# taz.de -- Polnische Musikerinnen Freiheit und Słyż: Bodyhorror mit Schlossgespenstern
       
       > Die polnischen Musikerinnen Alex Freiheit und Aleksandra Słyż haben ein
       > gemeinsames Album herausgebracht. „Ghsting“ ist ein avanciertes Hörstück.
       
 (IMG) Bild: Alex Freiheit und Aleksandra Słyż im Dämmerlicht
       
       Wie klingt ein Jahr, das schäbig endet und kein besseres in petto hat, wie
       vertont man den lidlosen Blick vom Balkon auf einen traurigen
       Silvestertaumel, auf Kinder, kleine Harlekine, die am Kreisverkehr eine
       brennende Barrikade errichten, auf Hooligans mit Kraterfressen und
       Spitznamen wie Harakiri, auf versehrte und verheerte Frauen?
       
       Mit dieser Gemengelage setzt der Text ein, den die polnische Dichterin und
       Sängerin Alex Freiheit für das Album „Ghsting“ geschrieben und
       eingesprochen hat. Die Musik hat die Komponistin und Musikerin Aleksandra
       Słyż komponiert und miteingespielt.
       
       „Ghsting“ ist ein avanciertes Hörstück, eine dramatische Text-Ton-Collage
       mit bestürzenden und verstörenden Klangbildern: vier Kapitel nebulöser
       Ereignisse in einem namenlosen Hotel in einer namenlosen Stadt. Die
       Auflösung schafft Klarheit, aber hilft nicht gegen das Unbehagen. Alex
       Freiheit beschwört, verflucht und spottet. Sie performt den Text im
       polnischen Original. Im 24-seitigen Booklet ist er in einer englischen
       Übersetzung abgedruckt.
       
       Wie eisiger Wind hinter dünnen Fenstern 
       
       Aleksandra Słyż greift tief in [1][die Trickkiste von
       Horrorfilm-Soundtracks]: Synthesizer vermessen Hallräume und bringen
       Kellerambient hervor, es grummelt und fiept, und tatsächlich meint man den
       eisigen Wind hinter dünnen Fenstern zu hören. Słyż ist unter ihrem Namen
       bis jetzt mit drei Alben an die Öffentlichkeit getreten, auf denen sie
       akustische Instrumente mit modularen Synthesizern verbindet und mikrotonale
       Spannungsfelder erzeugt.
       
       Auf „Ghsting“ schraubt sie an der Elektronik und kümmert sich um den Mix.
       Hinzu kommen Ania Karpowicz an Flöten und der Shō, einer Mundorgel aus der
       höfischen japanischen Musik, und Bartek Miller an der Percussion und der
       Hulusi, das ist noch eine Mundorgel, diesmal stammt sie aus China. Der
       Geist dieser Musik ist kein auftrumpfender.
       
       Alex Freiheit hingegen kommt vom Punk. Sie ist eine Hälfte des 2014 in
       Torun, der Geburtsstadt des Weltbilderschütterers Nikolaus Kopernikus,
       gegründeten Duos Siksa. Bei der anderen Hälfte handelt es sich um den
       Bassisten Piotr Buratyński. Es darf als unwahrscheinlich gelten, dass
       Freiheit und Buratyński es in ihrer Heimat auf absehbare Zeit zu
       Staatskünstlern bringen werden.
       
       Siksa beziehen sich auf anarchistisches Gedankengut und dessen Umsetzung.
       Ihre elf bisherigen Alben und zahlreichen Auftritte sind nicht der Stoff,
       aus dem nationalreligiöse Träume gestrickt sind. Freiheit und Buratyński
       engagieren sich in Theaterprojekten und haben in Gniezno das
       soziokulturelle Zentrum Latarnia na Wenei ins Leben gerufen.
       
       Osten als Projektionsfläche 
       
       Gniezno, eine Stadt, die selten von sich hören lässt, könnte die Kulisse
       von „Ghsting“ sein. Sie könnte, denn wer eigentlich sagt uns, dass eine
       polnische Autorin automatisch über Polen schreiben muss? Einiges in dem
       Text deutet darauf hin, dass er tatsächlich in Osteuropa angesiedelt ist,
       aber es handelt sich um ein ziemlich gewieftes Spiel mit dem Osten als
       Projektionsfläche, als Versuchung, auch erotischer Natur: Dracula spielt
       mit hinein, Leopold von Sacher-Masoch, Carl Felix von Schlichtegroll, „Die
       Hexe von Klewan“, Texte, in denen, wie das unwirtliche Hotel von „Ghsting“,
       entrückte Orte und Räume, ein Schloss oder eine Burg, die Handlung
       mitbegründen.
       
       Nur, dass Grauen und Schmerz in „Ghsting“ nicht als Stimulus fungieren.
       Spät im Text, fast zum Ende hin, fallen zwei Jahreszahlen. Die eine ist
       1989, das Jahr, das mit einer Freiheit assoziiert wird, die sich als
       janusköpfig herausstellen sollte. Die andere Jahreszahl ist 1995, als man
       zumindest eine Ahnung davon hätte entwickeln können, dass
       Kommerzialisierung von Träumen und Begierden mit das Schlimmste ist, was
       ihnen geschehen konnte.
       
       Auch darum geht es in „Ghsting“. Zum Booklet gehören Bilder des Fotografen
       Mattia Spich. Alex Freiheit und Aleksandra Słyż bewohnen eine in
       Sepiafarben getauchte Dämmerwelt.
       
       Eine Lichtquelle ist das Bildrauschen eines Fernsehers, ein Schneetreiben
       in Endlosschleife. Wenn die Raffung eines Vorhangs natürliches Licht
       hindurchlässt, ist es, als würde ein Messer aufblitzen.
       
       18 Aug 2025
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Soundtrack-von-Horrorklassiker/!6101411
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Robert Mießner
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Musik
 (DIR) Album
 (DIR) Neues Album
 (DIR) Polen
 (DIR) Musik
 (DIR) Neues Album
 (DIR) Musik
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Neues Album von TWÏNS: Retro-glitzernde Analogutopien bauen
       
       Das zweite Album des Solo-Musikers Miro Dencks alias TWÏNS heißt „Healing
       Dreams“. Es ist eine psychedelisch-softe Zeitreise in die 1970er Jahre.
       
 (DIR) Musikerin Jens Ausderwäsche: Sie pflegt lieber Marotten statt Selbstoptimierung
       
       Wenn dem Kapitalismus die Schminke zerläuft, hilft nur Schrulligkeit.
       Diesem Motto folgt die Musikerin Jens Ausderwäsche aus Chemnitz.
       
 (DIR) Soundtrack von Horrorklassiker: Auf der Affektebene ist die Hölle los
       
       Wayne Bell und Regisseur Tobe Hooper komponierten den noisig-kratzigen
       Soundtrack von „Texas Chainsaw Massacre“. Waxwork hat diesen neu
       veröffentlicht.