# taz.de -- Grenzen der DNA-Analyse: Mehr Informationen oder mehr Rassismus?
       
       > Durch Daten zur Herkunft erhoffen sich Ermittler:innen präzisere
       > Informationen zu Straftätern. Andere befürchten eine Ausweitung
       > rassistischer Stereotype.
       
 (IMG) Bild: Wattestäbchen zur DNA Analyse
       
       Berlin taz | Seit über 30 Jahren ist die forensische, also
       gerichtsmedizinische DNA-Analyse in Deutschland fester Bestandteil bei der
       Aufklärung von Tatorten und Gewaltverbrechen. Denn die DNA gilt vielen als
       eine Art Superbeweis. Zum einen, weil sie in Abertausenden Zellen
       nachweisbar ist, in Blut, Speichel, Sperma, Haut oder Haar. Zum anderen,
       weil die Desoxyribonukleinsäure (DNA) ein Molekül ist, das die
       Erbinformation der Zellen enthält. Nur in etwa 0,1 Prozent unterscheiden
       Menschen sich voneinander, doch das reicht, um jede*n einzigartig zu
       machen. Die DNA wird daher auch als „genetischer Fingerabdruck“ bezeichnet.
       
       Genauso lange wie DNA-Analysen gibt es auch die Diskussion über den
       richtigen [1][ethischen], politischen und [2][rechtlichen Umgang] mit dem
       Erbgut in der Hand von Ermittler:innen. Aktuell fordern die Bundesländer
       Bayern und Baden-Württemberg, dass zukünftig die biogeografische Herkunft
       (BGA) einer Person für Ermittlungen eingesetzt werden darf. Die BGA gibt
       Hinweise darauf, aus welcher Region der Welt die Vorfahren einer Person
       stammen. Bei der [3][Justizministerkonferenz am vergangenen Wochenende]
       erhielt der Antrag aus Süddeutschland zwar keine Mehrheit – doch die
       Diskussion darüber wird weitergehen.
       
       Ein Abgleich einer DNA-Spur mit DNA-Profilen einer Datenbank ist heute
       Alltag. Das Bundeskriminalamt (BKA) verwaltet eine DNA-Analysedatei mit
       über 1,18 Millionen Datensätzen, darunter rund 790.000 Personen- und rund
       388.000 Spurendaten. Im Jahr 2024 konnten bei Ermittlungen in Deutschland
       so über 24.900 Spuren einem Verursacher zugeordnet und mehr als 7.800
       Tatzusammenhänge festgestellt werden.
       
       Auf der Suche nach einem „Treffer“ in der Datenbank vergleichen Forensiker
       heute nicht mehr das Erbgut in der DNA, sondern arbeiten mit dem
       nichtcodierenden Teil. In ihm wiederholen sich sogenannte Nukleotidpaare,
       die chemischen Grundbausteine der DNA, verschieden oft. Diese sich
       wiederholenden Nukleotidpaare sind von Mensch zu Mensch anders, wodurch
       sich eine Person zuverlässig identifizieren lässt – vorausgesetzt, die Spur
       ist gut erhalten und stimmt mit einem Profil in der Datenbank überein. Der
       sogenannte codierende Teil der DNA, der die Erbinformationen enthält,
       wird nur auf das biologische Geschlecht untersucht.
       
       ## Haut-, Haar- und Augenfarbe
       
       Mit einer DNA-Analyse kann man allerdings mehr tun, als nur Spuren
       abzugleichen. Mithilfe einer sogenannten forensischen DNA-Phänotypisierung
       lassen sich wahrscheinliche Aussagen über die äußeren Merkmale wie Haut-,
       Haar- und Augenfarbe einer Person treffen und theoretisch auch die bereits
       erwähnte biogeografische Herkunft bestimmen. All diese Ergebnisse basieren
       dabei auf Wahrscheinlichkeiten, die abhängig von der Testgenauigkeit
       zwischen 50 und 99 Prozent liegen.
       
       Erstmals über eine Ausweitung der DNA-Analyse diskutiert wurde im Jahr
       2016, nachdem ein Geflüchteter aus Afghanistan eine Freiburger Studentin
       ermordet hatte. Nach dem Vorfall forderten Polizei und Politik mehr
       Möglichkeiten zur forensischen DNA-Phänotypisierung und begründeten dies
       unverblümt mit „[4][Tatverdächtigen aus dem Mittleren Osten]“. „Es schien
       auf einmal so, als bräuchte es für die Polizeiarbeit vor allem Technologie,
       die hilft, Täter und Täterinnen zu erkennen, die anders aussehen als die
       Mehrheit in Deutschland“, sagt Matthias Wienroth vom Centre for Crime and
       Policing an der Northumbria University in Newcastle. Der
       Sozialwissenschaftler verfolgt die Diskurse zu forensischen
       DNA-Technologien in Deutschland und Großbritannien seit Langem und
       beobachtete, wie seit 2015 mit der Aufnahme vieler Flüchtlinge in
       Deutschland parallel eine Polemik der fremden Gefahr entwickelt worden sei.
       
       Trotz [5][Warnungen aus der Zivilgesellschaft] vor Racial Profiling und der
       pauschalen Kriminalisierung von Minderheiten wurde die DNA-Phänotypisierung
       [6][für die Feststellung von Merkmalen] wie Haar-, Haut- und Augenfarbe
       2019 in Deutschland [7][eingeführt]. Laut BKA wurde sie in den letzten vier
       Jahren 27-mal genutzt. Nun wird über eine Erweiterung der DNA-Analyse um
       die biogeografische Herkunft (BGA) diskutiert. Wie problematisch die BGA
       jedoch sein kann, zeigt die Geschichte des „[8][Heilbronner Phantoms“]:
       Eine DNA-Spur am Tatort der 2007 ermordeten Polizistin Michèle Kiesewetter
       wurde damals untersucht und stimmte mit Spuren anderer Mordfälle überein.
       Daraufhin wurde die BGA in einem österreichischen Labor untersucht und die
       Spur einer weiblichen Person aus Osteuropa zugeordnet. Die
       Ermittler:innen vermuteten eine Tatverdächtige aus der Community der
       Sintizze und Romnja und führten sogar Massentestungen durch. 2009 stellte
       sich schließlich heraus: Die untersuchte DNA stammte von einer
       Mitarbeiterin einer Firma, in der sterile Wattestäbchen hergestellt wurden.
       Michèle Kiesewetter hingegen wurde vom rechtsterroristischen NSU ermordet.
       
       Katja Anslinger von der Universität München befürwortet dennoch eine
       Ausweitung der DNA-Analyse auf die biogeografische Herkunft. Laut der
       Professorin für forensische Molekularbiologie zeigen wissenschaftliche
       Studien, dass phänotypische Merkmale oder das Alter präziser abgeschätzt
       und Fehler vermieden werden können, wenn die BGA einer Person bekannt ist.
       „Von wissenschaftlicher Seite wäre mir viel daran gelegen, die
       biogeografische Herkunft mitbestimmen zu können, weil es etwas ist, das mir
       mehr Informationen gibt“, so Anslinger.
       
       Befürworter:innen betonen außerdem den Mehrwert solcher Analysen bei
       der Identifizierung von unbekannten Toten sowie bei der Entlastung von
       Tatverdächtigen diskriminierter Gruppen. Als Beispiel wird häufig der Fall
       der ermordeten Marianne Vaatstra in den Niederlanden herangezogen. Dort
       wurden zunächst in der Nähe des Tatorts lebende Flüchtlinge verdächtigt,
       bis durch eine DNA-Analyse ein weißer Niederländer als Täter identifiziert
       werden konnte. Die Argumentation unterschlägt allerdings, dass die
       Geflüchteten womöglich aufgrund von Rassismus als Erste verdächtigt wurden.
       
       Veronika Lipphardt forscht an der Universität Freiburg zu genetischer
       Geschichte und Populationsgenetik. Sie meint, es gelte, die Interessen von
       Angehörigen der Opfer von Gewaltverbrechen und von Gruppen, die einem
       verstärkten Ermittlungsdruck ausgesetzt werden, abzuwägen. „Forensische
       Genetiker:innen und Ermittelnde sehen sich oft als Vertreter:innen
       der ersten Gruppe und bewerten die Risiken für die zweite Gruppe als
       vernachlässigbar“, so Lipphardt. Dabei sollten gerade forensische
       Genetiker:innen keine einseitige Positionierung vornehmen.
       
       „Informationen einer DNA-Analyse können rassistische Ressentiments
       triggern, wenn sie unvorsichtig und missverständlich kommuniziert werden“,
       sagt Lipphart. Man müsse sehr vorsichtig sein, wie Technologien angewendet
       werden und wie über sie gesprochen wird. Eine besondere Herausforderung
       sieht Lipphardt darin, die Ergebnisse in eine Kategorie zu übersetzen, mit
       der Ermittler:innen etwas anfangen können, ohne auf rassistische
       Stereotype zurückzugreifen. Wichtig dafür sei vor allem, dass genetische
       Forensiker:innen die Zuverlässigkeit und die Fehleranfälligkeit einer
       DNA-Analyse an die Ermittelnden kommunizierten. Dies geschehe laut Lipphart
       bisher nur unzureichend. So sieht es auch Wienroth: „Zu häufig werden
       Wahrscheinlichkeiten in der Polizeiarbeit als Fakten behandelt.“
       
       ## Mehr Vertrauen herstellen
       
       Molekularbiologin Anslinger sieht in der biogeografischen Herkunftsanalyse
       hingegen eine Möglichkeit, präziser zu kommunizieren, da die Grenzen der
       Technologie klarer sind. So könnten laut Anslinger mit den üblicherweise in
       Deutschland verwendeten Analysetools bei stark durchmischten Populationen
       bislang keine verlässlichen Informationen oder Vorhersagen für die
       biogeografische Herkunft generiert werden. Hätte man also die Hinweise der
       BGA, könnte die Aussagekraft bereits erlaubter Untersuchungen zu Haar-,
       Haut- und Augenfarbe besser eingeordnet werden. „Wir könnten das
       dementsprechend vorsichtiger kommunizieren und gegebenenfalls andere
       Schlüsse ziehen.“
       
       Laut Populationsgenetikerin Lipphart muss langfristig vor allem mehr
       Vertrauen zwischen von Rassismus betroffenen Communitys, der Forensik und
       den Ermittler:innen hergestellt werden, beispielsweise durch
       unabhängige Beratungsinstanzen. In einer Schlüsselrolle sieht Lipphardt
       auch forensische Genetiker:innen: Sie könnten die Anliegen beider
       Seiten vermitteln und entsprechend sensibel kommunizieren.
       
       26 Jun 2025
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.gen-ethisches-netzwerk.de/gene-und-genome/polizeiliche-dna-analyse
 (DIR) [2] https://strafverteidigertag.de/wp-content/uploads/2021/06/DNA_Bro_2021_web.pdf
 (DIR) [3] /Patt-zu-DNA-Herkunftsbestimmung-bei-Justizministerkonferenz/!6093065
 (DIR) [4] https://www.gednap.org/wp-content/uploads/2016/12/Stellungnahme_DNA-Vorhersage_Spurenkommission_2016-12-141.pdf
 (DIR) [5] https://zentralrat.sintiundroma.de/stellungnahme-des-zentralrats-zum-entwurf-eines-gesetzes-zur-modernisierung-des-strafverfahrens/
 (DIR) [6] /Erweiterte-DNA-Fahndung/!5612036
 (DIR) [7] /Justizministerin-zur-DNA-Strafverfolgung/!5625314
 (DIR) [8] /DNA-Ermittlungspanne-in-Heilbronn/!5165619
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Amelie Sittenauer
       
       ## TAGS
       
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