# taz.de -- Atomkraft muss warten: Polen plant gigantische Investitionen in den Energiesektor
       
       > Aufgeschoben oder aufgehoben? Vor Investitionen in den Neubau von AKWs
       > steckt Warschau Milliardensummen in neue Stromleitungen und
       > Stromspeicher.
       
 (IMG) Bild: Windradflügel auf dem Transport Richtung Polen. Die Energieversorgung funktioniert europäisch, der Ausbau der Erneuerbaren auch
       
       Warschau taz | Gigantische Windräder drehen sich langsam im Wind, der
       Himmel ist hellblau, das Meer ein bisschen dunkler – so werben polnische
       Stromfirmen auf den großen Bildschirmen in der Warschauer Metro für saubere
       Energie. Auch wenn Staatspräsident Andrzej Duda noch 2018 auf dem
       Klimagipfel im oberschlesischen Kattowitz behauptete: „Wir haben Kohle für
       die nächsten 200 Jahre“, sind inzwischen selbst die meisten Kohlekumpel in
       Polen davon überzeugt, dass die Zeit des „schwarzen Goldes“ vorbei ist. Die
       Mitte-links-Koalition von Donald Tusk, die seit Ende 2023 die Regierung
       stellt, will die Modernisierung des polnischen Energiemarktes mit 500
       Milliarden Złoty (etwa 120 Milliarden Euro) fördern.
       
       Möglich wird diese Großinvestition in die Energieinfrastruktur dank der EU,
       [1][die nach dem Regierungswechsel die zuvor gesperrten Mittel aus dem
       Corona-Wiederaufbaufonds für Polen freigab.] Die Nationalpopulisten der
       Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS), die zuvor acht Jahre lang das Land
       regierten, hatten das polnische Rechtssystem zu ihren Gunsten umgebaut.
       Immer wieder bezeichneten sie das EU-Recht als „verfassungswidrig“, häufig
       ignorierten sie Urteile des Europäischen Gerichtshofs. Schließlich ging
       Brüssel die Geduld aus und die EU drehte Polen den bislang breit fließenden
       Geldstrom ab. Die neue Regierung in Warschau versucht, in Polen wieder eine
       freiheitlich-liberale Demokratie zu etablieren, wird aber meist durch
       Präsident Duda ausgebremst, der sich als Sachwalter der
       PiS-Parteiinteressen versteht. Im Mai sind Präsidentschaftswahlen in Polen,
       zu denen Duda nicht mehr antreten kann.
       
       Tusk hat allerdings von der PiS-Regierung einige Investitionen geerbt, die
       nur schwer rückabgewickelt werden können. Dazu gehört neben dem
       Großflughafen zwischen Warschau und Łódź auch der Einstieg in die
       Atomenergie. Bereits Polens Kommunisten sahen in der Atomenergie die
       künftige Energieversorgung Polens. Nach der Reaktorkatastrophe von
       Tschernobyl 1986 protestierten die Polen jedoch dermaßen vehement gegen das
       bereits im Bau befindliche Atomkraftwerk, dass die erste
       nichtkommunistische Regierung 1989 unter Tadeusz Mazowiecki das Projekt in
       Żarnowiec stoppte.
       
       [2][Aktuell laufen die Vorbereitungen für den Bau des ersten großen
       Atomkraftwerks in Polen in der Gemeinde Choczewo bei Danzig an der
       Ostseeküste]. Vor wenigen Tagen bekam der Investor „Polnischer Kernreaktor“
       (PEJ) die Zusage für staatliche Fördergelder in Höhe von umgerechnet 14,5
       Milliarden Euro. Das aber ist nur ein knappes Drittel der benötigten
       Investitionssumme in Höhe von geschätzten 47 Milliarden Euro. Wo der Rest
       des Geldes herkommen soll, ist noch nicht geklärt. Das
       amerikanisch-kanadische Konsortium Westinghouse, das den Reaktor AP1000
       stellen und zusammen mit der amerikanischen Firma Bechtel bauen soll, hatte
       nie ein rechtes Interesse an dem Projekt. Erwogen wird jetzt, dass der
       Staat weitere Milliarden investiert und der Rest über Bankkredite auf dem
       freien Markt zusammenkommen soll – abgesichert durch Staatsgarantien.
       
       ## Tusk tat das, was alle Regierungen vor ihm auch taten
       
       Eine solche Großinvestition benötigt die Zustimmung der EU, doch der
       gefällt gar nicht, dass mit dem Bau des ersten Atomreaktors in Polen
       zugleich ein staatliches Energiemonopol entstehen soll. Der Staat könnte
       nach Belieben an der Preisschraube drehen und damit den ganzen europäischen
       Energiemarkt in Turbulenzen bringen. Wahrscheinlich kam Tusk das
       „Ungenügend“ aus Brüssel allerdings gar nicht so ungelegen. Jedenfalls tat
       er das, was alle Regierungen vor ihm seit nunmehr 30 Jahren auch taten: Er
       verschob die Realisierung des Projekts „polnischer Atomreaktor“ in die
       Zukunft.
       
       Baubeginn soll nicht mehr 2026 sein, sondern erst 2028, und ans Netz gehen
       soll der Reaktor erst 2036. Solange werde der Staat aber nicht untätig
       sein, versprach Tusk. Vielmehr würde das Industrieministerium in der
       Zwischenzeit einen Standort für das geplante Atomkraftwerk 2 – in Bełchatów
       in der Nähe von Łódź, und Atomkraftwerk 3 – in Konin rund hundert Kilometer
       südöstlich von Posen, suchen.
       
       Vielleicht macht der private Ausbau der Photovoltaikanlagen zusammen mit
       den geplanten Offshore-Windparks den teuren Bau von Atomkraftwerken bis
       dahin überflüssig. Offen gibt das kein Regierungspolitiker zu, aber in
       einigen Jahren wird klarer sein, wie teuer der Atomstrom im Vergleich zum
       grünen Strom aus Wind und Sonne sein wird.
       
       Vorrang hat jetzt erst einmal der Ausbau der verschiedenen Stromtrassen,
       die ja auch für die gigantischen Offshore-Windparks in der Ostsee gebraucht
       werden. Zudem holen sich immer mehr private Stromanbieter, die auf
       Photovoltaik gesetzt haben, eine Abfuhr bei den großen Energieunternehmen.
       Sie können ihren Strom nicht ins allgemeine Netz einspeisen, weil – so die
       häufigste Begründung – die Netzkapazität nicht ausreicht. Diese Interessen
       aber müssen in Zukunft auch berücksichtigt werden. Der Plan für die
       geplanten oberirdischen Stromleitungen und die unterirdischen Stromkabel
       durch ganz Polen ist bereits fertig und genehmigt.
       
       Eine weitere Großinvestition, über die aber in Polens Öffentlichkeit nur
       wenig gesprochen wird, betrifft moderne Stromspeicher, die die Schwankungen
       ausgleichen sollen, die durch „Dunkelflauten“ entstehen. Sie springen also
       dann an, wenn die Turbinen sich mangels Wind nicht drehen und auch die
       Photovoltaikanlagen mangels Sonne keinen Strom produzieren. Vorreiter ist
       hier Orlen, Polens größtes Energieunternehmen, das in den nächsten Jahren
       vollständig aus der Kohleverstromung aussteigen will. Eine Brückenfunktion
       wird Gas einnehmen, dessen Bedeutung in den nächsten Jahren sogar noch
       steigen wird, dann aber ebenfalls durch grüne Energie abgelöst werden soll.
       
       18 Mar 2025
       
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