# taz.de -- Vermüllung in Uganda: Der Preis des Mülls
       
       > Ein Jahr nach der Mülllawine hat Shadia Nanyonjo weder ihr Zuhause zurück
       > noch eine Entschädigung erhalten. Die Stadt lädt ihren Abfall in einem
       > geschützten Gebiet ab.
       
 (IMG) Bild: Bagger im Einsatz am Müllberg von Kiteezi: Direkt neben Wohnhäusern suchen Einsatzkräfte 2024 nach Verschütteten
       
       Ihre Lippen zittern leicht, als Shadia Nanyonjo auf den Müllberg schaut,
       der vor einem Jahr ihr Haus unter sich begrub. „Hier habe ich mit meinen
       drei Kindern gelebt“, sagt sie leise und ringt um Fassung.
       
       Die 29-jährige Uganderin steht an der Flanke eines der zahlreichen Hügel
       von Ugandas Hauptstadt Kampala. Oberhalb von dort, wo sie steht, erhebt
       sich ein gewaltiger Berg aus [1][Müll]. Fliegen schwirren umher. Es stinkt
       nach Abfällen. Vor genau einem Jahr hatte sich ein Teil des Müllberges
       gelöst und war wie eine Lawine den Abhang hinuntergedonnert. Mehr als 70
       Häuser wurden darunter begraben. 34 Tote wurden später geborgen, noch immer
       werden mehr als 20 vermisst. Insgesamt wurden mehr als 220 Menschen
       obdachlos. Viele Familien haben ihre Angehörigen oder Nachbarn, die sie
       dort im Unrat vermuteten, nie wieder gefunden.
       
       Die alleinerziehende Mutter Nanyonjo hatte riesiges Glück: „Ich war an
       jenem Morgen früh aufgestanden, um den Haushalt zu machen, bevor ich meine
       Kinder zum Kindergarten bringen wollte und ich selbst zur Arbeit musste,“
       berichtet sie und seufzt. Der Morgen des 9. August 2024, als die städtische
       Müllhalde im Morgengrauen kollabierte, ist eine Erinnerung, die Shadia
       Nanyonjo nur schwer erträgt.
       
       Die Kinder waren gerade aufgewacht. „Zuerst hörte ich ein dumpfes Grollen,
       dann hörte ich meine Nachbarn laut schreien“, erzählt sie. „Da habe ich
       meine Kinder geschnappt und wir sind davongerannt.“ Dort, wo einst ihr
       kleines Haus mit den zwei Zimmern stand, türmt sich heute der stinkende
       Müll. Nanyonjo hat alles, was sie je besaß, verloren: Möbel,
       Kleidungsstücke, Haushaltswaren. Übrig geblieben waren nur die
       Schlafanzüge, die die Kinder am Leib trugen. „Am meisten weine ich um die
       Fotos meiner verstorbenen Mutter“, sagt sie leise. „Und um meine Nachbarn,
       die das Unglück nicht überlebt haben – wir waren eng befreundet.“
       
       ## Nanyonjo musste nach der Mülllawine wegziehen
       
       Während die junge Frau ihre Tränen wegwischt, blickt eine Nachbarin aus
       einem Haus, das noch steht. [2][Die Mülllawine] hat es gerade so um wenige
       Meter verfehlt. Die beiden Frauen grüßen sich. Bis vor einem Jahr haben sie
       nur einen Steinwurf voneinander entfernt gelebt, ihre Kinder spielten jeden
       Tag zusammen, berichten sie.
       
       Nach dem Kollaps der Mülldeponie musste Nanyonjo wegziehen. Die 31-jährige
       Zamhall Nansamba hingegen hatte Glück, ihrem Haus ist nichts passiert.
       „Doch wir haben unsere ganze Rinderherde verloren“, sagt die junge Frau und
       zeigt auf den Unrat, der wie eine Lawine direkt neben ihrem Haus zum
       Stillstand gekommen war. Dort hatten auf einer Wiese einmal ein paar
       Dutzend Kühe gegrast – das ganze Vermögen ihrer Familie, so Nansamba: „Mein
       Mann hat diesen Verlust nicht gut überwunden“, sagt sie leise: „Er leidet
       an einem Trauma und ist seitdem in der Psychiatrie.“
       
       Die rundliche Frau im langen blaugrünen Kleid und mit rosa Kopftuch trägt
       ihren einjährigen Sohn Habib auf dem Arm. Die Tochter sei im Kindergarten,
       berichtet sie. „Wir können bis heute nachts nicht gut schlafen“, erzählt
       sie und blickt auf den Jungen: „Sobald wir nur ein Flugzeug am Himmel
       hören, fangen die Kinder an zu weinen vor Angst.“ Sie selbst schlafe meist
       tagsüber, weil sie nachts „Wache hält“, wie sie sagt. „Man weiß ja nie,
       wann die nächste Lawine kommt.“
       
       Die Stadtverwaltung hatte nach dem Unglück im vorigen Jahr die Anwohner im
       Umkreis angewiesen, umzuziehen, weil die Gefahr groß sei, dass die
       Müllhalde noch weiter abrutsche. Doch die Menschen, die in diesem
       Armenviertel am nördlichen Stadtrand von Kampala leben, haben kein Geld, um
       sich anderswo anzusiedeln, so Nansamba: „Wir leben jetzt in stetiger
       Angst.“
       
       Immerhin, Kampalas Stadtverwaltung (KCCA) hat direkt nach dem Unglück die
       städtische Deponie im Stadtteil Kiteezi, wo seit über 27 Jahren der ganze
       Unrat der Zwei-Millionen-Metropole unsortiert abgeladen wird, geschlossen,
       so Daniel Nuweabine, Sprecher der Stadtverwaltung KCCA. Er erklärt: Um die
       Halde zu befestigen, hat die Regierung Japans jetzt eine Million Dollar
       zugesagt. Nun werden Maschinen und japanische Ingenieure eingeflogen.
       
       ## 500.000 Tonnen Müll sollen verdichtet werden
       
       Sie sollen die rund 500.000 Tonnen Müll, die sich seit der Eröffnung der
       Deponie 1998 zu einem gewaltigen Berg aufgetürmt haben, so verdichten, dass
       weitere Unglücke verhindert werden. „Es geht konkret um Arbeiten in den
       hochriskanten Teilen des Deponiegeländes, denn dort rechnen wir mit
       erneuten Explosionen“, erklärt Nuweabine: „Da Methangas unter der Deponie
       vorhanden ist, führt die Erhöhung des Drucks dazu, dass sich die Risse
       weiter öffnen und einen weiteren Erdrutsch verursachen können.“ Die Japaner
       würden dies nun professionell angehen.
       
       Parallel dazu habe KCCA im März dieses Jahres 27 Kilometer westlich von
       Kampala, nahe dem Ort Buyala, rund 90 Hektar Land erstanden, um dort eine
       neue Deponie anzulegen, berichtet Nuwabine. Die Stadtverwaltung habe
       hinsichtlich der Müllverarbeitung große Pläne, sagt er: „Wir planen ein
       Kompostierungsprojekt, das Biogas erzeugt“, so Nuweabine. Und betont, dass
       noch immer mehr als 80 Prozent der Haushaltsabfälle kompostierbarer Müll
       sei, weil die Ugander nur selten verarbeitete Lebensmittel zu sich nehmen.
       Was nicht kompostierbar sei, werde in Zukunft recycelt.
       
       Bereits im vergangenen Jahr hielt die [3][deutsche] Außenhandelskammer zum
       Thema Kreislaufwirtschaft und Müllverarbeitung eine Konferenz in Kampala
       ab, deutsche Firmen wie Siemens waren anwesend, um sich die Pläne von
       Ugandas Umweltministerium anzuhören, mehr Wertstoffe wie Plastik zu
       recyclen – ein Prozess, der bislang in Afrika fast gar nicht stattfindet.
       Die neuen Deponien sollen deswegen keine klassischen Müllhalden mehr
       darstellen, sondern Wertstoffhöfe, wo der Unrat sortiert, getrennt und
       möglichst weiterverarbeitet wird – ganz nach deutschem Vorbild, so die
       Idee.
       
       Doch die Umsetzung kostet Zeit. Denn bis dafür tatsächlich auch Investoren
       beauftragt werden und Geld bereitgestellt wird, geht das Abladen von
       unsortiertem Unrat auch in Buyala weiter. Dabei ist das neu erworbene Land
       umstritten: „Nach unserem Kenntnisstand handelt es sich hierbei um ein
       Waldschutzgebiet“, so Aldon Walukamba, Sprecher von Ugandas Forstbehörde,
       die für den Erhalt von Ugandas Regenwäldern zuständig ist. Die neue
       Mülldeponie liege eindeutig innerhalb eines Waldschutzgebietes, durch das
       ein Fluss fließe, der in ein Sumpfgebiet nahe des gewaltigen Victoriasees
       münde, das „einen wichtigen Beitrag zum Viktoriasee, seinen Ökosystemen und
       der davon abhängigen Artenvielfalt leistet“, so Walukamba.
       
       ## Streit zwischen den Behörden
       
       „Wir haben Ende Dezember erfahren, dass Kampalas Stadtverwaltung dort Müll
       ablädt“, berichtet der Sprecher der Forstbehörde im Interview mit der taz.
       Er klingt wütend. „Wir sind sofort dorthin gefahren und mussten
       feststellen, dass Soldaten dort stationiert waren und uns nicht einmal
       Zutritt auf das Gelände gewähren wollten“, berichtet er.
       
       Seitdem streiten sich nun die Behörden. Mehrere Gerichtsverfahren wurden
       von beiden Seiten angestrengt, einige sind noch nicht abgeschlossen. Die
       Stadtverwaltung KCCA besteht im Interview mit der taz darauf, dass das
       Grundstück bei Buyala, auf dem nun Müll abgeladen wird, zwei Privatpersonen
       gehöre, von welchen KCCA das Land im März rechtmäßig erworben habe. Das
       Landministerium habe zuvor durch erneute Vermessungen „eindeutig
       festgestellt“, dass das umstrittene Gebiet nicht Teil des
       Waldschutzreservats sei, so KCCA-Sprecher Nuwabine: „Wir haben die
       Forstbehörde sogar zum Gerichtsprozess eingeladen, damit sie ihre Bedenken
       vortragen können“, betont Nuwabine. „Doch sie sind nicht gekommen, also
       wurde entschieden.“
       
       „Wir haben das Schreiben hinsichtlich des Gerichtsprozesses erst nach der
       Entscheidung erhalten“, wettert hingegen Walukamba von der Forstbehörde.
       „Die Stadtverwaltung hat sich mit Kriminellen zusammengetan, um das Land
       illegal an sich zu reißen“, stellt er gegenüber der taz klar. Die
       Forstbehörde warte nun ihrerseits darauf, dass das Verfahren vor Gericht
       neu aufgerollt wird. Denn, so Walukamba: „Was hier vor sich geht, ist
       eindeutig überhastet und illegal.“
       
       ## Müll wird in Buyala abgeladen
       
       Während sich die juristischen Prozesse lange hinziehen, werden in dem
       Waldstück in Buyala Tatsachen geschaffen. Kampalas Müllabfuhr lädt dort
       fast täglich über 2.000 Tonnen Unrat ab – unsortiert.
       
       „Buyala ist zu weit weg, um dort zu arbeiten“, sagt Shadia Nanyonjo während
       sie in Kiteezi auf den Müll blickt, der vor einem Jahr ihr Haus unter sich
       begrub. Die alleinerziehende Mutter hat einst auf der Müllhalde gearbeitet,
       berichtet sie. „Ich habe mit bloßen Händen Plastik sortiert und
       Metallgegenstände wie Kupferkabel eingesammelt, um sie an Schrotthändler zu
       verkaufen“, sagt sie. Damit habe sie täglich umgerechnet knapp drei Euro
       verdient. „Das hat ausgereicht, um meinen Kindern eine warme Mahlzeit zu
       kochen und sie in den Kindergarten zu schicken.“
       
       Heute hat sie kein Haus und keine Arbeit mehr und lebt mit ihren drei
       Töchtern sowie ihrem behinderten kleinen Bruder in einer Einzimmerwohnung,
       deren Miete sie sich kaum leisten kann.
       
       Noch immer wartet sie auf Entschädigung von der Regierung. „Wir haben bis
       heute nichts erhalten, obwohl es uns versprochen wurde“, so Nanyonjo. Dann
       macht sie sich auf den Weg zu ihrer kleinen Wohnung einige Straßen
       entfernt. Seit über einem Jahr hofft sie jeden Tag vergeblich, dass die
       Entschädigungszahlung endlich auf ihrem Konto eintreffe, um sie aus dieser
       Misere zu befreien, in der sie lebt. „Heute kann ich meinen Kindern nur
       wässrigen Haferbrei vorsetzen“, seufzt sie. Zu mehr reiche das Geld nicht
       aus.
       
       Auf taz-Anfrage stellt Nuwabine von der Stadtverwaltung klar: „Wir planen,
       die Entschädigungen nun im September auszubezahlen.“ Nanyonjo freut sich
       zwar etwas, als sie dies hört. Dennoch seufzt sie tief: „Sie vertrösten uns
       mittlerweile seit einem ganzen Jahr.“
       
       8 Aug 2025
       
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