# taz.de -- Debatte um Schwangerschaftsabbrüche: Kippt Schwarz-Rot nebenbei Paragraf 218?
       
       > Eine bislang kaum beachtete Stelle im Koalitionsvertrag deutet eine
       > Legalisierung früher Abtreibungen an. Die wichtigsten Fragen und
       > Antworten.
       
 (IMG) Bild: Krankenkassen dürfen nur für legale Leistungen zahlen
       
       Berlin taz | Schreibt der Koalitionsvertrag in einem bislang wenig
       beachteten Satz und wie nebenbei eine Legalisierung von
       Schwangerschaftsabbrüchen fest? So zumindest konnte man Frauke
       Brosius-Gersdorf vergangene Woche verstehen. In der Sendung von Markus Lanz
       [1][sagte sie]: „Im Koalitionsvertrag steht genau das, was ich
       vorgeschlagen habe“. Da das Bundesverfassungsgericht entschieden habe, dass
       die Kassen nur leistungspflichtig seien, wenn der Abbruch rechtmäßig ist,
       so Brosius-Gersdorf, „geht auch dieser Koalitionsvertrag davon aus, dass
       der Schwangerschaftsabbruch in der Frühphase rechtmäßig ist.“
       
       Was steht zum Schwangerschaftsabbruch im Koalitionsvertrag? 
       
       Die fünf Zeilen zum Schwangerschaftsabbruch [2][im Koalitionsvertrag] sind
       zwar dürftig, ein Satz aber hat es möglicherweise in sich: „Wir erweitern
       die Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenversicherung über die
       heutigen Regelungen hinaus.“
       
       Warum ist dieser Satz so relevant? 
       
       Er zielt darauf, dass die Krankenkassen nur für legale Leistungen zahlen
       dürfen – aber Schwangerschaftsabbrüche sind hierzulande grundsätzlich
       illegal, geregelt in Paragraf 218 des Strafgesetzbuchs. Rechtswidrig, aber
       straffrei sind sie nur in Ausnahmefällen: zum Beispiel dann, wenn eine
       Pflichtberatung stattgefunden hat, eine Wartezeit von drei Tagen
       eingehalten wurde und die Schwangerschaft in den ersten zwölf Wochen
       abgebrochen wurde. Nicht rechtswidrig ist der Abbruch außerdem, wenn eine
       Gefahr für das Leben der Schwangeren besteht oder die Gefahr einer
       schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen
       Gesundheitszustands abgewendet werden muss.
       
       Wer bezahlt Abbrüche derzeit? 
       
       In den weitaus meisten Fällen zahlt die ungewollt Schwangere. Von der
       Krankenkasse werden die Kosten nur in denjenigen Ausnahmefällen übernommen,
       in denen der Abbruch rechtmäßig ist: wenn also die ungewollt Schwangere
       aufgrund von Vergewaltigung schwanger wurde oder ihr Leben in Gefahr ist.
       Bei rechtswidrigen, aber straffreien Abbrüchen übernehmen die Kassen zwar
       nicht die Abbrüche selbst, aber Rahmenleistungen wie Beratung oder
       Versorgung mit Medikamenten. Einen Antrag auf Kostenübernahme kann zudem
       stellen, wer als „sozial bedürftig“ gilt. Die Kosten übernimmt dann das
       jeweilige Bundesland.
       
       Wie ist der Passus zur Kostenübernahme zustande gekommen? 
       
       Klar ist: Der Satz kam erst in letzter Minute in den Koalitionsvertrag. In
       einer vorherigen Fassung, die der taz vorliegt, ist von Kostenübernahme
       noch nicht die Rede. Ob VerhandlerInnen der SPD die neue Formulierung
       strategisch in den Vertrag verhandelten oder nicht wussten, welchen
       Sprengstoff sie bergen könnte, dazu gehen die Meinungen auseinander. Den
       SpitzenverhandlerInnen der Union war jedenfalls offensichtlich nicht klar,
       was sie da abnickten – denn der Paragraf 218 ist für die Union zentral.
       
       Was sagt Friedrich Merz? 
       
       Bei der Bundespressekonferenz am Freitag sagte Merz: „Was im
       Koalitionsvertrag verabredet worden ist, soll kommen. Da macht niemand
       Abstriche.“ Welche Rechtsfolgen das habe, möglicherweise auch auf den
       Paragrafen 218, könne er nicht abschließend beurteilen. „Ich will nur
       darauf hinweisen, dass das Recht auf Schwangerschaftsabbruch in Deutschland
       davon ausgeht, dass es rechtswidrig ist, aber unter bestimmten Umständen
       straffrei bleibt. Ob diese Konstruktion geändert werden muss, wenn wir im
       Sozialrecht und im Krankenkassenrecht etwas ändern, vermag ich im
       Augenblick nicht zu beantworten.“
       
       Was sagen andere? 
       
       Eine Sprecherin des Bundesgesundheitsministerium unter Nina Warken (CDU)
       sagte am Montag, der Koalitionsvertrag sei Richtschnur für die
       Reformvorhaben der Bundesregierung. Die Beratungen über besagten Passus
       seien innerhalb der Bundesregierung noch nicht abgeschlossen. Konkrete
       Gesetzesinitiativen gebe es noch nicht.
       
       „Kassenleistungen sind nur möglich, wenn die Leistung, also in dem Fall der
       Schwangerschaftsabbruch, legal ist“, sagte hingegen eine Sprecherin von
       Doctors for Choice der taz. „Im Umkehrschluss heißt das: Wenn eine
       Kostenübernahme durchgesetzt werden soll, muss vorher legalisiert werden.“
       
       Ein Sprecher des Spitzenverbands der gesetzlichen Krankenkassen GKV sagte
       der taz: Wie genau die im Koalitionsvertrag angesprochene Erweiterung
       aussehen soll, sei derzeit völlig unklar. Daher könne man zu einer
       möglichen Ausgestaltung nichts sagen. Grundsätzlich, so der Sprecher, wäre
       es möglich, dass der Gesetzgeber die GKV verpflichtet, Kosten für den
       Schwangerschaftsabbruch zu übernehmen. Hierbei sei aber eben der rechtliche
       Rahmen zu berücksichtigen.
       
       Was bedeutet all das politisch? 
       
       Vor der Causa Brosius-Gersdorf zweifelte kaum jemand daran, dass der
       Paragraf 218 für diese Legislatur unangetastet bleiben würde. Nun aber ist
       klar: über den Passus der Kostenübernahme hat die SPD zumindest einen
       Hebel, die Legalisierung von Abbrüchen in der Frühphase auf die
       Tagesordnung zu setzen. Nach der Art und Weise, wie in den vergangenen
       Wochen mit der von ihr nominierten Brosius-Gersdorf umgegangen wurde, ist
       zumindest möglich, dass sie das nachdrücklicher verfolgt, als es sonst der
       Fall gewesen wäre.
       
       21 Jul 2025
       
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 (DIR) [1] https://www.zdf.de/video/talk/markus-lanz-114/markus-lanz-vom-15-juli-2025-100
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 (DIR) Patricia Hecht
       
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