# taz.de -- Größtes Kostümhaus Deutschlands: Der Stoff, aus dem Filme gemacht sind
       
       > Rund zehn Millionen Kostüme lagern im Fundus der 1907 gegründeten
       > Theaterkunst GmbH. Ausgestattet werden damit internationale Film- und
       > TV-Produktionen.
       
 (IMG) Bild: Projekt 1907_curated: Seit 2024 ergänzen Entwürfe junge Berliner Label das Kostümarchiv der Theaterkunst GmbH
       
       Er liebte Anzüge mit schwarz-weiß gewürfeltem Muster, Vichy-Karo. Dass John
       Cranko, der berühmte Choreograph (1927–1973), in [1][dem über ihn gedrehten
       Film] seinen Lieblingsanzug tragen muss, versteht sich von selbst. Dem Film
       von 2024 wurde der „Deutsche Filmpreis Bestes Kostümbild“ verliehen. Ein
       Großteil der Kostüme kamen von der Berliner „Theaterkunst GmbH“.
       
       Im Eingang des Firmengebäudes wird in einem Glaskasten stolz Crankos
       Kino-Outfit präsentiert. Tritt man etwas näher, sieht man: von Vichy-Karo
       keine Spur. Astreines Hahnentrittmuster, pied de poule, bekanntlich eher
       für Frauen- als für Männerkleider gemacht. Aber gute Kostüme zielen nun mal
       nicht auf absolute historische Treue. Sie spielen damit.
       
       In einem alten Klinkerbau in Berlin-Wilmersdorf lagern 10 Millionen solcher
       Kostüme zusammen mit anderen Accessoires für Theater, Kino, TV, Streaming,
       Kleider aus allen Jahrhunderten, Tonnen von Schmuck, Schubladen voller
       Eheringe. Es gibt Regale voller Hüte, samt ihrer Holzformen, endlose, nach
       Farben geordnete Reihen von Krawatten auf einem Leiterregal oder in kleinen
       Schubladen. Alles beschriftet nach Jahrhunderten und Jahrzehnten.
       
       Inspiration für alle Genres 
       
       Das Kostümangebot reicht vom Lendenschurz aus der Steinzeit über das
       Ballkleid aus dem Rokoko bis zum [2][Thierry-Mugler-Kostüm] aus den 1990er
       Jahren. Auf dem Fensterbrett der Schneiderei steht eine Reihe
       Kopfbedeckungen für Päpste und Bischöfe, ein orthodoxer Patriarch darf auch
       dabei sein. Bühnen- und Kostümbildner*innen, Regisseur*innen und
       Stylist*innen aller Genres verbringen hier oft Tage und suchen nach
       Inspiration. Sie stehen auf hohen Leitern und wühlen und wühlen und
       schauen.
       
       Manja Raßmus und Johanna Braun führen mich durch die Lager und Werkstätten
       dieses größten, deutschen Film- und Theaterausstatters. In der
       Schneiderwerkstatt hängen drei Mugler-Teile, ironisch als Trikolore
       angeordnet in Blau Weiß Rot. Sie dienen den Schnittmeister*innen als
       Inspiration. Es herrscht eine gute, kreative Stimmung. Kleider an
       Schauspieler*innen werden hier angepasst, ganze Outfits neu kreiert –
       wie der Anzug von Cranko.
       
       In den 1920er Jahren, als das Unternehmen noch in der Schwedter Straße
       residiert, arbeiten für Theaterkunst zwischen 240 und 360
       Mitarbeiter*innen. Auf dem damals 4500 qm großen Firmengelände befinden
       sich (so zeigt es ein Plakat von 1922 in der kleinen Ausstellung im Foyer)
       nicht nur eine eigene Sattlerei, Hutmacherei, Schuhmacherei, sondern auch
       eine Schwertfegerei (für das Finish von Stichwaffen), eine
       Kettenpanzer-Fabrikation, eine eigene Kaschierabteilung (für das Verkleben
       von Stoffen mit Papieren, Kartons, Holz).
       
       Man stattet große Filmproduktionen aus: Ernst Lubitschs „Madame Dubarry“
       (1919), „Das Weib des Pharao“ mit Emil Jannings (1922) oder den bis dahin
       teuersten Film der Kinogeschichte, den amerikanischen Monumental-Stummfilm
       Ben Hur (1925). Es werden Dependancen in Kopenhagen, London, New York
       gegründet. Das Kino wird eine gigantische internationale Industrie und die
       Theaterkunst hat teil am Boom.
       
       Filmreife Unternehmensgeschichte 
       
       Die Geschichte des Unternehmens hätte selbst das Zeug zum Filmstoff.
       Hauptdarsteller: der Gründer ein begnadeter Grafiker, Leo Impekoven, der
       filigrane, erotische Zeichnungen macht (etwa „Adam und Eva“, 1928) und
       während des Weltkriegs Werbeplakate für die Front; ein genialer
       Geschäftsmann, der mitten im Krieg das Unternehmen kauft und in den
       kinosüchtigen 1920er Jahren zu Weltruhm bringt; und schließlich ein
       Zündholzfabrikant, der aus gekränkter Eitelkeit zusammen mit einem
       NS-Dramaturgen 1936 die Firma kauft, sie durch Nationalsozialismus, Krieg,
       Zerstörung, Kriegsende und deutsche Teilung steuert, um sie Mitte der
       1950er prosperierend an seine Söhne zu übergeben, bis in den 1970er Jahren
       endlich Frauen nicht nur in den Werkstätten, sondern auch in der
       Unternehmensleitung die Hauptrolle übernehmen.
       
       Wobei die Details des Plots oft ziemlich unklar sind. Über den großen
       Firmenvater Hermann Josef Kaufmann ist – selbst im wunderbaren Katalog
       einer Ausstellung der Kinemathek 2007 – wenig mehr zu erfahren, als dass er
       nach der Zeit des rauschenden Erfolgs ab 1933 noch drei leidvolle Jahre das
       Unternehmen hält, bevor er 1939 nach Versteigerung seines Besitzes, Zahlung
       von Reichsfluchtsteuer und Auswandererabgabe nach Brüssel fliehen muss. Als
       die Deutschen Brüssel besetzen, geht er in den Untergrund, die Brüder und
       die Schwägerin werden deportiert. 1942 stirbt er an Herzversagen.
       
       Deal mit Zündholz-Magnat 
       
       Dagegen ist die Geschichte der Familie Nau, Wunder und Zeichen, besser
       sichtbar: Adolph Nau ist seit 1919 der Generaldirektor der Deutschen
       Zündholzfabriken. Und die schreiben Geschichte. 1930 besteht ein großer
       „Deal“ des hoch verschuldeten Deutschen Reichs darin, sich von dem
       schwedischen Zündholz-Magnaten Ivar Kreuger, einem guten Freund Adolph
       Naus, einen günstigen Kredit über 525 Millionen Reichsmark zu verschaffen
       (Rückzahlung der letzten Rate im Jahr 1983!).
       
       Einzige Gegenleistung: Jedes verkaufte Zündholz des Reichs gehört ab sofort
       dem schwedischen Monopolisten, der „Deutschen Zündholz Monopol
       Gesellschaft“.
       
       Nach dem Tod Ivar Kreugers verliert sein Freund Nau (der sogar ein Buch
       über Kreuger schrieb) seinen Posten. 1936 kauft er die durch einen
       NS-Hasardeur in den Ruin getriebene, umbenannte „Deutsche Theaterkunst
       GmbH“. (Anzeige 1933: „Erste rein christliche Firma der Branche unter
       nationalsoz. Leitung. Neu aufgenommen: Anfertigung von Heereskleidern, S.A.
       und S.S. Ausrüstung.“) Nau zahlt für den Kauf 1.000 Reichsmark, der
       schwedische Zündholzkonzern 149.000.
       
       Klassiker des NS-Kinos 
       
       Nau und später seine Söhne bauen das Unternehmen wieder auf und weiter aus,
       statten Klassiker des nationalsozialistischen Kinos wie Veit Harlans „Jüd
       Süß“ oder „Kolberg“ aus. 1944 trifft eine Bombe das Haus in der Schwedter
       Straße und 25.000 Kostüme verbrennen. 1951 beschlagnahmt die DDR die Firma,
       man stattet noch ein paar Arbeiterfilme aus (etwa „Die Buntkarierten“,
       1949) und verkauft 1953 den ganzen Fundus. („In langen Reihen hängen
       Modetorheiten aller Zeitalter nebeneinander“, so die Ostberliner Zeitung
       Der Morgen.)
       
       Die Familie Nau ist derweil schon in Berlins altem Westen ansässig, mit
       Villa in Nikolassee, dem neuen Firmensitz, der auch Lager für die aus West
       und Ost zurückkehrenden Kostümbestände ist, bis man Anfang der 1950er nach
       Wilmersdorf in die Eisenzahnstraße umzieht.
       
       Nach dem Tod des alten Nau übernehmen Lina Katschinsky, dann Ingrid
       Schmauser (beide zusammen mit Nau-Sohn Oskar), in München: Maria Prantl
       1955, Christa Haeseler 1963. Man stattet den ersten deutschen Farbfilm aus
       („Schwarzwaldmädel“, 1950), arbeitet für Edgar-Wallace- und
       Karl-May-Verfilmungen und zunehmend auch fürs Fernsehen. Durch Ankauf
       anderer Bestände zählt der Fundus Ende der 1960er Jahre wieder 25.000 Stück
       und Theaterkunst wird immer mehr das internationale Unternehmen, das es
       heute ist, omnipräsent in Film und Fernsehen und Theater.
       
       Projekt mit jungen Berliner Labels 
       
       Doch es hat sich gewandelt und es wandelt sich. Ein Plakat von 1955
       verkündete: „Filme von heute – Mode von morgen“. Das hat sich jüngst eine
       neue Mitarbeiterin der Theaterkunst zu Herzen genommen. Johanna Braun, die
       an der [3][UdK Mode-Design] studiert hat, arbeitete nach dem Studium in der
       Inventarisierungsabteilung. Seit 2024 bringt ihr Projekt 1907_curated junge
       Berliner Labels auf die Bühne der Theaterkunst.
       
       In einer Nische am Eingang der Damenabteilung hängen in Reihen auf zwei
       Stangen übereinander ausgewählte Stücke aktueller Berliner Designer*innen.
       Auf Nachfrage werden die Sachen interessierten Kostümbildner*innen,
       Stylist*innen und Produktionsfirmen präsentiert, die an Videos,
       Werbefilmen, Clips, für Zeitschriften arbeiten. Sie können sich in den
       Räumen der Theaterkunst, anders als im Showroom eines Labels, alles aus
       allen Quellen aussuchen, vergleichen und manche mögen auch andere Räume der
       Theaterkunst aufsuchen, um nach Schuhen anderer Stile, anderer Jahrhunderte
       zu suchen.
       
       Dieser kreative Prozess könnte im Raum eines einzigen Labels nicht
       entstehen. Umgekehrt ist es für Designer*innen interessant, zu sehen,
       was aus ihren Sachen in anderen Kontexten wird. Und nebenbei macht jeder
       Film, inklusive kleinem Verdienst, das Label bekannter.
       
       Ein Designer, den Johanna Braun ausgewählt hat, ist der kurdische Sezgin.
       Auf charakteristische Weise kreiert er in freien Farben und Entwürfen auf
       Strukturen aus traditioneller Häkeltechnik zeitgenössische Mode unter
       seinem Markenzeichen, der Sonne der kurdischen Fahne. Und nun stelle man
       sich vor, sagt Johanna Braun, jemand sehe in 50 Jahren einen Film über eine
       Person kurdischer Abstammung, die ein Stück Sezgins trägt. Würde man sagen:
       Aha, das also war die Berliner Mode des Jahres 2025? So archiviert und
       spielt Theaterkunst die Zukunft der Gegenwart.
       
       31 Jul 2025
       
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