# taz.de -- Junge Menschen und Zukunftspessimismus: Mit Utopien gegen die Krise
       
       > Die junge Generation wächst mit der Klimakrise auf und verliert dabei den
       > Glauben an Veränderung. Dabei sind Utopien gerade bitter nötig.
       
 (IMG) Bild: Der Umwelt zuliebe: besser mit dem Zug nach Paris als mit dem Flugzeug
       
       Einmal plante ich mit einer Freundin einen Wochenendtrip nach Paris. Die
       Bahnpreise stiegen von Tag zu Tag – und wir schauten halbernst nach einer
       Flugverbindung ab Frankfurt. Die Ersparnis wäre für zwei Jugendliche groß
       gewesen. Doch was sagt es über die Einstellung von jungen Menschen aus,
       dass wir diese Option überhaupt in Erwägung gezogen haben?
       
       Der Tag beginnt mit News zu Flammen in Südfrankreich. Während des Schulwegs
       dann Meldungen zu Überschwemmungen in Texas. Auf dem Heimweg: 40 Grad –
       [1][der heißeste Juni, den Westeuropa je erlebt hat]. Dazwischen wir – eine
       Generation, die sich immer häufiger fragt, ob es nicht naiv ist, noch an
       die Klimawende zu glauben.
       
       Ohne nachhaltige Mobilität wird das nichts. [2][Der Straßenverkehr] ist für
       ungefähr ein Fünftel der europäischen CO2-Emissionen verantwortlich. Der
       Verbrennungsmotor steht an einem Scheideweg, und Deutschland muss sich
       schnell für eine Richtung entscheiden. Denn der Klimawandel verhandelt
       nicht – und wir hängen ihm schon zu lange an den Fersen. Es ist Zeit, dass
       wir aufholen. Doch wie soll das gelingen, wenn selbst das Verbrenner-Aus
       2035 nach Utopie klingt?
       
       Mobilitätsexperte Josef Löffl hat noch Hoffnung. Sein Vertrauen in uns,
       engagierte Jugendliche, habe ich beim 201. jugend presse kongress – young
       leaders in Potsdam erlebt. Die Veranstaltung, gefördert durch das
       Bundesministerium für Verkehr, bringt junge Talente aus ganz Deutschland
       zusammen.
       
       ## Die Hoffnung auf völlig neue Lösungswege
       
       „Man sollte den Faktor Mensch nicht unterschätzen. Der Mensch tut viele
       unüberlegte Dinge, aber gleichzeitig hat er die Fähigkeit, im wahrsten
       Sinne des Wortes, Berge zu versetzen“, sagt Löffl in einem großen Saal vor
       Hunderten Jugendlichen, denen es vor der Zukunft bangt. Sein Vortrag
       versprüht angesichts der aktuellen Lage etwas Utopisches.
       
       „Es wird Dinge geben, die wir uns heute noch nicht vorstellen können, die
       völlig neue Lösungswege herbeiführen werden“, sagt Löffl. Der Professor,
       der an der Hochschule Coburg lehrt, glaubt an die Kraft des menschlichen
       Erfindungsgeistes. Er ist optimistisch, dass Technologie die nachhaltige
       Mobilitätsentwicklung vorantreiben wird. Die Frage, was technisch machbar
       ist, sei trivial. Seine Antwort: „Alles.“ Entscheidend sei allein der
       Wille. Löffl sieht keinen Grund zur Panik, im Gegenteil: Diese Reaktion
       würde Fortschritt hindern.
       
       Wir jungen Menschen sind mit Schlagzeilen aufgewachsen, die früher nach
       Science-Fiction geklungen hätten und heute Alltag sind. Als Kind habe ich
       diese Nachrichten noch mit Sorge verfolgt. Mittlerweile swipe ich fast
       beiläufig durch die Meldungen. Solange ich denken kann, ist der Klimawandel
       für mich eine Realität, welche ich akzeptieren muss – und keine Neuigkeit,
       keine Drohung. Eine pessimistische Einstellung zu meiner Zukunft wurde in
       mir vorprogrammiert, ebenso wie die Frage, ob wir überhaupt noch etwas
       verhindern, verändern können.
       
       Ist das der Grund, warum viele die Entscheidung für den Flieger pragmatisch
       erwägen, statt sie kategorisch auszuschließen?
       
       Wie aber soll Veränderung gelingen, wenn wir alle so pessimistisch in die
       Zukunft blicken? Tun wir das weiterhin, wird der Klimawandel zur sich
       selbst erfüllenden Prophezeiung. Wenn niemand mehr an eine bessere Zukunft
       glaubt, bleibt auch niemand mehr übrig, der sie möglich macht.
       
       ## Ohne utopische Hoffnung keine Veränderung
       
       Auch [3][Luisa Neubauer,] das bekannteste Gesicht der deutschen
       Fridays-for-Future-Bewegung, erkennt an, dass die Umkehrung des aktuellen
       Erwärmungstrends mehr und mehr nach Fantasie klingt – doch dies sei kein
       Grund, aufzugeben. In ihrem Buch „Der Klimaatlas“ beschreibt Neubauer das
       Phänomen der „utopischen Lücke“. „Wir sind wahnsinnig gut darin, utopische
       Errungenschaften der Vergangenheit ganz selbstverständlich in unseren
       Alltag zu integrieren und zu akzeptieren“, schreibt sie dort.
       
       Als Beispiel verweist sie auf den Feminismus. Ohne eine zunächst utopische
       Hoffnung auf mehr Rechte, hätte sie als Frau keine Bücher schreiben dürfen.
       War ein Traum die Präambel dazu? Ist utopisches Denken also zwingend
       notwendig? Neubauers Antwort lautet: ja.
       
       Die Klimaaktivistin vertraut jedoch, im Gegensatz zu Löffl, eher auf
       gesellschaftlichen Wandel als auf technische Innovation. Sie warnt davor,
       den Klimakampf als etwas anzusehen, das sich von selbst ergeben werde: „Es
       gab eine Phase, da schien es, als gäbe es keine Klimawandelleugnung mehr,
       aber eigentlich haben sich die Argumente verändert. Anstatt die
       Wissenschaft zu leugnen, wird die Dringlichkeit oder die eigene
       Verantwortung geleugnet.“
       
       Der Sturz in den Pessimismus könnte als neue Art der Klimaleugnung gesehen
       werden. Doch ist hoffnungslose Aussicht nicht vielmehr eine einfache
       Ausrede, durch die man mit sich selbst vereinbaren kann, dass man sich das
       Leben, auch wenn es dem Klima schadet, leichter macht?
       
       ## Aussichtslosigkeit ist auch keine Lösung
       
       Wir sind keine naiven Idealisten. Wir wissen, dass der Kampf nicht leicht
       sein wird. Dass uns die Lösungswege nicht einfach in den Schoß fallen
       werden. Dennoch sollten wir uns von pessimistischen Gedanken nicht
       unterkriegen lassen. Denn kein Kampf lässt sich gewinnen, den man schon zu
       Beginn als aussichtslos ansieht. Neubauer sieht dies ähnlich: „Wie kann es
       sein, dass die größte Geschichte der Welt Menschen entweder panisch
       zurückschrecken oder sich gelangweilt abwenden lässt.“
       
       Die Wahrheit liegt vermutlich irgendwo zwischen utopischer Vision und
       kalter Realität. Doch Utopien sind ein Anfang im Klimakampf. Und alle Mal
       besser als Resignation und daraus resultierende Ignoranz. Jeden Tag müssen
       wir Entscheidungen treffen – für uns, für eine lebenswerte Zukunft.
       Persönliche Utopien helfen dabei, nicht die einfache, sondern die richtige
       Entscheidung zu treffen. Meine Freundin und ich entschieden uns, nicht nach
       Paris zu reisen. Der Zug war zu teuer.
       
       8 Aug 2025
       
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