# taz.de -- Erinnerungsarbeit mit Kopfhörern: Eine Stadt geht in ihre Erinnerung ein
       
       > Wie Oldenburg im öffentlichen Raum verdrängt und gedenkt, zeigt das
       > Staatstheater im Audiowalk „Zukunftsmusik – wir werden uns erinnert
       > haben“.
       
 (IMG) Bild: Anlass für den Audiowalk: Auf einem öffentlich geförderten Wandgemälde wurde auch die Nazi-Propagandistin Edith Russ geehrt
       
       Vergangenes Jahr sorgte [1][ein 200 Quadratmeter großes Wandgemälde] in
       Oldenburg für Aufsehen. Mit Porträts von zehn für die Stadt bedeutenden
       Frauen sollte deren auch heute noch viel zu oft unsichtbare Geschichte
       sichtbar gemacht werden. Mit der [2][NS-Propagandistin Edith Ruß] und der
       Opernsängerin Erna Schlüter, die zu Ehren Hitlers’ und der
       „Machtergreifung“ sang, sind aber mindestens zwei der geehrten Frauen
       Nationalsozialistinnen.
       
       Nachdem die taz darüber berichtet hatte, [3][entspann sich in der Stadt
       eine Debatte] darüber, wie es passieren konnte, dass ausgerechnet diese
       Frauen heute noch geehrt werden und wie sie nun mit dem Gedenken an sie
       umgehen soll. Diesen Diskurs nimmt die [4][Audiokünstlerin Katharina
       Pelosi] als Ausgangspunkt, um in ihrem 70-minütigen Audiowalk
       „[5][Zukunftsmusik – wir werden uns erinnert haben]“ der Frage nachzugehen,
       warum, wie und an wen wir uns im öffentlichen Raum erinnern. Die Produktion
       der Sparte 7 des Staatstheaters Oldenburg ist dabei mehr Hörspiel als
       herkömmliche Stadtführung.
       
       Durch den Audiowalk führt die Stimme einer „digitalen [6][Mnemosyne]“. Die
       griechische Göttin der Erinnerung wird hier als Cyborg neu gedacht. Der
       verknüpft Erinnerungsorte auf dem Weg mit den Stimmen der von Pelosi
       interviewten Expert:innen. Die eigens komponierte Musik gibt das Tempo vor
       und sorgt zusammen mit der Sound-Kulisse für eine Atmosphäre, in der man
       den umgebenden Straßenverkehr fast vergisst.
       
       Mit Kopfhörern ausgestattet beginnt die kleine Reise durch die Oldenburger
       Stadtgeschichte an der Büste von Carl von Ossietzky, direkt neben dem
       Theater. Der Streit um die Benennung der Universität nach dem
       Friedensnobelpreisträger ist ein besonderes Beispiel dafür, wie umkämpft
       Erinnerung ist. Es geht weiter zum Cäcilienplatz, vorbei am ehemaligen
       Wohnhaus von Willa Thorade und der Büste von Helene Lange, der einzigen
       Ehrenbürgerin Oldenburgs. Beide waren Vertreterinnen der bürgerlichen
       Frauenbewegung und Gegnerinnen des NS-Regimes. An sie erinnert die Stimme
       der 2021 verstorbenen Sozialpädagogin Heike Fleßner. Alle drei Frauen
       werden vom Wandgemälde abgebildet.
       
       ## Kein Platz für Ulrike Meinhof
       
       Nach einem Zwischenstopp an der Friedenssäule führt die Route an der
       Oldenburger Erinnerungswand vorbei zur Synagoge in der Leo-Trepp-Straße. An
       der Neugründung der jüdischen Gemeinde 1992 war maßgeblich die spätere
       Vorsitzende Sara Ruth-Schumann beteiligt, auch auf dem Wandgemälde geehrt.
       
       Die letzte Station, bevor es zurück zum Theater geht, ist das ehemalige
       „Edith-Russ-Haus“. Die Stadt hat es [7][in Folge der taz-Berichterstattung
       in „Haus für Medienkunst“ umbenannt] – wegen des „Image-Schadens“ durch die
       Debatte, wie Oberbürgermeister Jürgen Krogmann das nennt.
       
       Neben den Frauen auf dem Mural geht es besonders darum, an wen nicht
       erinnert wird. Hätte unter anderen Umständen vielleicht auch die
       berühmteste Oldenburgerin, Ulrike Meinhof, einen Platz auf den Wandgemälde
       bekommen? Warum findet sich nirgends im öffentlichen Raum ein Hinweis auf
       die koloniale Vergangenheit Oldenburgs mit seinen rassistischen
       „Völkerschauen“ auf der Dobbenwiese und dem Kramermarkt? Und an wen
       erinnert man sich in Oldenburg in Zukunft? Wird Lorenz A., den die Polizei
       am 20. April in der City erschossen hat, ein Denkmal bekommen?
       
       Der Audiowalk zeigt, dass öffentliches Erinnern als Ausdruck der
       politischen Machtverhältnisse einem ständigen Wandel unterliegt. Edith Ruß
       und Erna Schlüter sind weiterhin Teil des Wandgemäldes. Einen Hinweis auf
       ihre Nazi-Vergangenheit sucht man dort vergeblich.
       
       20 Jun 2025
       
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