# taz.de -- Arbeit in der Games-Branche: Von wegen spielerisch
       
       > Die Games-Branche gibt sich lustig, kollegial und progressiv. Doch hinter
       > den Kulissen leiden Entwickler:innen unter Stress und Sexismus.
       
 (IMG) Bild: Das Candy Crush Game ist leider nicht nur ein Spiel – gecrusht wird auch in echt
       
       Berlin taz | Auf dem Bildschirm tippt ein kleiner Avatar Codezeilen in den
       Rechner, neben ihm ein Kaffeebecher voller Stifte, ein Klemmbrett voller
       Ideen. Wer in der Wirtschaftssimulation „Game Dev Tycoon“ ein eigenes
       Studio gründet, spielt sich als Branchenpionier:in in den achtziger
       Jahren durch die romantisierte Geschichte eines zum Business gewordenen
       Zeitvertreibs. Termindruck scheint es nicht zu geben. Nach den ersten
       Erfolgen wird aus der muffigen Garage ein richtiges Büro, neue
       Mitarbeiter:innen werden eingestellt, um die immer komplexeren
       Produktionen stemmen zu können. Ihr Gehalt legen die virtuellen
       Angestellten dabei selbst fest; es steigt sogar ganz automatisch mit ihrer
       Betriebszugehörigkeit und Qualifikation.
       
       Videospiele sollen Spaß machen, Realitätsflucht bieten – auch wenn sie, wie
       „Game Dev Tycoon“, den Aufschwung der [1][mittlerweile umsatzstärksten
       Unterhaltungsindustrie] zum Thema haben. Auf Messen und Events lassen
       Studios ihre Spiele von begeisterten Entwickler:innen vorstellen, geben
       sich als moderne Traumfabriken. Große Publisher [2][bewerben ihre Games]
       mit der kulturellen, religiösen und geschlechtlichen Vielfalt der an der
       Entwicklung Beteiligten.
       
       Doch die Diskrepanz zwischen Außendarstellung und Arbeitsalltag ist groß.
       „Die freundlich lächelnden Bilder, das sind die, die man auf die Website
       stellt“, sagt Tim, der seit sieben Jahren als Entwickler arbeitet. Tim
       heißt eigentlich anders, will aber nicht mit seinem richtigen Namen genannt
       werden. Von den freundlichen Bildern ist bei ihm wenig übrig geblieben:
       „Wenn du anfängst, gibt es oft diesen Wunsch, dich selbst zu verwirklichen,
       aber das geht schnell kaputt. Die Leidenschaft kann schnell zur Falle
       werden.“
       
       Wirtschaftlich geht es der Branche wieder schlechter. Nachdem die Umsätze
       [3][während der Coronapandemie in die Höhe geschossen waren], Personal
       eingestellt und Investorengelder akquiriert wurden, normalisierte sich die
       Nachfrage mit dem Ende der Lockdowns. 2024 verloren [4][nach Erhebungen der
       Website gaminglayoffs.com] weltweit etwa 14.500 Beschäftigte ihren
       Arbeitsplatz, nochmals 38 Prozent mehr als im Vorjahr. Davon betroffen sind
       auch [5][Angestellte in Deutschland]. Die Düsseldorfer Niederlassung des
       Branchenriesen Ubisoft streicht rund 15 Prozent der 400 Arbeitsplätze, beim
       Frankfurter Studio Crytek werden 60 Stellen abgebaut.
       
       ## Überwachte Toilettenpausen
       
       Von ihren Angestellten verlangen die Studios Aufopferung. „Crunch“ werden
       Arbeitsphasen genannt, in denen ganze Teams [6][teils über 80 Stunden pro
       Woche arbeiten] – oft über Monate hinweg. Schlafsäcke unter den
       Schreibtischen und überwachte Toilettenpausen wurden lange als
       Qualitätsgarant verkauft und stützen bis heute die Vorstellung eines
       zwangsläufig obsessiven, weil kreativen Arbeitsethos.
       
       Aus Sicht der Studiobosse ist das „Zermalmen“ der eigenen Arbeitnehmer
       schlicht wirtschaftliche Notwendigkeit, um Aktionären gerecht zu werden
       oder Trends und Marktzyklen noch rechtzeitig zu bedienen. Die Entwicklung
       eines Spiels ist selten planbar – technische Anforderungen verändern sich
       mitten in der Produktion: „Man lernt zwischendurch, dass man Dinge ganz
       anders machen muss als ursprünglich gedacht. Die Zeiträume, mit denen man
       plant, sind kaum einzuhalten“, sagt Tim. Er berichtet von Ohrenrauschen und
       permanenter Müdigkeit. „Auf einem Event habe ich eine Freundin getroffen,
       die plötzlich anfing zu weinen“, erzählt er. „Einfach, weil sie so
       wahnsinnig gestresst war. Das ist extrem, aber es gibt viele solche Fälle.“
       
       Auch Eva, die ebenfalls nicht mit echtem Namen genannt werden möchte, kennt
       den kollektiven Erschöpfungszustand. Fehlende Arbeitszeiterfassung,
       unvergütete Überstunden und zu spät gezahlte Gehälter waren jahrelang
       Normalität. Mittlerweile hat sie die Branche verlassen. Was Menschen in der
       Games-Industrie halte? „Spiele entwickeln ist für Viele Teil ihrer
       Identität“, sagt die Grafikerin. „Klar, du wirst schlechter bezahlt als in
       anderen Tech-Jobs, aber du bleibst, egal wie scheiße deine
       Arbeitsbedingungen sind. Erst dann gehörst du richtig dazu. Viele haben das
       verinnerlicht.“
       
       Langfristig hält das kaum jemand durch. Wenn die Arbeitskraft nach der
       Fertigstellung eines Spiels nicht mehr gebraucht wird, folgen oft
       Entlassungswellen. Erst mit der Finanzierung eines neuen Projekts werden
       Teile der früheren Belegschaft wieder eingestellt. Für Tim und seine
       Kolleg:innen bedeutet das permanente Unsicherheit. „Das ist ein
       Arbeitsalltag, der nicht vereinbar mit Familien- oder sonstiger
       Lebensplanung ist. Deshalb gibt es so viele, die in ihren Dreißigern
       einfach sagen: Fuck this, ich gehe woanders hin.“
       
       ## Etliche Ehen gekostet
       
       Die wenigen Verbliebenen suggerierten ein falsches Bild: „Viele der
       Studios, die in den achtziger Jahren noch im Kinderzimmer angefangen haben,
       sind zu weltweit operierenden Unternehmen geworden. Ein paar Nerds,
       schlaflose Nächte und irgendwann das große Geld, das ist unsere
       Geschichte“, sagt Eva nüchtern. „Die Entwicklung von ‚Diablo II‘ hat
       etliche Ehen gekostet. Und trotzdem ist die Wahrnehmung verzerrt: Wir hören
       von ‚GTA‘ oder ‚Baldur’s Gate‘ – von den Erfolgen. Aber wir hören nie von
       den Menschen, die genauso hart gearbeitet und es trotzdem nicht geschafft
       haben.“
       
       Zur Geschichte der Games-Industrie gehören auch Firmenausflüge in
       Stripclubs oder Entwicklerinnen, die [7][zum gemeinsamen Saunabesuch mit
       dem Chef gedrängt] werden. 2021 gab Jennifer O’Neal nach nur drei Monaten
       [8][ihren Posten an der Konzernspitze von Activision Blizzard] wieder auf.
       Sie sei als Symbolfigur ausgenutzt worden, schrieb die Präsidentin in einem
       Brief an die Rechtsabteilung, ein Wandel der Firmenkultur derzeit nicht
       möglich.
       
       Dabei sollte sie ausbaden, was ihr männlicher Vorgänger scheinbar übersehen
       hatte: systematischen Machtmissbrauch, [9][Witze über Vergewaltigungen und
       Alkoholexzesse am Arbeitsplatz], gefolgt von sexuellen Übergriffen. Im
       Mittelpunkt der Anschuldigungen: [10][die sogenannte „Cosby-Suite“] – ein
       Hotelzimmer, benannt nach dem für die Verwendung von K.-o.-Tropfen
       verurteilten Entertainer, in das führende Angestellte während eines Events
       2013 Frauen einluden, um sich mit ihnen zu betrinken. Bilder und
       Chatverläufe posteten die Verantwortlichen damals öffentlich bei Facebook.
       „Du kannst sie nicht alle heiraten“, schrieb einer. „Du hast ficken falsch
       geschrieben“, antwortete ein Kollege.
       
       Ähnliche Vorwürfe wurden auch aus anderen Studios bekannt, landeten
       teilweise vor Gericht. Derzeit [11][läuft ein Prozess] gegen den ehemaligen
       Kreativdirektor und zwei weitere Manager des französischen Entwicklers
       Ubisoft. CEO Yves Guillemot beteuert, von Mobbing und sexueller Belästigung
       nichts gewusst zu haben. Ist ein Studio betroffen, geht es vorrangig um
       Schadensbegrenzung: mutmaßliche Täter werden entlassen, interne
       Mediationsstellen eingerichtet, Hilfe von außen gesucht, in
       Pressemitteilungen Besserung versprochen.
       
       ## Alkoholausschank reduziert
       
       „Da gab es viele große Worte und Gesten“, sagt Eva knapp zu den
       Aufarbeitungsversuchen der letzten Jahre. „Strukturell hat sich nicht viel
       verändert“. Auch in der deutschen Branche sei die Bro-Culture tief
       verwurzelt: „Bei Events kam oft die Frage: ‚Wo ist dein Freund?‘, oder
       Frauen wurden schlicht ignoriert.“ Das sei weniger geworden, auch weil
       Awareness-Teams eingesetzt würden, Veranstalter den Alkoholausschank
       reduzierten.
       
       Geblieben sind stille Abwertung und Ausgrenzung. „Es ist nicht so, dass
       dich ein Kollege jeden Tag fragt, ob du mal mit ihm ausgehst. Das passiert,
       aber das ist ja so offensichtlich, dass es fast schon lustig ist. Wie aus
       dem Lehrbuch“, erzählt Eva und lacht bitter. „Aber es gibt den Punkt, an
       dem du dich fragst: Warum bringt mein Chef mich zum Weinen und sagt mir
       dann, ich solle nicht so emotional sein? Und warum weint keiner meiner
       männlichen Kollegen? Warum bin ich die einzige Person, die so angegriffen
       wird?“.
       
       Vorfälle wie bei Activision Blizzard oder Ubisoft sind in Deutschland
       bisher nicht bekannt geworden. Eva wundert das nicht: „Die Industrie ist so
       klein, dass, wenn einem etwas passiert, man lieber nicht groß darüber
       redet. Sonst kriegt man danach vielleicht keinen Job mehr.“ Nach einer
       kurzen Pause fügt sie hinzu: „Klar, wir reden untereinander. Aber manchmal
       musst du deine Miete bezahlen oder brauchst das Projekt für deinen
       Lebenslauf. Dann sagst du dir: Ich werde zum Felsen und warte, bis der
       Sturm vorüberzieht.“
       
       Veränderung wünschen sich nicht nur Eva und Tim. Initiativen [12][wie das
       FemDevsMeetup] oder [13][der Verein Game:in] setzen sich gegen die
       strukturelle Diskriminierung von FLINTA* ein, veranstalten Treffen,
       Vorträge und Workshops. Kurz vor der Gamescom 2024 stellten
       Entwickler:innen gemeinsam [14][mit der Gewerkschaft Verdi] den Game
       Devs Roundtable vor, der nicht nur die Gründung von bisher kaum vorhandenen
       Betriebsräten unterstützen soll, sondern auch verbindliche Standards bei
       Arbeitsverträgen und Maßnahmen gegen Machtmissbrauch fordert. Für Eva steht
       fest: „Es muss sich was ändern. Sonst sind irgendwann alle Leute weg.“
       
       4 May 2025
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.gameswirtschaft.de/wirtschaft/umsatz-vergleich-games-musik-kino-2023-120724/
 (DIR) [2] https://forums.escapistmagazine.com/threads/ubisofts-assassins-creed-opening-disclaimer-change-is-bizarre.137914/
 (DIR) [3] https://www.gtai.de/en/invest/industries/digital-economy/gaming-industry-in-time-of-corona-535804
 (DIR) [4] https://gaminglayoffs.com/
 (DIR) [5] https://www.gameswirtschaft.de/wirtschaft/ubisoft-duesseldorf-stellenabbau-280125/
 (DIR) [6] https://kotaku.com/inside-rockstar-games-culture-of-crunch-1829936466
 (DIR) [7] https://www.eurogamer.net/polish-developer-apologises-following-criticism-for-naked-sauna-job-requirement
 (DIR) [8] https://kotaku.com/blizzards-first-woman-co-head-resigned-due-to-being-tok-1848066667
 (DIR) [9] https://www.washingtonpost.com/video-games/2021/08/06/blizzard-culture-sexual-harassment-alcohol/
 (DIR) [10] https://kotaku.com/inside-blizzard-developers-infamous-bill-cosby-suite-1847378762
 (DIR) [11] https://www.lemonde.fr/en/police-and-justice/article/2025/03/10/former-ubisoft-bosses-on-trial-in-france-over-alleged-harassment_6738996_105.html
 (DIR) [12] https://femdevsmeetup.com
 (DIR) [13] https://gamein.fyi/
 (DIR) [14] https://tk-it-nrw.verdi.de/themen-und-kampagnen/game-devs
       
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 (DIR) Lennart Hasche
       
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