# taz.de -- Buch über Autokraten im Mittleren Osten: Repression und religiöse Militanz
       
       > Wie die Autokraten des Nahen und Mittleren Ostens ihre Bevölkerung
       > gefügig machen. Martin Gehlen analysierte die Region als Korrespondent in
       > Kairo.
       
 (IMG) Bild: Eine junge Frau in Lahidschan im Norden Irans, fotografiert im Jahr 2009
       
       Wie Hunderttausende in der Region hoffte auch Martin Gehlen auf einen
       fortschrittlichen Wandel, als 2011 der Arabische Frühling in Tunesien
       begann. Dort entzündete sich der Funke, bald aber rebellierten auch in
       Libyen, Ägypten, Syrien und im Jemen die Menschen und gingen für
       demokratische Reformen auf die Straße. Weltweit wurde ihr Aufschrei
       verfolgt und erwartungsvoll begleitet.
       
       „Zehn Jahre später“, schreibt Martin Gehlen im Jahr 2020, „ist alle
       Euphorie verflogen. Der katalytische Effekt des Arabischen Frühlings hat
       die Zerrüttung der arabischen Welt nur weiter vertieft, [1][so dass ihr
       Staatengefüge heute am Rande des Zusammenbruchs steht].“ Schaut man sich
       Syrien, Libyen, den Libanon oder Tunesien an, kann man Gehlen nur
       zustimmen. „Und niemand kann ausschließen“, schreibt er, „dass es noch
       weiter bergab geht mit Gewalt, Inkompetenz und Korruption, mit Armut und
       Arbeitslosigkeit, Polizeiwillkür.“ Im Zentrum dieses Fiaskos stehe der
       autoritäre Gesellschaftsvertrag, mit dem die arabischen Autokraten ihre
       Bevölkerung seit Jahrzehnten gefügig halten, meinte Gehlen.
       
       Gehlen mochte die arabische Kultur, aber – so offenbarte er in einem
       persönlichen Gespräch in Tunis 2018 – es falle ihm immer schwerer, nicht
       daran zu verzweifeln. Von 2008 bis 2017 war Martin Gehlen
       Nahostkorrespondent für zahlreiche deutsche, Schweizer und österreichische
       Zeitungen in Kairo. Ab 2017 berichtete er aus Tunis, wo er 2021
       überraschend verstarb. Seine Analysen über den politischen Verfall des
       Nahen und Mittleren Ostens sind sehr kenntnisreich. Seine Geschichten und
       Reportagen beschreiben die Region und ihre Menschen mit großer Offenheit
       und Anerkennung.
       
       Die nun erschienene Auswahl von Gehlens Artikeln ist eine Würdigung seiner
       journalistischen Arbeit, aber vor allem eine empfehlenswerte Einführung in
       eine chronisch problembeladene Region. Auch wenn der Titel „Es war einmal
       ein Garten Eden“ an längst begrabene europäische Orientfantasien anknüpft –
       nichts von dieser Verklärung zeichnet Gehlens Nahost-Geschichten aus,
       allenfalls das Bedauern über den zunehmenden Verfall einer einst auch
       religiös pluralistischen Region.
       
       ## Mafiose Kartelle aus Politikern, Generälen und Oligarchen
       
       Das Geschäftsmodell des nahöstlichen Autoritarismus basiere auf dem dort
       typischen Rentierstaat, analysierte Gehlen. Dieser generiere seine
       nationalen Einkünfte nicht primär aus einer innovativen mittelständischen
       Wirtschaft und einer breit gefächerten Industrieproduktion, sondern aus
       Bodenschätzen wie Öl, Gas und Phosphat, aus Immobiliengeschäften und
       Devisentransfer durch Landsleute im Ausland sowie aus Finanzmitteln
       westlicher Geberländer. Das Monopol bei der Vergabe der Mittel hielten
       entweder adlige Herrscherdynastien oder mafiose Kartelle aus Politikern,
       Generälen und Oligarchen.
       
       Gehlens Fazit: „Es ist Zeit, dass Europa und die USA daraus die Konsequenz
       ziehen und beides beenden, ihre Waffengeschäfte und ihre naiv gutgläubigen
       Staatshilfen. Anders werden die arabischen Potentaten nicht von ihrem
       repressiven wie unbezahlbaren autoritären Gesellschaftsvertrag abrücken.
       Anders werden die Völker nie zu einer Stimme kommen.“
       
       Aber nicht nur repressive Herrschaft und strukturelle Gewalt verhindern
       eine gesellschaftliche Öffnung und Demokratisierung. Die Zäsur, die
       arabische Gesellschaften massiv zurückwarf, ereignete sich am 20. November
       1979: 500 Gotteskrieger besetzten die Große Moschee in Mekka. Zwei Wochen
       dauerten die Kämpfe, Hunderte Pilger starben, am Ende lag das zentrale
       Heiligtum des Islams teilweise in Trümmern. [2][Das saudische Königreich
       reagierte mit einem folgenschweren Kurswechsel. Die Gewalttäter wurden zwar
       exekutiert, ihre geistigen Brandstifter aber dogmatisch befriedet.]
       
       ## Die Golfregion als Drehscheibe religiöser Militanz
       
       Das war das Ende religiöser Pluralität im Nahen Osten. Statt Vielfalt
       zählte nun orthodoxe Eindeutigkeit und Einfältigkeit. „Ihre verheerende
       Wirkung konnte diese hermetische Version des Islam vor allem deshalb
       entfalten, weil sie besonders leicht zu exportieren ist. Sie ist mit keiner
       Hochkultur verwoben, braucht kaum kulturellen Kontext und entlastet ihre
       Anhänger von komplexen und vielschichtigen Aneigungsprozessen“, schreibt
       Gehlen.
       
       Die Golfregion entwickelt sich seither zu einer Drehscheibe „religiöser
       Militanz“. Das religiöse Koordinatensystem des Nahen Ostens erodierte:
       Gelassene religiöse Pluralität werde durch ultraorthodoxe Eindeutigkeiten
       verdrängt.
       
       Gehlens gut geschriebene Reportagen und Analysen sind ein stabiles
       Fundament, um auch die aktuellen Ereignisse im Nahen Osten besser einordnen
       zu können. Er hat die ganze Region im Blick, ihre politischen Verwerfungen,
       aber auch die Bedrohung der Lebensgrundlagen durch den Klimawandel, sich
       ausbreitende Dürre und den Kampf ums Wasser. Die Fotos seiner Frau
       Katharina Eglau, Mitherausgeberin des Buchs und ehemals
       taz-Fotoredakteurin, veranschaulichen Gehlens Themen. Darunter vor allem
       Porträts, die die menschliche Annäherung des Autors an diese „verlorene
       Region“ ins Bild setzen.
       
       13 Dec 2025
       
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