager. Der Cäsium-137-Schwefelporling ist mannshoch und
       beeindruckt mit seiner fleischig-wuchtigen Statur. Außerdem ist er durch
       sein fluoreszierendes Leuchten auch bei völliger Dunkelheit noch zu sehen.
       
       Wie uns Wuttke erzählt, hat er das teure Prachtstück selbst entlang der
       Castor-Bahnstrecke gepflückt und liebevoll aufgepäppelt. „Vermutlich können
       Sie Ihr ganzes Leben davon essen, und das Ding mutiert immer wieder von
       unten nach. Da es in den letzten Wochen zunehmend ein Eigenleben entwickelt
       hat, würde ich es aber sicherheitshalber nicht im Haus wohnen lassen.
       Kommen Sie!“
       
       ## Agent mit Körbchen
       
       In Brandenburgs Wäldern dämmert es schon wieder, die Rundtour mit
       Stanislaus Wuttke neigt sich dem Ende zu. Unser Gastgeber ist sich sicher,
       unter den Pilzsammlern einen Agenten des Bundesamts für Verbraucherschutz
       und Lebensmittelsicherheit erkannt zu haben, und wird nervös. Im
       Vorbeigehen schnipst er dem V-Mann unbemerkt einen Gifthäubling ins
       Körbchen, während er uns in seinen Trailer einlädt, wo er ein „leckeres
       Pilz-Risotto nach Spezialrezept wie bei Oma“ kochen möchte.
       
       Da der Pilzbauer jedem Mitglied des Rentner-Rudels vor seiner Abreise noch
       ein kostenpflichtiges Erinnerungs-Tattoo abnötigt, setzen wir uns schnell
       ab und lassen uns von Wuttkes Schwefelporling unauffällig über den Zaun
       helfen. Nach reiflicher Überlegung verzichten wir darauf, wegen Wuttkes
       Mordplänen die Polizei zu rufen. Stattdessen flüchten wir aus dem
       Schwammerl-Paradies in den nächsten Supermarkt.
       
       Mit dem Erwerb mehrerer Paletten Waldpilz-Cremesuppe aus der Tüte wollen
       wir es kulinarisch über den Winter schaffen, ohne nach jeder Mahlzeit mit
       multiplem Organversagen rechnen zu müssen. Nach dem Überfliegen der
       Ingredienzien auf der Packungsrückseite sind wir zutiefst erleichtert. Dass
       Wuttke den Hersteller mit seinen Teufelsknollen beliefert hat, ist
       praktisch ausgeschlossen. Im gentechnisch veränderten Mix aus dem
       Chemiebaukasten ist nämlich alles Mögliche vorhanden. Nur kein einziger
       Pilz.
       
       4 Nov 2025
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Patric Hemgesberg
       
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