# taz.de -- Israels kritische Infrastruktur: Von Atomkraftwerk bis Raketenabwehrsystem
       
       > Israel scheint – auch dank US-Unterstützung – die Oberhand im Krieg mit
       > Iran behalten zu haben. Doch auch das kleine Land könnte empfindlich
       > getroffen werden.
       
 (IMG) Bild: Nach dem Einschlag einer iranischen Rakete in das Soroka Krankenhaus in Beersheba, Israel, am 19. Juni 2025
       
       Jerusalem / Beer Scheva taz | Ein scharfer Rauchgeruch hängt noch in den
       Fluren der sechsten Etage des Gebäudes für Chirurgie, Urologie und
       Augenkunde des Soroka-Krankenhauses im südisraelischen Beer Scheva. Das
       nach Blumen riechende Reinigungsmittel, mit dem Mitarbeiter*innen die
       unteren Etagen gerade sauber machen, kann ihn nicht gänzlich überdecken.
       Von der Decke tropft Wasser, Kabel und Metallteile hängen in der Luft. Der
       Boden ist voller Trümmer: Klötze und Zement der Außenwand, die beim
       Einschlag der Rakete in Hunderte Fragmente zersprang. In den Räumen nebenan
       stehen noch leere Patientenbetten mitten im Bauschutt.
       
       Diese apokalyptische Kulisse ist die [1][Folge eines iranischen
       Luftangriffs]. Ein Marschflugkörper hat am frühen Donnerstagmorgen
       vergangener Woche ein Gebäude des Soroka-Spitals getroffen – eines der
       wichtigsten medizinischen Zentren im Süden Israels, das für die Versorgung
       einer Million Menschen zuständig ist.
       
       Dass niemand bei dem Einschlag sein Leben verlor, gleicht einem Wunder. Und
       zeugt von etwas Glück. Lediglich 60 Menschen mussten die Rettungskräfte
       nach dem Angriff behandeln, einen Teil davon wegen Angstzuständen. Die
       Patient*innen in der getroffenen Abteilung waren mit vielen anderen am
       Tag zuvor evakuiert und in sichere, tiefere Etagen gebracht worden. Das hat
       System: Seit über einer Woche haben Kliniken in Israel ihre
       Sicherheitsvorschriften verschärft. Viele arbeiten derzeit im Untergrund,
       nicht lebensnotwendige Operation sind vielerorts verschoben, stabile
       Patient*innen nach Hause geschickt worden. Entbindende Mütter sollen so
       schnell wie möglich nach der Geburt wieder nach Hause entlassen werden.
       
       Der stellvertretender Geschäftsführer des Spitals Roy Kessous steht mitten
       in der Empfangshalle, unter seinen Füßen Glassplitter und Wasserpfützen. Er
       verkündet, dass das Krankenhaus zwar auf Notbetrieb eingestellt sei, aber
       für Notfälle weiterhin funktioniere. „Die Zerstörung ist massiv. Aber wir
       betreiben immer noch Operationssäle für Notfälle und die
       Geburtshilfestation.“
       
       ## Bunker bauen braucht Zeit und Geld
       
       Soroka hat 1.173 Betten, derzeit sind aber nur wenige hundert belegt.
       Patient*innen sind in andere Krankenhäuser verlegt worden. Kessous
       sagt, er hoffe, zusätzliche Sicherheitsvorkehrungen treffen zu können. Er
       weiß, dass das Krankenhaus noch mehr sichere Räume braucht, um seine
       Funktionalität aufrechterhalten zu können. Doch bombensichere Zimmer zu
       bauen, braucht Zeit. Und Geld, viel Geld. Vermutlich in Millionenhöhe, so
       ein Krankenhaus-Angestellter.
       
       Spitäler sind im Kriegsfall wesentliche Dienstleister für die Bevölkerung.
       Von ihnen hängt das Überleben von Kranken und Verletzten ab. Doch sie
       fallen in Israel nicht zwangsläufig unter die Definition von „kritischer
       Infrastruktur“. Und sind nicht die einzigen, die gerade in diesem
       [2][Konflikt mit der Islamischen Republik Iran] auf dem Spiel stehen. Die
       iranische Regierung sagte kurz nachdem das Krankenhaus getroffen wurde, sie
       habe eigentlich auf eine Militärbasis und ein Forschungszentrum in der Nähe
       gezielt. Ob das so ist, ist strittig. Nach Angaben des israelischen
       Militärs träfen die iranischen Raketen genau. Und zwar befindet sich etwa
       zwei Kilometer vom Krankenhaus entfernt eine Basis der israelischen Armee
       und etwa einen Kilometer entfernt ein technologischer Campus – doch die
       Rakete schlug eben direkt in das Krankenhaus ein.
       
       Das zeigt, wie vulnerabel kritische Infrastruktur selbst unter dem Schutz
       eines Luftabwehrsystems sein kann. In Israel gibt es mehrere solche
       wichtigen Anlagen. Würden sie angegriffen, könnte das für das gesamte Land
       problematisch werden: Kraftwerke zur Stromerzeugung, etwa in den Städten
       Aschdod und Hadera, Gasfelder im Mittelmeer, die für die Stromerzeugung
       wichtig sind; Militärbasen, aus denen die Kampfjets abfliegen sowie die
       Abschussrampen des Schutzsystems, allgemein bekannt als Iron Dome – und
       Kirya, der Hauptsitz der Streitkräfte in Tel Aviv, wesentlich für die
       militärische Koordination und Planung.
       
       Oder auch das Kernforschungszentrum Negev nahe Dimona, gelegen in der
       gleichnamigen Wüste im Süden Israels. Das Land hat zwar den Besitz einer
       Atombombe nie öffentlich bestätigt, doch das schwedische
       Friedensforschungsinstitut Sipri geht in seinem jährlichen Bericht davon
       aus, dass Israel 90 nukleare Sprengköpfe haben könnte. Und es gibt noch
       mehr neuralgische Punkte: Firmen, die etwa Drohnen entwickeln, wie die
       staatliche Israel Aerospace Industries; Häfen wie Eilat und Aschkelon,
       durch die Waren und Treibstoff fließen; der Flughafen Ben Gurion in Tel
       Aviv sowie Banken und Telekommunikationsfirmen.
       
       ## Im Westjordanland staut es sich an Tankstellen
       
       Eine Stromanlage in Haifa ist vor einer Woche laut Medienberichten von
       einer Hyperschallrakete getroffen worden. Die israelische Stromgesellschaft
       hat den Einschlag bestätigt. Und mitgeteilt, dass ihre Teams daran
       arbeiteten, Risiken wie einen Stromschlag durch abgetrennte Kabel zu
       minimieren und die Stromversorgung wieder herzustellen. Eine Ölraffinerie,
       Bazan in Haifa, wurde ebenfalls getroffen und löste eine Kontroverse aus:
       Die Anlage sollte eigentlich irgendwann geschlossen werden,
       Umweltschützer*innen warnten schon lange vor den Gefahren, die –
       sowohl gesundheitlich als auch kriegsbedingt – von einer Raffinerie an
       einem so dicht bewohnten Ort ausgehen. Drei Mitarbeiter*innen starben
       in den Flammen, die Anlage musste schließen.
       
       Zwei der drei israelischen Gasplattformen, die für 70 Prozent der
       israelischen Stromproduktion verantwortlich sind, haben ebenfalls den
       Betrieb eingestellt. Energieminister Eli Cohen sagte jedoch am Dienstag,
       dass es keinen Treibstoffmangel geben sollte. Anders sieht es im
       palästinensischen Westjordanland aus: Ein Rückgang von Treibstofftankern
       aus israelischem Gebiet sorgt laut palästinensischen Behörden für
       geschlossene Tankstellen und lange Warteschlangen, besorgte
       Einwohner*innen machen Panikkäufe.
       
       Der Umweltschützer und Solarenergie-Entrepreneur Yosef Abramowitz warnt vor
       den Risiken einer Attacke auf die Gasplattformen. Ein Angriff könnte das
       Salzwasser kontaminieren, das in die Entsalzungsanlagen fließt und einen
       Großteil des israelischen Trinkwassers liefert, sowie die Stromproduktion
       kappen.
       
       Doch Risiken bestehen nicht nur im Energiebereich. Vor einigen Tagen hat
       eine Rakete das berühmte Weizmann-Forschungsinstitut in Rehovot getroffen
       und einen Teil seiner Labore und Bestände vernichtet. Das Institut hat
       einige Verbindungen zum israelischen Verteidigungsapparat – beschädigt
       wurden jedoch Abteilungen für Krebsforschung, Biologie und Biochemie. Die
       Risiken von Cyberattacken, die kritische Infrastruktur lähmen könnten, sind
       ebenfalls nicht zu unterschätzen. Doch auf diesem Gebiet ist Israel durch
       den langen Schattenkrieg mit dem Iran in den vergangenen Jahrzehnten gut
       vorbereitet. „Cyber-Bedrohungen waren nie unter den höchsten Prioritäten
       Israels. Wieso? Einfach weil die anderen Bedrohungen schlimmer waren“,
       erklärt Cyberexperte Lior Tabansky.
       
       ## Die Militärzensur ist strenger geworden
       
       Über militärische Kapazitäten und kritische Infrastruktur in Israel zu
       sprechen, ist schwierig. Die Militärzensur verbietet es in vielen Fällen
       Medien, Einschläge oder Schäden an Militärinfrastruktur zu filmen oder
       deren Adresse preiszugeben. Bilder von Abfanginfrastrukturen, Abschüssen
       und Einschlägen sind ebenfalls verboten. So soll „dem Feind“ nicht geholfen
       werden. Dadurch kann jedoch der Eindruck entstehen, dass lediglich zivile
       Ziele getroffen werden. Auch müssen offenbar Berichte, in denen der Ort
       eines Einschlags auf ein Militärziel genannt wird, vom Militärzensor
       abgesegnet werden. Insgesamt sind viele israelische Expert*innen kaum
       bereit, sich zum Thema zu äußern.
       
       Dabei gibt es viele offene Fragen zu den Verteidigungskapazitäten Israels:
       In den vergangenen Wochen gab es Berichte über einen Mangel an
       Abwehrraketen für Israels Luftverteidigungssysteme. Laut der US-Zeitung The
       Wall Street Journal gehen die Flugkörper des Arrow-Systems – das
       Langstrecken-Hyperschallraketen abfangen soll – zur Neige. Drei Millionen
       US-Dollar kostet jeder Flugkörper.
       
       Die Berichte sind nicht neu. Seit Monaten wird über die Endlichkeit von
       Israels Vorräten gesprochen. Und darüber, wie lange die USA ihnen darüber
       hinweg helfen können. Das Verteidigungsministerium äußerte sich indes nicht
       dazu.
       
       Auch wie viele Raketen der Iran noch übrig hat, ist fraglich. Die Menge an
       abgefeuerten Raketen pro Salve hat seit Beginn der Kämpfe erheblich
       abgenommen, von 140 auf weniger als 20 nach Zahlen des israelischen Alma
       Forschungs- und Bildungszentrums. Laut Schätzungen könnte die islamische
       Republik etwa 1.000 bis 1.500 Raketen noch übrighaben. Etwa die Hälfte der
       Raketenabschussrampen dürfte ebenfalls zerstört sein.
       
       ## Vielen Menschen mangelt es an Schutzräumen
       
       Das größte Problem in Israel sei gerade jedoch laut Expert*innen, genug
       Schutzräume für die Bevölkerung einzurichten. Hier gibt es große
       Unterschiede: Im Gegensatz zu neu gebauten Wohnungen müssen solche, die vor
       1991 erbaut wurden, nicht mit einem innenliegenden Schutzraum ausgestattet
       sein. Deren Einwohner*innen müssen sich auf die öffentlichen
       Schutzräume verlassen, die nicht immer nah sind. Auch die beduinische
       Gemeinschaft, die vor allem in Südisrael beheimatet ist, gilt als
       schutzlos. Arabische Dörfer in Israel beklagen ebenfalls einen
       Bunker-Mangel. A[3][uch im arabisch geprägten Ostjerusalem sind sie kaum
       vorhanden, ebenso wenig im Westjordanland]. Das Problem ist jedoch
       kurzfristig kaum zu lösen.
       
       Bislang sind in Israel mindestens 24 Menschen durch iranische Luftangriffe
       gestorben, fast 1.300 wurden verletzt. Etwa 25.000 Schäden an Gebäuden
       wurden gemeldet, 8.000 Personen mussten ihre Häuser verlassen. Trotzdem
       steht die Mehrheit der Israelis laut einer Umfrage der Hebrew University
       und Agam Labs hinter ihrer Regierung: 83 Prozent der jüdischen Israelis
       befürworten demnach den Angriff auf den Iran, bei arabischen Israelis ist
       die Ansicht fast genau umgekehrt. Etwa die Hälfte der jüdischen Befragten
       fühlt sich hoffnungsvoll oder stolz, während knapp 70 Prozent der
       arabischen Israelis – etwa ein Fünftel der Gesamtbevölkerung – [4][Angst
       empfinden.]
       
       Jetzt, wo sich der Konflikt mit dem Einstieg der USA auszuweiten droht, ist
       Israel in den strengen Notstand gewechselt: Schulen sowie Restaurants und
       Bars ohne Schutzräume müssen schließen, Versammlungen sind verboten. Nur
       systemrelevante Arbeiter*innen dürfen an den Arbeitsplatz. Der
       Flughafen ist nahezu verwaist.
       
       Manch einer sorgt sich bereits um die wirtschaftlichen Auswirkungen, sollte
       der Krieg andauern. Momentan liegt der Fokus jedoch auf physischem Schutz.
       Sorokas Vize-Direktor Dror Dolfin sagte am vergangenen Donnerstag: Das
       Krankenhaus brauche jetzt vor allem eines – dass keine weiteren Raketen
       Beer Scheva treffen. Doch bereits am Tag danach löst ein weiterer Einschlag
       Brände in der südlichen Stadt aus.
       
       24 Jun 2025
       
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