# taz.de -- Riot Dogs in der Türkei: Wenn selbst Hunde für den Widerstand bellen
       
       > Straßenhunde mischen sich in Istanbul unter die Protestierenden. Doch
       > warum schlagen sich sogenannte Riot Dogs auf eine Seite?
       
 (IMG) Bild: Straßenhunde in Istanbul: Wer ihnen Wasser reicht oder kurz den Kopf krault, wird automatisch zum Verbündeten
       
       Es regt sich pelziger Widerstand in Istanbul: Der Straßenhund Direniş, ein
       Labrador-Mischling, nimmt seit Tag 1 vor Saraçhane an den Protesten teil.
       Spätestens ab dem dritten Tag kannte ihn jeder. Er bellt die Polizisten an,
       wenn sie Tränengas versprühen, läuft mit den Demonstranten mit und gönnt
       sich zwischendurch eine kurze Pause – mit Streicheleinheiten inklusive. Als
       echter Protestprofi ist er inzwischen [1][zum Symbol des Widerstands]
       geworden.
       
       Die Demonstranten feiern Direniş oder auch Kahraman (Held) oder einfach
       „Köpek“ (Hund) – anscheinend hat er unzählige weitere Namen, weil jeder ihn
       anders nennt. Sie rufen: „Havla, havla, havlamayan Tayyipçi!“ – auf
       Deutsch: „Bell, bell! Wer nicht bellt, ist ein Erdogan-Anhänger!“ Eine
       humorvolle, aber auch tiefpolitische Parole, die zeigt, dass in Istanbul
       nicht nur Menschen, sondern auch Hunde klare Zeichen setzen können.
       
       ## Hunde gegen Polizeihelme
       
       Von Straßenhunden, die sich Protesten anschließen, hört man immer wieder.
       Sie haben sogar einen eigenen Namen: Riot Dogs. In den 2010er Jahren wurde
       Loukanikos, ein Riot Dog aus Athen, weltberühmt, weil er sich bei Protesten
       gegen die rigide Sparpolitik der Regierung wacker an die Seite der
       Demonstranten stellte. Er bellte Polizisten an, wich Tränengas aus und ließ
       sich nicht vertreiben. Er war kein gezielt trainierter Revolutionshund,
       sondern einfach ein Straßenhund mit einem ausgeprägten Sinn für
       Gerechtigkeit – oder vielleicht einfach einer tiefen Abneigung gegen
       Polizeihelme.
       
       Athen und [2][Istanbul] sind neben ihrer langen Geschichte, beeindruckenden
       Architektur und ihrer lebendigen Protestkultur beide für ihre Straßenhunde
       bekannt. Sie laufen durch enge Gassen, legen sich mitten in den Weg, als
       gehöre ihnen die Stadt – und irgendwie tut sie das auch. Und wie sich jetzt
       zeigt bleiben manche dieser Hunde nicht einfach nur stumme Beobachter. Doch
       was treibt Hunde dazu, sich den Demonstranten anzuschließen? Warum sind
       Riot Dogs so oft auf der Seite der Protestierenden?
       
       ## Instinkt gegen Bedrohung
       
       Eine Vermutung ist, dass sich Straßenhunde wegen ihres ausgeprägten
       sozialen Gespürs [3][den Protesten] anschließen. Sie orientieren sich an
       den Menschen, die ihnen Aufmerksamkeit und Futter geben – und das sind in
       solchen Situationen meistens die Protestierenden. Wer ihnen Wasser reicht
       oder kurz den Kopf krault, wird automatisch zum Verbündeten. Polizisten
       hingegen? Die tragen Helme, sind laut und sprühen mit Dingen um sich, die
       in den Augen eines Hundes sicher nicht wie freundliches Leckerli-Werfen
       aussehen.
       
       Das passt auch zu der Theorie, dass die Tiere instinktiv auf Bedrohung
       reagieren. Hunde sind Meister der Körpersprache und achten auf die
       Körperspannung und die Lautstärke der Menschen um sie herum. Wer schreit,
       mit Knüppeln wedelt oder Pfefferspray verteilt, wird als aggressiv
       wahrgenommen. Wer ruhig bleibt und sich um den Hund kümmert, gehört
       automatisch zur sicheren Gruppe. Und wenn Direniş eins weiß, dann, dass es
       keine gute Idee ist, mit Leuten rumzuhängen, die Tränengas versprühen.
       
       Und dann gibt es noch die mythische Erklärung der Demonstranten: Direniş
       hat den Widerstand im Blut. Es wird sich erzählt, dass seine Vorfahren
       bereits, während der Gezi-Proteste 2013 Pfefferspray geschluckt haben.
       Vielleicht wurde ihm also schon mit der Muttermilch beigebracht, dass man
       Polizisten besser anbellt, bevor sie wieder die ganze Stadt in Nebel
       hüllen. Vielleicht also ist es genetisches Gedächtnis.
       
       ## Straßenhunden droht in Istanbul die Tötung
       
       Womöglich ist Direniş Unterstützung einfach nur der Widerstand gegen eine
       eigene bittere Realität: Straßenhunde in Istanbul haben gelernt, dass sie
       nicht willkommen sind – zumindest nicht bei denen, die jetzt an der Macht
       sind. Die Regierung macht nicht nur Jagd auf Demonstranten, sondern auch
       auf die Straßenhunde. Seit dem vergangenen Jahr [4][erlaubt ein neues
       Gesetz, Straßentiere zu töten] – und wo sie einst selbstverständlich zum
       Stadtbild gehörten, werden sie nun systematisch ausgelöscht.
       
       Vielleicht verteidigen Riot Dogs keine politische Ideologie. Vielleicht
       wissen sie nicht, was Demokratie ist oder warum die Menschen auf die Straße
       gehen. Aber sie wissen eins: Sie wollen frei sein, sich hinlegen, wo sie
       wollen, mitlaufen, wenn es spannend wird, und sich ihre Streicheleinheiten
       abholen, wann immer sie Lust haben. Solange es Hunde wie Direniş und
       Loukanikos gibt, wird der Widerstand weiter bellen – gegen Pfefferspray,
       Knüppel und Ungerechtigkeit.
       
       28 Mar 2025
       
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