# taz.de -- Straßenmagazin-Gründer über Hilfe: „Der Ausweg ist ein Grundeinkommen für alle“
       
       > Jo Teins, Mitgründer des Obdachlosenmagazins „Hempels“, nimmt wahr, dass
       > sich die Szene verändert: Mehr jüngere Leute leben auf der Straße.
       
 (IMG) Bild: Lang ist's her: Redakteur Gerd Czerwinski hält 1998 Hempels-Ausgaben vor einem Werbeplakat hoch
       
       taz: Herr Tein, warum heißt ein Obdachlosen-Magazin ausgerechnet Hempels? 
       
       Joachim Tein: Weil bei einem Treffen der Initiativ-Gruppe, die 1995 die
       erste Ausgabe der Zeitschrift vorbereitet hat, einer der Teilnehmer rief:
       „Das Ding muss Hempels heißen, so wie ‚Hempels unterm Sofa‘.“ Damit war die
       Diskussion beendet, eine bessere Idee hatte keiner.
       
       taz: Klar, an den Spruch denkt man. Aber die meisten Menschen, die mit dem
       Heft an der Straßenecke stehen, haben vermutlich gar keine Wohnung,
       geschweige denn ein Sofa. Steckt in dem Namen auch die Hoffnung, einer
       festen Bleibe näher zu kommen? 
       
       Tein: Ja, allerdings muss ich hinzufügen, dass unsere Verkäuferinnen und
       Verkäufer nicht nur Obdach- oder Wohnungslose sind. Die Idee für die
       Zeitung ist zwar vor 30 Jahren in einer Tagesklinik für Wohnungslose
       entstanden, aber unsere Zielgruppe waren schon immer alle, die als arm
       gelten, etwa Menschen mit Mini-Renten oder solche, die Sozialleistungen
       beziehen. Aber bis heute ist ein großer Teil der Verkäuferinnen und
       Verkäufer wohnungslos oder war es. Das Thema ist zentral für unsere Arbeit,
       aber es ist nicht das alleinige.
       
       taz: Das spiegelt sich in den Heften, etwa in der Juni-Ausgabe: Da steht
       das Portrait einer Gebärdendolmetscherin, es geht um jugendliche Straftäter
       und es gibt ein Interview mit dem Kieler Sozialdezernenten zu
       Unterkunftsmöglichkeiten für Obdachlose – Gesprächspartner:innen zu
       finden, scheint kein Problem zu sein? 
       
       Tein: Darüber habe ich neulich zufällig mit Redaktionsleiter Wolf Paarmann
       gesprochen, und er sagte, nach seinem Eindruck ist es völlig klar, dass man
       uns Rede und Antwort steht. Das hat Tradition: In einer der ersten Ausgaben
       gab Heide Simonis, damals Ministerpräsidentin, Hempels ein Interview.
       Relativ bald fanden wir überall offene Türen.
       
       taz: Wobei Sie keinen streng neutralen Journalismus machen, sondern sich
       als parteilich verstehen? 
       
       Tein: Ja, natürlich. Wir sind presserechtlich unabhängig, aber sehen uns
       als Lobby und Sprachrohr derjenigen Menschen, die in Armut leben, die
       prekär und ausgegrenzt sind, und deren Stimmen oft nicht gehört werden.
       
       taz: Die Redaktion wird von einem erfahrenen Journalisten geleitet. Die
       erste Ausgabe, die im Februar 1996 erschien, wurde von Obdachlosen
       geschrieben. Warum haben Sie das geändert? 
       
       Tein: Das dauerte eine ganze Weile. Nach etwa fünf Jahren, es muss 2001
       oder 2002 gewesen sein, merkten wir, dass die Auflage zurückgeht, nachdem
       wir anfangs hohe Verkäufe gehabt hatten. Wir haben diesen Einbruch darauf
       zurückgeführt, dass es auf Dauer nicht reicht, ungefiltert
       Erfahrungsberichte ins Blatt zu heben. Das hat sich bestätigt: Mit
       professionellen Kräften und Qualität stieg die Auflage wieder. Die Kritik
       kam übrigens auch von den Leuten im Verkauf: Alle wollten ein gutes Produkt
       in der Hand halten.
       
       taz: Gibt es heute noch Obdachlose, die am Heft mitarbeiten? 
       
       Tein: Wir nehmen Themen auf, die uns aus dem Hempels-Haus, aus
       Einrichtungen oder von VerkäuferInnen zugespielt werden. Aber Texte und
       Fotos stammen von Profis. Trotzdem wollen wir zum 30-jährigen Bestehen
       wieder mehr Originalstimmen ins Heft bringen. Wir bieten seit einigen
       Jahren Schreibwerkstätten in Knästen an. Das Konzept wollen wir erweitern,
       um Interessierten ein bisschen Handwerkszeug zu geben.
       
       taz: Die Hälfte des Verkaufspreises der Hefte geht an die Verkäufer:innen,
       damit bleibt nicht viel für den Träger-Verein. Bekommen Sie Fördermittel? 
       
       Tein: Dazu muss ich etwas ausholen. 2020 haben wir einen größeren Schnitt
       gemacht, nachdem die Aktivitäten stark gewachsen waren, zum Beispiel haben
       wir Trinkräume eingerichtet und Sozialarbeit angeboten. Das gelingt nur mit
       Förderung, aber irgendwann machte die etwa die Hälfte des Umsatzes des
       Vereins aus, und wir merkten, dass sich das auf unsere journalistische
       Unabhängigkeit auswirkt. Daher haben wir eine gemeinnützige GmbH mit der
       Diakonie Altholstein gegründet und dorthin alles ausgegliedert, wofür es
       Fördermittel braucht. Der Hempels-Verein macht nur noch, was aus eigener
       Kraft geht. Das Haus wird durch eine Stiftung getragen, ansonsten
       finanzieren wir uns über Verkäufe, Anzeigen und Spenden.
       
       taz: Eigentlich klagen alle Zeitungen über Auflagenrückgänge. Wie sieht es
       bei Hempels aus? 
       
       Tein: Wir haben ein Produkt, das sich verkauft – das liegt an der Nische,
       in der sich Hempels bewegt. Aber auch unsere Auflage ist von 20.000
       verkauften Stück auf 14.000 gesunken. Sonder-Drucke, etwa ein Kalender und
       Rezeptbücher, fangen vieles auf, aber wir merken den Trend, der allen
       Printmedien zu schaffen macht. Wir wollen nun das Bezahlen erleichtern, es
       soll digital gehen. Dazu bekommen die Verkäufer einen QR-Code, sodass wir
       ihnen ihre Verkäufe zuordnen können.
       
       taz: Verkauft wird das Heft auch in kleineren Orten. Wie läuft das? 
       
       Tein: Tatsächlich sind kleinere Orte oft die besseren Verkaufsplätze. Daher
       fahren einige Verkäufer von Kiel aus in die Umgebung. Dennoch sind gut zwei
       Drittel der Leute in Kiel unterwegs. Um das zu entzerren, beschäftigen wir
       in Lübeck einen Minijobber, der dort Leute berät.
       
       taz: Wie ist generell die Lage für Obdach- und Wohnungslose in
       Schleswig-Holstein? 
       
       Tein: Es gibt keine offiziellen Statistiken für Wohnungslosigkeit, aber der
       Armutsbericht der Stadt Kiel und die Beratungszahlen des Diakonischen
       Werkes zeigen, dass sie zunimmt. Nach meinem Eindruck kommen immer mehr
       jüngere Leute in die Einrichtungen, viele mit komplexen Problemlagen, mit
       Sucht und psychischen Krankheiten. Diese Menschen sind häufig nicht in der
       Lage, Hefte zu verkaufen, geschweige denn andere Arbeiten zu übernehmen.
       Wir stellen einen Wechsel in der Verkäuferschaft fest: In den Nuller- und
       Zehnerjahren stammten viele aus EU-Ländern, etwa Rumänien oder der
       Slowakei. Die sind heute noch da, aber es kommen andere hinzu.
       
       taz: Hempels hat ein Housing-First-Projekt gestartet. Wie läuft das, und
       sind weitere Häuser geplant? 
       
       Tein: Gestartet sind wir mit einem Gebäude mit zwölf Wohnungen in
       Kiel-Gaarden, daneben bauen wir weitere neun Wohnungen. Aber es ist
       frustrierend: Das Gelände haben wir 2017 gekauft, seit 2018 planen wir, und
       sieben Jahre später sind wir noch dabei. Das kann man niemanden erklären.
       Auch wenn ich jetzt klinge wie jemand aus einer ganz anderen politischen
       Ecke: Wir brauchen dringend eine Deregulierung und weniger Bürokratie für
       solche Bauvorhaben.
       
       taz: Dennoch wünschen Sie sich mehr Housing-First-Projekte? 
       
       Tein: Housing First ist nicht der Stein der Weisen, aber von Ansatz her
       richtig. Es braucht aber weitere Angebote, etwa begleitetes Wohnen, denn
       nicht alle Menschen sind sofort wohnfähig. Wer so ein Projekt startet, muss
       wissen: Es verursacht Kosten, etwa für die Sanierung, wenn Bewohner sterben
       oder aus anderen Gründen die Wohnung räumen.
       
       taz: Grundsätzlich: Was müsste passieren, um Obdachlosigkeit und Armut zu
       lindern? 
       
       Tein: Wir müssen die Armutsverwaltung abbauen! Es ist absurd, wie viele
       Menschen in den Ämtern beschäftigt sind und wie hoch der Anteil der
       Personalkosten an den Sozialleistungen ist. Die Verfahren sind so
       kompliziert, dass die Betroffenen Fachstellen brauchen, um sie durch das
       Verfahren zu schleusen. Der Ausweg ist ein Grundeinkommen für alle. Das
       Argument, Menschen würden sich in der sozialen Hängematte ausruhen, trifft
       nur auf einen sehr kleinen Teil zu. Und selbst wenn es Mitnahmeeffekte
       gibt, würden die durch weniger Verwaltung mehr als ausgeglichen. Druck
       auszuüben nach dem Motto „Fördern und Fordern“, geht in die falsche
       Richtung. Es unterstellt, dass man nur an Schräubchen drehen muss, und dann
       funktioniert jeder Mensch.
       
       taz: Ist es angesichts des Fachkräftemangels nicht leichter, wieder in Jobs
       zu kommen? 
       
       Tein: Wir arbeiten gut mit dem Jobcenter zusammen und haben in 1990er
       Jahren auf Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen gesetzt. Aber die Befristung ist
       das Problem. Es wird nicht akzeptiert, dass Menschen länger einen
       geschützten Arbeitsplatz brauchen. Wir sehen solche Maßnahmen inzwischen
       kritisch.
       
       taz: Die Gesellschaft erlebt einen [1][Rechtsruck]. Spüren Sie das, spüren
       es die Verkäufer:innen auf der Straße? 
       
       Tein: Von der Straße höre ich nichts dergleichen, auch auf Social Media
       bekommen wir positive Rückmeldungen. Aber intern, im Haus, in unseren
       Beratungen, merken wir einen Stimmungswechsel. Viele haben das Gefühl,
       nicht gehört zu werden von,denen da oben'. Das ist der [2][Nährboden, auf
       dem die AfD wächst]. Wer in einem Ministerium arbeitet, hat nie Kontakt mit
       den Menschen, die hier im Haus ein und ausgehen. [3][Politik und Verwaltung
       müssen auch ihnen zuhören] und alle Lebenslagen einbeziehen. Wir wollen
       dazu beitragen: Auch deshalb wollen wir stärker wieder [4][Original-Stimmen
       ins Blatt holen].
       
       21 Jul 2025
       
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