# taz.de -- Rassismus im Alltag: Was soll ich meinem Sohn sagen?
       
       > Wir dürfen nicht zulassen, dass „Ausländer raus“-Rufe wieder Alltag
       > werden, sagt unser Autor. Er wünscht sich ein anderes Deutschland für
       > seinen Sohn.
       
 (IMG) Bild: Rassismus, Allgäu, Grundgesetz: So wuchs der Autor in Deutschland auf. Sein türkischer Vater war überzeugt von diesem Land
       
       Ich bin in Marktoberdorf geboren, mitten im Allgäu. Marktoberdorf war meine
       Heimat – und ist es immer noch. Ich habe dort Freunde gefunden, meine
       Kindheit genossen, die Berge geliebt, die Menschen geschätzt.
       
       Meine Eltern kamen in den 70er Jahren als Gastarbeiter nach Bayern, voller
       Hoffnung, voller Dankbarkeit. Mein Vater, der als Fünfjähriger als Hirte
       auf anatolischen Feldern und Bergen schuftete, war stolz, bei Fendt zu
       arbeiten – für ihn die beste Traktorenfirma der Welt. Dass aus dem kleinen
       Jungen mit den Schafen einmal ein Facharbeiter in Deutschland werden
       durfte, war für ihn ein Wunder und Ausdruck echter Gerechtigkeit.
       
       Wenn er im Ruhestand für ein halbes Jahr in seinem Haus in der Türkei
       lebte, hisste mein Vater jeden Morgen drei Fahnen: die deutsche, die
       bayerische und die Fendt-Flagge. Für ihn waren diese Fahnen Symbole für
       Glück, für Stolz, für das, was er sich in Deutschland aufgebaut hatte.
       
       ## Das Grundgesetz war ihm heilig
       
       Im Alltag haben wir auch Rassismus erlebt – zum Beispiel, als der
       Bayerische Fußball-Verband mich in die bayerische Auswahl berufen wollte.
       Mein damaliger Trainer sagte: „Du bist nur ein Türke. Wir schicken Johannes
       und Michael.“
       
       Komische Blicke, beleidigende Worte, manchmal auch offene Ablehnung
       gehörten dazu. Aber mein Vater hat uns immer beigebracht: „Lasst euch nicht
       von ein paar Rassisten provozieren. Die meisten Menschen hier sind gut.“ Er
       glaubte an Deutschland. Er glaubte an das Grundgesetz. Diesen Glauben habe
       ich von ihm gelernt – und auch von meinen Mitmenschen hier.
       
       Das Grundgesetz war für meinen Vater wie eine heilige Schrift. Wenn er in
       der Türkei zu Besuch war, erzählte er seinen Freunden und Verwandten: „In
       Deutschland schützt das Gesetz die Würde jedes einzelnen Menschen – egal,
       woher er kommt.“ Für ihn war es das größte Geschenk, in Deutschland leben
       und arbeiten zu dürfen. Er liebte dieses Land mit vollem Herzen.
       
       Als er erfuhr, dass er schwer an Krebs erkrankt war, gab es für ihn keinen
       Zweifel: Er wollte nicht in der Türkei bleiben. Er wollte zurück nach
       Marktoberdorf, in seine Heimat. Hier wollte er seine letzten Tage
       verbringen. Hier wollte er sterben. Er wollte gehen in dem Land, das ihm
       die Möglichkeit gegeben hatte, ein neues Leben aufzubauen.
       
       ## Dürfen Menschen so etwas rufen?
       
       Und heute? Heute lese ich, [1][dass Menschen auf Partys, in Diskotheken und
       auf Straßen wieder rufen dürfen: „Deutschland den Deutschen, Ausländer
       raus.“] Und dass Gerichte das als Meinungsfreiheit schützen. Mein
       zwölfjähriger Sohn schaut mich an und fragt: „Papa, warum [2][dürfen
       Menschen so was rufen?] Sind wir hier nicht zu Hause? Gehören wir nicht
       dazu?“ Und ich sitze da. Ich, der sein Leben lang an Deutschland geglaubt
       hat. Ich habe keine Antwort. Was soll ich meinem Sohn sagen?
       
       Mein Vater hätte geweint, wenn er erleben müsste, was heute passiert. Er
       hätte sich gefragt: Was ist aus dem großen Versprechen geworden? Aus der
       Würde eines jeden Menschen?
       
       Ich schreibe diesen Brief nicht aus Wut. Ich schreibe ihn aus Liebe. Aus
       der gleichen Liebe, die mein Vater für dieses Land hatte. Ich will, dass
       mein Sohn weiter an Deutschland glaubt. Wir dürfen nicht zulassen, dass
       solche Parolen wieder Alltag werden. Wir dürfen nicht zulassen, dass unsere
       Kinder in einem Land aufwachsen, in dem sie erklären müssen, warum sie hier
       sind. Wenn wir heute nicht für die Würde aller Menschen einstehen,
       verlieren wir morgen auch unsere eigene.
       
       Deshalb stelle ich diese Frage, an alle, die Verantwortung tragen, und an
       alle, die zuhören wollen: Was soll ich meinem Sohn sagen?
       
       Anmerkung der Redaktion: Der Autor möchte anonym bleiben, deshalb hier nur
       ein Kürzel: C. Aribas
       
       4 May 2025
       
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