# taz.de -- Friedensaktivistin aus Berlin: „Mit 19 bin ich zurück nach Israel, um meine Mutter zu begraben“
       
       > Vered Berman unterstützt aus Berlin mit ihrem Verein Friedensarbeit in
       > Israel/Palästina. Sie sagt: Frieden braucht andere Erzählungen. Und mehr
       > Geld.
       
 (IMG) Bild: Vered Berman, 41, ist schon seit ihrer Teenagerzeit Friedensaktivistin
       
       Aufgewachsen bin ich in Westjerusalem, seit 22 Jahren lebe ich in Berlin.
       In Israel/Palästina bin ich Mitglied im Parents Circle Families Forum
       (PCFF), das ist eine Gruppe von etwa 800 Familien, in denen ein
       Familienmitglied dem Konflikt zum Opfer gefallen ist. Bei mir ist es meine
       Mutter. Sie ist bei einem Terroranschlag ums Leben gekommen.
       
       Wir sind israelische und palästinensische Familien, die sagen: Das
       Blutvergießen muss aufhören. Wir haben etwas besseres verdient. Denn wir
       wollen keine neuen Mitglieder in unserem Verein. Nicht, weil wir dagegen
       sind, dass mehr Menschen für den Frieden kämpfen. Sondern weil wir nicht
       wollen, dass noch mehr Menschen jemanden verlieren.
       
       Ich glaube an den Frieden. Ganz fest. Dass Frieden machbar ist. Frieden ist
       eine Entscheidung, Frieden ist etwas, das Menschen machen. Am Ende von
       Konflikten passiert es immer genau so: Politiker treffen sich und
       unterschreiben ein Abkommen, und damit hören die Kämpfe auf. Das wünsche
       ich mir auch für Israel/Palästina.
       
       ## Botschaft auch hier verbreiten
       
       Unsere Gruppe gibt es seit 30 Jahren. Ich bin seit dem Sommer 2023
       Mitglied, und seit Dezember 2024 bin ich hier von Berlin aus Mitbegründerin
       von dem Unterstützerverein Parents Circle Friends Deutschland, weil ich die
       Arbeit von PCFF so wichtig finde. Wir wollen deren Botschaft auch hier
       verbreiten und dafür werben.
       
       Aktuell bereiten wir eine Aktionswoche vor: Zwei [1][Sprecher von PCFF
       kommen hierher, mit ihnen machen wir mehrere Dialogtreffen] in Berlin und
       Potsdam (siehe Kasten). Die Treffen machen sie so auch in Israel/Palästina:
       Es sind immer zwei Personen, eine mit palästinensischem Hintergrund, eine
       mit israelischem Hintergrund.
       
       Und dann erzählt jeder erst mal seine eigene Verlustgeschichte. Und wie sie
       dazu gekommen sind, gerade in so einer Gruppe aktiv zu sein. Yuval Rahamim
       zum Beispiel hat seinen Vater verloren, als er acht Jahre alt war. Als Kind
       und Jugendlicher hatte er lange Rachefantasien. Heute sagt er: Das ist
       unsere Stärke, wie wir von Rache zu Friedensarbeit gekommen sind.
       
       Das hätte nicht passieren dürfen
       
       Erst dachte ich: Habe ich dann gar keine Stärke? Denn ich hatte nie dieses
       Bedürfnis nach Rache. Heute weiß ich: Auch Menschen, die schon immer
       Frieden wollten, haben eine starke Botschaft. Ich habe meine Mama verloren.
       Das hätte nicht passieren dürfen, und vor allem nicht in irgendjemandes
       Namen.
       
       Es gibt auch die Organisation Lo Lashav, übersetzt heißt das „Nicht
       umsonst“. Das sind Familien von Terroropfern oder gefallenen Soldat*innen,
       die sich für Frieden einsetzen, weil sie sagen, ihr Kind ist dann nicht
       umsonst gestorben. Das verstehe ich emotional. Aber für mich ist klar:
       Meine Mutter ist absolut umsonst gestorben. Ihr Tod hat Israel nicht
       sicherer gemacht und Palästina nicht freier. Meine Verantwortung ist, dazu
       beizutragen, dass das Töten aufhört. Denn noch passiert es täglich.
       [2][Seit Sonntag mit dem Waffenstillstand] hoffentlich nicht mehr, aber …
       
       ## Neue Olivenbäume für zerstörte Haine
       
       Ich habe mit 16 Jahren angefangen, mich für den Frieden zu engagieren. Ich
       war Friedensaktivistin in einer Gruppe, die in der Westbank Medizinzentren
       mit aufgebaut hat, wenn etwa neue Checkpoints Menschen den direkten Zugang
       zu Krankenhäusern versperrt haben. Oder wir haben Olivenbäume neu
       gepflanzt, wenn Siedler oder die Armee Haine zerstört haben.
       
       Dann habe ich den Militärdienst verweigert. Das war ein großer Kampf mit
       meiner Mama, der größte Streit, den wir je hatten. Sie meinte, wir müssen
       alle der Gesellschaft etwas zurückgeben, und wir könnten sie nur von innen
       verändern. Sie hätte es lieber gesehen, wenn ich zur Armee gehe.
       
       Nach meinem Zivildienst bin ich mit 19 aus Israel weggegangen und als
       Au-pair in Berlin gelandet. Es war 2003, die Zeit der zweiten Intifada. Mir
       war die Gesellschaft in Israel zu militarisiert und auch zu
       macho-sexistisch. Ich habe etwas anderes gesucht.
       
       ## Attentat in Jerusalem
       
       Ich war neun Monate weg von zu Hause, da gab es in Jerusalem ein Attentat
       auf einen Bus. Ich habe es in den Nachrichten gesehen. Wir hatten damals
       ein Handy für die ganze Familie. Am Nachmittag, gegen 17 Uhr, habe ich das
       Handy angerufen, und meine Schwester hat mir gesagt: Es ist alles okay. Ich
       weiß noch, dass ich mir Vorwürfe gemacht habe, ob ich überhaupt anrufen
       soll, weil der Anruf so teuer war.
       
       Meine Mutter war unterwegs, aber meine Familie hat sie erst nicht mit dem
       Attentat in Verbindung gebracht. Es gab keinen Grund, warum sie im Bus sein
       sollte, normalerweise wäre sie gelaufen. Wir wissen bis heute nicht, warum
       sie im Bus war. Als sie dann nicht zurückkam, haben sie sich das erst damit
       erklärt, dass viel los ist nach dem Anschlag, dass sie vielleicht nicht
       durchkommt. Ich bin in Berlin entspannt ins Bett gegangen. Ich hatte auch
       noch eine Nachricht von einem Freund gelesen, er war in dem Bus und hatte
       einen Splitter in die Schulter bekommen, aber es ging ihm gut.
       
       Als meine Mutter dann auch spätabends noch nicht zurück war, haben mein
       Papa und meine Schwester die Krankenhäuser abtelefoniert und auf den
       Straßen nach ihr gesucht. Dann kam ein Anruf: Es gab eine unidentifizierte
       Leiche, sie sollten kommen. Um drei Uhr morgens hat mich meine Schwester
       dann angerufen: „Mama ist beim Attentat ums Leben gekommen.“
       
       ## Brutal und plötzlich
       
       Es gab damals nur zwei Flüge pro Woche nach Israel, einer ging zufällig am
       nächsten Morgen, am 11. Juni 2003. Der Vater meiner Au-pair-Familie hat
       mich zum Flughafen gebracht, und ich bin nach Israel geflogen, um meine
       Mutter zu begraben. Mit 19.
       
       Meine Mutter war 50, als sie gestorben ist. Wir hatten eine gute Beziehung,
       aber ich vermisse, dass wir nie eine Erwachsenenbeziehung hatten. Ich habe
       drei Kinder, und ich hatte vier Geburten. Und es ist egal, wie lange das
       her ist: Dass sie nicht dabei sein konnte, das ist einfach ungerecht.
       
       Dass ihr Tod so brutal und plötzlich kam, hat dazu geführt, dass ich lange
       nicht verstanden habe, was passiert ist, und lange gebraucht habe, bis ich
       Trauer erleben konnte. Ein paar Jahre später habe ich das Buch „Die Asche
       meiner Mutter“ gelesen. Über einen Mann, der seine schwerkranke, im Sterben
       liegende Mutter pflegt. Ich weiß noch: Ich war so neidisch auf ihn. Ich war
       neidisch auf das Privileg, sich verabschieden zu können.
       
       Ich war schon vorher Friedensaktivistin. Der Unterschied ist, dass ich
       jetzt aus meinen Erfahrungen, in meinem Körper weiß, was dieser Krieg
       bedeutet. Das weiß ich viel zu genau.
       
       ## Friedensarbeit kostet viel
       
       Es ist nicht einfach, in Israel für den Frieden zu kämpfen. In unserem
       Unterstützerverein machen wir neben der inhaltlichen Arbeit auch
       Fundraising, um den Verein in Israel/Palästina auch finanziell zu
       unterstützen. Denn: Frieden kostet Geld. Wir wissen aus Irland, dass die
       internationale Gemeinschaft vor dem Karfreitagsabkommen rund 44 Dollar pro
       Jahr und pro Kopf für Friedensorganisationen ausgegeben hat. In
       Israel/Palästina sind es derzeit nur 1,50 Dollar.
       
       [3][PCFF geht in Israel viel in Schulen, in die elften Klassen]. Das sind
       Jugendliche kurz vor ihrem Militärdienst. Oft ist die Person aus unseren
       Duos die erste palästinensische Person, die sie in ihrem Leben treffen.
       Ganz oft kommt die Frage: „Warum macht ihr das mit Palästinensern zusammen?
       Wie geht das, wie könnt ihr das, mit ihnen reden, nach dem, was passiert
       ist?“
       
       Der Verein setzt sich für eine andere Erzählung ein. Wir wollen uns
       gegenseitig zuhören. Wir wissen: Mein Schmerz ist genauso wie dein Schmerz.
       Menschen sollten frei und friedlich leben können. Das ist es, was Menschen
       sich im Grunde wünschen und was sie brauchen.
       
       ## Es geht auch ganz anders
       
       Ich denke, dass ich auch aus Berlin etwas bewirken und beitragen kann.
       Berlin ist als Stadt so unglaublich divers, und hier leben viele, die auch
       vom Konflikt betroffen sind. Ich habe viele israelische Freunde mit
       Kindern, für die es eine große Frage ist, wie offen sie mit ihrer jüdischen
       Identität umgehen können, weil sie schlechte Erfahrungen gemacht haben.
       
       Genauso ergeht es Familien, Kindern und Jugendlichen mit palästinensischer
       Identität. Antisemitismus ist stark angestiegen, antimuslimischer
       Rassismus, vor allem antipalästinensischer Rassismus nimmt auch zu. Das
       Sprechen über den Konflikt und die Ansichten sind hier unglaublich
       polarisiert.
       
       Für die Arbeit in Berlin ist es meine Hoffnung, jemanden zu finden, der
       hier mit mir solche PCFF-Dialogtreffen machen könnte. Also eine Person, die
       jemanden im Konflikt verloren hat und die offen ist für Friedensarbeit. Und
       die auch für ein anderes Narrativ wirbt. Jemand, der oder die mit mir
       zusammen zeigen will: Es geht auch ganz anders. Es geht nicht um pro Israel
       oder pro Palästina. Es geht um pro Mensch. Diese Perspektive fehlt mir
       komplett.
       
       24 Jan 2025
       
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