# taz.de -- Straßentheaterfestival in Bremen: Glücklich, heiter und gelöst
       
       > Einmal im Jahr kann Bremen sich von sich selbst beurlauben und so tun,
       > als verzehre es sich in Sehnsucht nach einem Bohémien-Dasein.
       
 (IMG) Bild: Beim Straßenkunstfestival La Strada zeigt sich Bremen von seiner besten Seite
       
       Artistische Veranstaltungen sind oft so flüchtig-schön, dass die Sprache
       nicht hinterherkommt. Texte über sie werden zu Floskelsammelplätzen und
       Klischeehalden. Die Zeitungsberichte über das 31. Festival für
       Straßenkünste, La Strada, in Bremen belegen das gut. Um zu sagen, wie toll
       es ist – [1][denn toll ist es!] –, werden die Artikel zuverlässig gedopt
       mit Vokabeln aus dem sinnlosen Feld des Übersinnlichen, dem kurioserweise
       zugleich ein Aspekt der Routinemäßigkeit beigemischt wird.
       
       Dementsprechend hat das Festival nach den übereinstimmenden Headlines die
       Bremer Innenstadt „wieder verzaubert“. Nach einem zuverlässig schwer
       lesbaren Plan haben die gut 150 Performances das Publikum „in ihren Bann
       gezogen“, es in „eine Welt der Fantasie“ „magisch entführt“, wofür die City
       zwischen Ziegenmarkt und Böttcherstraße „in eine Bühne verwandelt“ wurde,
       heißt: Es gab 14 temporäre Spielorte, manche nur durch Klebeband markiert.
       
       Aber es stimmt ja: Die gute alte Tante Sprache knausert mit Worten, die
       verständlich machen könnten, warum das, was da auf- oder vorgeführt wird,
       so scheinbar mühelos und unwiderstehlich die Aufmerksamkeit auf sich zieht
       und dabei mitten in der beschissensten Weltlage so glücklich stimmt und
       heiter und gelöst.
       
       Da ist zum Beispiel diese Jonglage. Die erfüllt zwar später auch die
       Überbietungserwartungen der Disziplin. Aber am beeindruckendsten ist sie,
       solange sie mit nur einer tennisballgroßen weißen Kugel auskommt, was sich
       ja total albern anhört, Jonglage mit einem Ball. Aber eben: [2][Der Artist]
       jongliert sozusagen um ihn herum, bewegt seine Hand, seinen Arm, seinen
       Rumpf in einem Tempo, dass es scheint, als stehe die Kugel
       naturgesetzwidrig in der Luft oder umkreise wie ein verirrter
       Miniaturplanet seinen Körper.
       
       Der wird zugleich roh von einer Tänzerin, die mal italienische Meisterin in
       Rhythmischer Sportgymnastik war, bedrängt, schützt sich vor ihr, weicht
       aus. Das erzählt etwas, ohne festzulegen, was: Wenn man mag, entspinnt sich
       im Kopf die Geschichte von dem Mann, der Frau und den weißen Kugeln. Wenn
       nicht, nicht.
       
       ## Der Blick eines wildfremden Menschen
       
       Es gibt auch klassische Momente kollektiver Verblüffung, etwa am ersten
       Abend neben der Kunsthalle, bei der großen Eröffnungsshow, die auch das
       erste Werk [3][eines sechsköpfigen Ensembles] ist. Irgendwann [4][hat die
       Trapezistin sich hochgeturnt], von den anderen gestützt, gehoben, geworfen,
       das ganze Stück handelt von Gemeinschaft. Aber jetzt, in schwindelnder
       Höhe, kommt eben ihr Solo. Und als sie sich aus ihrer Schaukel in die Luft
       katapultiert, überschlagen und kurz vorm Sturz die Querstange dann doch
       sicher ergriffen hat: Da sitzt du auf dem Boden, schaust dich leicht
       hilflos um, triffst auf den Blick eines wildfremden Menschen. Den wirst du
       vielleicht nie kennenlernen wollen, aber jetzt seid ihr doch gemeinsam in
       tiefem Einverständnis erleichtert, das haben euch eure Augen gesagt, und
       ihr lächelt, beide, und beginnt, etwas zögerlich am Anfang noch, zu
       klatschen.
       
       „Die Menschen sind auf La Strada einfach freundlich“, hat eine Freundin
       festgestellt: Bremen beurlaubt sich mit diesem Festival jedes Jahr kurz vom
       hanseatischen Habitus, als verzehre es sich in Wirklichkeit vor Sehnsucht
       nach einem Bohèmien-Dasein.
       
       Dessen nicht so kunstfertige Erscheinungsformen – Clochards etc. – will die
       rot-grün-rot regierte Stadt zwar [5][per Antibettel-Satzung] aus dem
       öffentlichen, im schnöden Alltag brutal durchgastronormierten Raum drängen.
       Die romantische Seite lässt sich aber bestens weiterhin auf die
       Straßentheaterszene projizieren, auch wenn sich diese professionalisiert
       hat, [6][Hochschulststudium in Frankreich, Belgien oder den Niederlanden]
       inklusive.
       
       Das würde auch die Begeisterungsfähigkeit erklären, die den Leuten hier
       sonst nicht so zugetraut wird: Mehrere Künstler*innen wirken beim
       Schlussstatement regelrecht gerührt, weil der Beifall so enthemmt klingt,
       auch bei 34 Grad im Schatten noch. Sie werden so richtig gefeiert, wie die
       echten Helden eines lange verheimlichten Traums.
       
       20 Jun 2025
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Vorsicht-schraege-Voegel-Dieses-Wochenende-ist-Strassenzirkustreffen-in-Bremen/!1543274&s=La+Strada+Bremen&SuchRahmen=Print/
 (DIR) [2] https://www.stefansing.com/
 (DIR) [3] https://www.commonground.show/de/kollektiv
 (DIR) [4] http://www.circus-unartiq.de/home.html
 (DIR) [5] /Betteln-wird-in-Bremen-schwerer/!6019140
 (DIR) [6] /das-wird/!6090014&s=La+Strada+Bremen&SuchRahmen=Print/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Benno Schirrmeister
       
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