# taz.de -- Neues Album von Andreas Dorau: Unheimlich weich
       
       > Popmusiker Andreas Dorau hat ein Konzeptalbum über die österreichische
       > Hauptstadt gemacht. Bedeutungsschwangerer Titel: „Wien“. Jetzt geht er
       > auf Konzertreise.
       
 (IMG) Bild: Der Naschmarkt mit der Secession, einfach Wien
       
       Wer eine Ode an die Hauptstadt der Habsburgermonarchie erwartet hat, wird
       von dem Album „Wien“ positiv überrascht, aber zugleich mächtig irritiert.
       „Viiiieeeena“ singt Andreas Dorau in schriller Kinderstimme beim Song
       „Vienna Sur Mer“ über einer melodisch trällernden Gitarre.
       
       In dem Song „Ich kann nicht schlafen“ macht der hanseatische Popstar
       deutlicher, um was es auf seinem neuen Album geht: „Ich bin im Hotel / Und
       nicht zu Haus“, ziept Dorau, um dann über einer glockenhellen
       Xylofonmelodie in sanft weinerlichen, leicht verzweifelten Ton „Ich kann
       nicht schlafen“ zu singen. Uuuuuuhhh, schiebt sich danach ein Chor in den
       Vordergrund.
       
       Der Song klingt schwungvoll, wie viele Songs auf einem Album, dessen Sound
       irgendwo zwischen sanftem Synthie-Pop und eher rockistischer [1][Hamburger
       Schule] (analoge Instrumente gibt es auch) changiert. Manche Songs hat
       Dorau angereichert mit babyesk anmutenden Soundeffekten.
       
       Bei „Ich kann nicht schlafen“ drehen sich ein Synthie-Arpeggio, Xylofon und
       Percussions wie auf einem Kinderkarussell im Kreis. Der Besuch einer Stadt
       wird auf „Wien“ zur ironisch überdrehten existenziellen Erfahrung. Mit
       Jalousien, Straßenlaternen und Häuserfassaden fängt Dorau verschiedene
       Bilder, mit Hotelbesuchen, Aussichtspunkten und Riesenradfahrten
       verschiedene Szenen einer Stadt ein. Er erkundet sie wie ein Tourist, dem
       sich aber nicht alle Details erschließen.
       
       Dass in der Inszenierung von „Wien“ vieles bildlich wirkt, war ihm wichtig.
       „Musik ist auch unbewusst optisch“, erklärt er der taz. Beim Hören eröffnet
       sich tatsächlich eine Welt, das ist eine große Leistung von Doraus stimmig
       komponiertem und gut durch hörbarem Werk. Dass es dann die alte Metropole
       Wien wurde, hatte weniger mit der Stadt an sich zu tun. Dorau findet
       einfach das Wort „phonetisch toll“, das W klinge „unheimlich weich“.
       
       ## Balla-Balla-Reime
       
       Der Popstar, der einst mit Balla-Balla-Reimen wie „Acht, 15, 25 Cent / Ein
       jeder diese Zahlen kennt / Die Kinder rufen im ganzen Land / Fli Fli Fla
       Fla Flaschenpfand“ Verheißungen des Konsums, aber auch die versiegende
       Revolutionslust der Linken besang, bleibt seinen skurrilen
       Gesellschaftsthemen auch mit „Wien“ treu.
       
       Sein Song „45 Lux“ handelt etwa davon, dass in der österreichischen
       Hauptstadt ein Zentralcomputer automatisch die Straßenlaternen bei 45
       Lux-Beleuchtungsstärke einschaltet. Über einem träumerischen
       Synthi-Pop-Beat mit jazzigem Rhodes-Piano feiert Dorau den Moment, in dem
       das Licht angeknippst wird.
       
       „Wien“ ist während der Coronapandemie entstanden. Die Musik habe er nicht
       gleichzeitig mit dem Vorgängeralbum „Im Gebüsch“ (2024) komponiert, sie
       entstamme aber „demselben Ideenpool“. Wie zufällig seien auf „Wien“ dann
       manche Songs „ein paar BPM“ schneller gewesen. Das hört man auch. „Wien“
       hat mehr Power als „Im Gebüsch“. Musikalisch herausragend ist übrigens
       „Mädchen mit Herz“ mit summbarer hanseatischer Gitarrenmelodie und klarer
       post-punkiger Hookline.
       
       Mit dem Stück „Tourist“ hatte Dorau das Konzept für das ganze Album
       kreiert. Es habe ihm die Möglichkeit gegeben, sich von der „Dreistigkeit,
       ein Werk über Wien zu machen“, abzuheben. Jetzt beweist er, dass er „nur an
       der Oberfläche kratze“. Auch die Musik klingt perfekt, um den Tourist als
       Figur zum Urheber der vielen kleinen Stadtbeobachtungen zu stilisieren.
       Über einer leicht düsteren xylofon-artigen Melodie trägt Dorau betont
       quengelig die Zeile „Ich bin nur ein Tourist“ vor, was dem Song zum einen
       eine unangenehme Zudringlichkeit verleiht, aber auch Doraus Meinung
       [2][über Touristen] durchscheinen lässt.
       
       ## Das Riesenrad am Prater
       
       Von was handelt nun „Wien“ genau, wenn sowieso alles nur Fassade ist und
       auch der Mythos der Donaumetropole gar nicht angekratzt wird? Hört man die
       Musik eher nebenbei, bleiben vor allem die verschiedenen Figuren der
       Wiederholung, Enttäuschung, aber auch des Unverständnisses hängen. „Runde
       um Runde“, heißt ein Song übers Riesenrad am Prater. „Alles ist gleich“ ein
       anderer mit einem stakkatoartigen, unruhigen Piano-Anschlag.
       
       „Deine Treppen führen ins Nichts / Deine Wände sind zu hoch / Dein Dach,
       das ist ganz krumm“ singt Dorau in „Verbautes Haus“, über dessen
       Architektur es auch heißt: „Du siehst so traurig aus.“
       
       Beim Kriminaltango „Hinter Jalousien“ fragt er: „Was sind das für Leute /
       Sie leben hier und heute / Ich muss sie nicht verstehen / Ich werd sie
       sowieso nicht sehen“. Mit der Figur des tumben Touristen (sind
       Städtereisende wirklich so ignorant?) und dem Kind, das sich spielend die
       Welt erschließt, hat man Doraus Inszenierung von „Wien“ aber noch nicht
       ganz erfasst.
       
       ## Wie Klee, aber in Musik
       
       Weil die Bilder alle mit der Stadt verknüpft sind und sich auf „Alles ist
       gleich“ ängstlich vorgetragene Strophen wie „Dieselbe Wohnung, dieselbe
       Arbeit, dasselbe Auto, dieselbe Frau“ – unterlegt mit leichten Schreien –
       finden, hat man manchmal das Gefühl, als handle es sich bei „Wien“ um so
       etwas wie Klang gewordenen Fordismus: eine dadaistische Ode auf die
       verhasste Gleichheit, die man wirklich so sehr hasst, dass man sie – en
       miniature – noch einmal nachbaut, aber in schräg, betont technizistisch und
       skurril. [3][Wie Paul Klee,] aber in Musik.
       
       Wenn man seine Kunst als naiv bezeichnet, reagiert Dorau „ein bisschen
       empfindlich“. Sein Frühwerk wurde oft damit abgetan. Ironie weist er brüsk
       von sich. Abwertend muss beides natürlich nicht gemeint sein – die
       Zuschreibungen liegen bei Songs wie „Fred vom Jupiter“ (1981) ohnehin nahe.
       „Ich hasse Rollenbilder“, sagt Dorau. Auch künstlerisch steht der Kampf
       gegen Stereotype im Mittelpunkt, auch mit 61 Jahren, auch auf „Wien“.
       
       2 Apr 2025
       
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