# taz.de -- „Zero Waste City“ in Italien: Müllo è impossibile
       
       > Wir alle produzieren zu viel Abfall. Dabei ist Kreislaufwirtschaft gar
       > nicht so kompliziert. Eine toskanische Kleinstadt zeigt, wie's geht.
       
 (IMG) Bild: Umgeben von Ressourcen: Gründerin Anna Lisa Pace im Showroom der Kreislaufwirtschaftsinitiative Nanina
       
       Capannori taz | Die Lagerhalle steht voll mit Sesseln, Tischen, Schränken
       und anderen gebrauchten Möbeln. Auf das Wellblechdach trommelt an diesem
       Februartag der Regen, als ein junges Pärchen die Halle in der italienischen
       Kleinstadt Capannori bei Pisa betritt. Die beiden schauen sich einen
       Tischläufer an. „Den können Sie gleich mitnehmen, für 20 Euro ist es
       Ihrer“, sagt Anna Lisa Pace.
       
       „Upcycling, da waren wir schon vor zwanzig Jahren mittendrin“, erzählt
       Pace. Sie ist die Präsidentin von Nanina, der sozialen Kooperative, die den
       Möbelladen betreibt und die in Capannori eine Kreislaufwirtschaft schafft.
       Die toskanische 46.000-Einwohner:innen-Gemeinde hat sich als erste
       europäische Stadt [1][zur „Zero Waste City“] ernannt – und damit zum Ziel
       gesetzt, den Restmüll zu besiegen. Alte und kaputte Gegenstände können die
       Bewohner:innen in einer der sechs Sammelstellen von Nanina abgeben und
       die Kooperative macht etwas Neues daraus.
       
       Pro Kopf produzierten EU-Einwohner 2022 laut dem Statistischen Bundesamt
       [2][513 Kilogramm Müll]. Besonders problematisch ist Restmüll. Er lässt
       sich nicht recyceln und muss daher komplett verbrannt werden. Über 95
       Millionen Tonnen CO2 verursacht die europäische Restmüllverbrennung
       jährlich – nicht zuletzt durch den ständigen Überkonsum. So hat sich etwa
       [3][laut Greenpeace] zwischen 2000 und 2020 der jährliche Kleiderkonsum in
       Deutschland verdoppelt: von 50 auf 100 Milliarden Tonnen. Zwei Milliarden
       Textilien werden hierzulande jedes Jahr neu oder fast neu aussortiert.
       Aufgrund des hohen Plastikanteils landet der Großteil davon im Restmüll.
       
       2023 gab es in Capannori nach eigenen Angaben ein Restmüllaufkommen von 59
       Kilogramm pro Kopf, über 80 Prozent davon wurden recycelt. Das ist zwar
       noch nicht Zero Waste, aber es sind 60 Prozent weniger Restmüll als im
       restlichen Italien. Wie hat die Gemeinde das geschafft?
       
       ## Ein Regal voller Müllsünden
       
       „Für uns gibt es das Wort Müll nicht“, sagt ein Koordinator von Nanina,
       „Das sind alles Ressourcen.“ In der Halle stehen im Moment genug Schränke,
       Tische und Stühle für 30 Haushalte. Im hinteren Teil der Halle gibt es eine
       Fahrradwerkstatt. Gerade flext ein älterer Herr ein Fahrradschloss auf.
       Schrotträder werden hier zu Ersatzteilen für neuere Räder. Unbrauchbare
       Kleider kommen in die Kleiderrecyclinganlage – oder werden in der
       Schneiderei zu Theaterkostümen. Die haben eine hohe Nachfrage in der
       Kulturszene. Brauchbare Kleider, Spielsachen und Haushaltsgegenstände
       verkauft Nanina im eigenen Laden. Bücher, Teller, Kleidung gibt es für
       wenige Euro.
       
       Das Angebot richtet sich besonders an Bedürftige. Bretter aus kaputten
       Schränken, Betten und Paletten werden in der Schreinerei zu Holzkästen
       umgebaut, in denen Küchenabfälle kompostiert werden können. Die Komposter
       sind gratis und wer sie nutzt, spart Müllgebühren.
       
       Hinter dem toskanischen Erfolg steckt noch eine zweite Initiative: Zero
       Waste Capannori. Ihr Gründer Rossano Ercolini betreibt ein kleines
       Forschungsinstitut in Capannori, ein Raum in einem Plattenbau. In einem
       Regal sammelt er „Müllsünden“: Windeln, Einmalrasierer, Wattestäbchen aus
       Plastik und Feuerzeuge – sie können nicht recycelt werden.
       
       Ercolinis Initiative empfiehlt der Kommune Capannori Maßnahmen zur
       Müllvermeidung. Dazu gehört ein neues Mülltrennsystem und das [4][„Pay as
       you throw“-Prinzip]. Man bezahlt für so viel Müll, wie man auch wegwirft.
       Mehr Müll bedeutet also mehr Kosten, recyceln oder spenden hingegen spart
       Geld. Restmüll, Sperrmüll, Elektroschrott und Kleidung sind besonders
       teuer. Für die Anwohner ein guter Grund, alles Brauchbare zu Nanina zu
       bringen.
       
       Ercolini erzählt von der Gründung seiner Initiative: „1995 plante die
       Toskana, zwei neue Müllverbrennungsanlagen zu bauen – eine davon in
       Capannori.“ Dagegen wehrte sich der Grundschullehrer und organisierte einen
       großen Protest. Argumentative Schützenhilfe kam aus dem Ausland. Ein
       bekannter US-amerikanischer Wissenschaftler half, die Stadtverwaltung zu
       überzeugen. Der Bau der Verbrennungsanlagen konnte tatsächlich gestoppt
       werden. Aber wohin mit dem vielen Müll? Die Kommune fand eine einfache
       Lösung: nämlich die, Restmüll so gut es geht zu reduzieren. Zero Waste
       Capannori war geboren.
       
       ## Weniger Entsorgungskosten für die Stadt
       
       Mithilfe einer weitreichenden Informationskampagne lernten die Menschen
       zunächst, richtig zu recyceln. In Capannori stand, damals noch anders als
       im restlichen Italien, der Müll in Eimern und Säcken sortiert vor den
       Häusern. Später kam die „Pay as you throw“-Steuer hinzu. Bald war die
       kleine Stadt Europameister im Mülltrennen. Aber Ercolini wollte den
       Restmüll ganz abschaffen. Gemeinsam mit anderen Aktivisten begann er,
       Müllsäcke zu durchsuchen und die müllintensivsten Produkte zu sammeln.
       
       Nach der Analyse schrieb der Grundschullehrer lange Mails an die Hersteller
       und forderte sie auf, ihr Produkt zu überarbeiten. Seit 20 Jahren macht er
       das. „Sieben von zehn Firmen antworten mir normalerweise. Dann versuchen
       wir gemeinsam, das Produkt zu verbessern.“ Seine Taktik funktioniert.
       Lavazza-Kaffeekapseln, BIC-Kugelschreiber können mittlerweile recycelt
       werden.
       
       Für sein Engagement gewann Ercolini 2014 den Goldman Preis, auch Nobelpreis
       für Nachhaltigkeit genannt. Jetzt ist er in Rente und widmet seine volle
       Aufmerksamkeit dem Traum von [5][Zero Waste]. In einer Ecke liegen Hunderte
       kleine Plastikeisteebecher. Das ist sein neues Projekt.
       
       Nanina wurde ursprünglich aus einer anderen Motivation gegründet. „Wir
       wollten in der Kirche unsere Nächstenliebe verwirklichen. Dafür sammelten
       wir Möbel im Gemeindesaal und in leer stehenden Häusern, um sie an
       Bedürftige zu spenden“, sagt Anna Lisa Pace. Als das Projekt immer größer
       wurde, tat man sich mit der örtlichen Müllentsorgungsgesellschaft zusammen.
       
       Bis heute stellt die Entsorgungsgesellschaft mietfrei mehrere Lagerhallen,
       weil das Projekt der Stadt Geld spart. Weniger Müll heißt weniger
       Entsorgungskosten. Mittlerweile ist aus dem christlichen Verein eine
       soziale Kooperative aller Religionen geworden. Nanina beschäftigt 30
       Mitarbeitende und 70 Freiwillige. 300.000 Euro Umsatz macht sie pro Jahr
       und finanziert sich so meistens vollständig selbst.
       
       Das Konzept der Kreislaufwirtschaft wie bei Nanina sei prinzipiell überall
       anwendbar, meint Anna Lisa Pace. Was es brauche, seien Platz und motivierte
       Initiatoren. Wenn die Sache einmal laufe, machten viele Menschen mit.
       Rossano Ercolini ist sich sicher: Viele seiner Zero-Waste-Strategien
       könnten weltweit adaptiert werden. In Kiel beispielsweise wird regelmäßig
       der Restmüll analysiert und eine Einführung von „Pay as you throw“ geprüft
       – Capannori ist dabei Vorbild.
       
       Ercolini hat große Pläne. Er hat elf Millionen Euro Fördergeld von der EU
       für eine Windelrecyclinganlage bekommen. Damit will er Capannori auf bis zu
       95 Prozent Recyclingrate bringen. Der pensionierte Grundschullehrer läuft
       zu seinem Auto, er will einen Freund besuchen. Sein Wagen ist alt und
       verbeult und sieht aus, als ob er gar nicht mehr fahren dürfte. Aber
       verschrotten ist keine Option.
       
       Klappernd und ruckelnd fährt Ercolini vom Parkplatz in die toskanischen
       Hügel. Unterwegs wird er anhalten, um Müll zu sammeln.
       
       2 Apr 2025
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://zerowasteeurope.eu/library/the-story-of-capannori/
 (DIR) [2] https://www.destatis.de/Europa/DE/Thema/Umwelt-Energie/Abfallaufkommen.html
 (DIR) [3] https://www.greenpeace.de/publikationen/20151123_greenpeace_modekonsum_flyer.pdf
 (DIR) [4] https://greenbestpractice.jrc.ec.europa.eu/node/7
 (DIR) [5] /Zero-Waste/!5846109
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Maximilian Seidel
       
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