# taz.de -- Pride in Concert: Vergessene Vielfalt
       
       > Chopin war schwul. Und damit nicht allein. Das Konzert „Forget me not“
       > erzählt die vergessenen Geschichten queerer Künstler:innen.
       
 (IMG) Bild: Tim Stolte (l.), Emma Rothmann (m.) und Daniel Philipp Witte (r.) präsentieren die Werke von zehn queeren Kunstschaffenden
       
       Berlin taz | Frédéric Chopin musste erst 171 Jahre tot sein, bevor jemand
       seine Queerness erkannte. Dabei versuchte er seine Liebe zu Männern in
       seinen Texten nicht mal großartig zu verschleiern: „Ein hübscher Kerl, was
       will man mehr“.
       
       Er ist nicht der Einzige, dessen Sexualität zu Lebzeiten versteckt und
       danach vertuscht wurde. Im Rahmen der Berliner Pride-Week soll das Konzert
       [1][„Forget me not“] auf diese Missstände aufmerksam machen. Zehn queere
       Komponist:innen wurden am Dienstagabend im [2][Schloss Charlottenburg]
       historisch neu betrachtet und besungen. Die Kulisse erinnert an
       [3][Bridgerton], der Dresscode ist Turnschuh bis Abendkleid.
       
       Gemeinsam mit Daniel Philipp Witte (Tenor), Emma Rothmann (Mezzosporan) und
       Annalena Hösel (Klavier) präsentiert der Konzeptentwickler Tim Stolte
       (Bass-Bariton) die Werke. Sie eröffnen den Abend mit Schubert: „Ich bin
       nun, wie ich bin, so nimm mich nur hin.“
       
       Jede:r der Komponist:innen hat eine eigene queere Geschichte. In
       seinem Stück „Angstvolle Erwartung“ schreibt Tschaikowsky: „Warum ruft mein
       schüchternes Geständnis Einschüchterung in deinem Herzen hervor?“ Für die
       Anwesenden ist das Thema unmissverständlich: Coming Out. Bei Franz Schubert
       gibt es keine eindeutigen Beweise, dass er schwul war, nur Indizien. Etwa
       schrieb er ein Werk aus der Perspektive eines Mädchens, das sich nach dem
       Kuss eines Mannes sehnt.
       
       ## Die Sehnsüchte bleiben gleich
       
       Stolte spricht in diesem Zusammenhang von „straight-washing“, also der
       heterosexuellen Interpretation queerer Künstler:innen – obwohl die
       Indizien teils eindeutig sind. Bei Chopin handle es sich sogar um
       „mutwillige Geschichtsfälschung“. Denn: Bei einigen Übersetzungen seiner
       (Liebes-)Liedtexte aus dem Polnischen ins Englische wurde das Pronomen „er“
       zu „sie“.
       
       Damals gab es zwar noch keine Wörter wie genderfluid oder eben queer, „die
       Sehnsüchte bleiben trotzdem die Gleichen“, sagt der Chorsänger Clemens
       Wachs, der das Konzert mit seinem Partner Thomas Breyer besucht. „Ich
       selbst wusste vieles gar nicht“, sagt Wachs, „aber für meine queere
       Identität ist es wahnsinnig wichtig, das richtigzustellen.“ Er findet die
       Interpretationen des Abends wunderbar. „Die drei Musiker:innen machen
       das mit einer Inbrunst und einer Überzeugung – weil sie das natürlich
       selbst nachvollziehen können“, sagt Wachs. Breyer schließt sich dem an:
       „Gerade heute, wo queere Menschen wieder Probleme bekommen, finde ich es
       umso wichtiger, [4][dass solche Statements stattfinden].“
       
       Der Ideengeber Tim Stolte bezeichnet das Privatleben als wesentlichen
       Ursprung der Kunst. „Queere Personen mussten einen Teil ihrer Identität
       verschleiern und sich vor Gewalt, Isolation und Ausschluss fürchten. Das
       hatte sicher Einfluss“, sagt der Sänger Stolte. Als queerer Mann habe er
       selbst in der Ausbildung Vorbilder vermisst. Jetzt will er sie sicht- und
       hörbar machen und zeigen: „Das ist keine Modeerscheinung, uns gab es schon
       immer.“
       
       ## Jetzt ist die Zeit
       
       Stolte trägt einen lilafarbenen Anzug, der mit Pailetten verziert ist. Wenn
       er singt, funkeln sie wie ein Sternenhimmel. Mit seiner Präsenz nimmt er
       die Bühne ein, mit seiner Stimme den gesamten Raum. Er singt in
       Originalsprache, die Liedtexte werden zum Mitlesen auf die Leinwand hinter
       ihm projiziert, ebenso wie Schwarz-weiß-Fotos der Künstler:innen.
       
       Es ist einer dieser Abende, von denen man nicht genug bekommt. Alles passt.
       Während der Show ist das Publikum aufmerksam, beim Applaus ausgelassen. Der
       Abend endet mit einem Dreiklang von Leonard Bernsteins West Side Story:
       „There’s a time for us, someday a time for us.“ Aber diese Zeit ist nicht
       mehr irgendwann. Sie ist jetzt.
       
       24 Jul 2025
       
       ## LINKS
       
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 (DIR) [2] /Koloniales-Erbe-in-Berlin/!5948187
 (DIR) [3] /Netflix-Serie-Bridgerton/!5735396
 (DIR) [4] /Verbot-queerer-Symbole-Kein-Regenbogen-am-Bundestag/!6102264
       
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