# taz.de -- Sauerländer Friedrich Merz: Der Mann aus Arnsberg
       
       > Der neue Bundeskanzler Friedrich Merz weiß nicht, wie Menschen leben, die
       > nicht so viel haben wie er oder die eine Migrationsgeschichte haben. Wie
       > soll er das Land führen?
       
 (IMG) Bild: Merz kopfüber – wie seine Vorstellung von sozialer Realität
       
       Der ganze Stolz des [1][Sauerlands]. Das hab ich schon vor Jahren über
       Friedrich Merz gesagt. Das ist offensichtlich extrem ironisch gemeint.
       Politisch stehe ich weit links, und die [2][Ideale von Merz] und mir
       könnten sich kaum extremer unterscheiden.
       
       Mein Urgroßvater Mehmed Nuhić war Bürgermeister einer kleinen Stadt im
       ehemaligen Jugoslawien. Zur selben Zeit war Friedrich Merz’ Großvater Josef
       Paul Sauvigny Bürgermeister von Brilon – [3][und Mitglied der NSDAP].
       
       Ich will ja nichts sagen, aber – eigentlich schon. Unsere Lebensrealität
       könnte nicht unterschiedlicher sein. Friedrich Merz hat keine Ahnung, wie
       es ist, als [4][Kind von Migrant:innen] in einem so konservativen Umfeld
       aufzuwachsen.
       
       Er weiß nicht, wie Menschen leben, die nicht so viel haben wie er. Und wenn
       doch, dann sind sie selbst daran schuld. Er weiß nicht, dass Macht Menschen
       auffressen kann, sonst würde er sie nicht um jeden Preis suchen.
       
       ## In Arnsberg
       
       Doch eines haben wir gemeinsam: Wir kommen beide aus dem Sauerland. Er ist
       in Brilon geboren, ich in Arnsberg, wo er heute noch lebt, wenn er nicht
       gerade mit seinem Privatjet die Luft verpestet und die halbe Republik mit
       seinem Größenwahn belästigt. Ich sage hier „die halbe“, weil sich die
       andere Hälfte tatsächlich damit zu identifizieren scheint.
       
       In Arnsberg konnte man bei der Bundestagswahl Merz als Direktkandidaten
       wählen. Im Wahlkreis 146, Hochsauerlandkreis, gewann er die Mehrheit der
       Erststimmen mit 47,7 Prozent. Die zweitmeisten Erststimmen bekam Dirk Wiese
       (SPD) mit 21,4 Prozent, der Kandidat der AfD Bernhard Bühner kam auf 15,9
       Prozent.
       
       Das könnte die Frage aufwerfen: Was macht das mit einem? Grundsätzlich
       könnte es mir egal sein, ich wohne eh nicht mehr da. Arnsberg war schon,
       seit ich denken kann, eine CDU-Hochburg – einer der Gründe, warum ich
       dieser Stadt mit 19 den Rücken gekehrt habe.
       
       Die Konservativität triefte durch meinen ganzen Alltag. Lehrer:innen, die
       meinen Namen lasen und dachten, ich wäre dumm, um mich die nächsten Wochen
       immer weiter zu testen, um irgendwann zu denken: Oh, doch nicht dumm; carry
       on.
       
       ## Heute widert es mich an
       
       Oder mit 15 von einem Lehrer gefragt zu werden, ob ich jemandem versprochen
       sei. Oder als „Vorzeigeausländer“ behandelt zu werden. Damals war ich stolz
       darauf, „eine von den Guten“ zu sein. Heute nicht mehr. Heute widert es
       mich an. So, wie Friedrich Merz mich anwidert.
       
       Deshalb war ich auch umso mehr erstaunt, als mein Vater mir vor einiger
       Zeit mitteilte, dass in Arnsberg seit 2018 ein SPD-Bürgermeister regiert.
       Für Arnsberg ist das ungefähr so, als würde die Linke regieren. Nicht
       umsonst taufte ein hier nicht weiter benanntes Familienmitglied es
       liebevoll „Das Arschloch von Europa“.
       
       Vor einigen Jahren hatte die AfD ihr Büro mitten in der Arnsberger
       Innenstadt. Irgendwann musste sie umziehen, nachdem es immer und immer
       wieder demoliert worden war. Ich war noch nie so stolz auf Arnsberg wie in
       diesem Moment. Doch das ist lange her. Ich habe dieser Stadt viele Dinge
       niemals verziehen.
       
       Aber dass so viele Bewohner:innen dieser Stadt diesen machtgierigen,
       misogynen und menschenfeindlichen Typ wählen, zeigt mir, dass ich mir ihre
       fremdenfeindliche Atmosphäre niemals eingebildet habe. Sie war schon immer
       da – nur lange besser versteckt.
       
       ## Er wird auch euch an den Kragen gehen
       
       Kein Wunder, wenn die halbe Stadt von Rentner:innen regiert wird. In
       Arnsberg gab es schon immer mehr Seniorenheime und Geschäfte für Hörgeräte
       als Schulen. Die Alten bestimmen, wie es weitergeht.
       
       Dass Merz 1997 gegen die Strafbarkeit von Vergewaltigung in der Ehe stimmte
       – egal. Dass er arabische Jungs abwertend „Paschas“ nennt – egal. Dass er
       mit der AfD zusammengearbeitet hat, nur um seine Agenda durchzukriegen –
       egal.
       
       Dass er Geflüchtete nicht als Menschen bezeichnet, [5][sondern als „die“ –
       egal.] Dass er den rechtsterroristischen Anschlag von Hanau als Motiv
       nimmt, um Rechtsradikalismus [6][mit der „Clankriminalität“] und der
       „Thematisierung“ von Grenzkontrollen lösen zu wollen – egal.
       
       Es ist euch egal, weil es euch nicht betrifft. Doch irgendwann wird er auch
       euch an den Kragen gehen. Und dann wird es zu spät sein. 1933 kamen die
       Nazis nicht nur mit Unterstützung von anderen Nazis an die Macht, sondern
       deswegen, weil die anderen nicht genug dagegen gekämpft haben. Kämpfen ist
       bitter nötig, damit sich das Schlimmste nicht wiederholt.
       
       Wenn Merz nicht aus den Fehlern seines Opas gelernt hat, sollten zumindest
       wir unsere Lektion gelernt haben und wissen, was jetzt zu tun ist. Ich
       befürchte, dass ich wieder enttäuscht werde. Die Brandmauer war nie eine
       Mauer, nur ein Zaun aus morschem Holz.
       
       7 May 2025
       
       ## LINKS
       
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 (DIR) [5] https://www.youtube.com/watch?v=oSAZrbEqEvU
 (DIR) [6] https://www.fr.de/meinung/terror-hanau-sich-politiker-friedrich-merz-cdu-nazis-zunutze-machen-13560939.html
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Atessa Bucalovic
       
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