# taz.de -- Vertreibung von Palästinensern: Eine Stadt im Schatten der Offensive
       
       > Die israelische Armee führt unter dem Namen „Eiserne Wand“ Angriffe auf
       > Dschenin durch. Tausende Palästinenser wurden zur Flucht gezwungen.
       
 (IMG) Bild: Fahrzeuge der israelischen Armee während der Militäroperation in der Stadt Dschenin im Westjordanland
       
       Dschenin taz | Nawal Abu Salah wollte nicht gehen. Nicht als die
       israelische Armee Flugblätter abwarf, das Flüchtlingslager von [1][Dschenin
       im Norden des besetzten Westjordanlands zu verlassen]. Auch nicht als die
       Schüsse näher kamen oder sie aus den Fenstern sahen, wie gefesselte
       Palästinenser mit verbundenen Augen an ihrem Haus vorbeigeführt wurden.
       Doch als die Armee zwei Tage nach dem Beginn der Offensive aus
       Lautsprechern mit Luftangriffen drohte, blieb der 65-Jährigen keine Wahl.
       „Wir hatten Angst, dass sie das Haus über unseren Köpfen abreißen würden.“
       Die 25-köpfige Familie, die Hälfte von ihnen Minderjährige, machte sich auf
       den Weg aus dem Lager heraus.
       
       Seit dem 21. Januar geht die israelische Armee unter dem Operationsnamen
       „Eiserne Wand“ in Dschenin vor, das als Hochburg des Widerstands gegen die
       israelische Besatzung gilt. [2][Dort leben rund 25.000 Menschen auf einem
       halben Quadratkilometer]. Mittlerweile seien laut der UNO fast alle
       geflüchtet. Wenig später begannen ähnliche Offensiven in Tulkarm und
       Tammun.
       
       „Es hat schwer geregnet an diesem Tag und wir mussten meinen Bruder im
       Rollstuhl durch den Schlamm tragen“, sagt Abu Salah. Mehr als eine Stunde
       habe die Familie für die wenigen hundert Meter aus dem Camp heraus
       gebraucht. „Wir warten seit 13 Tagen auf die Rückkehr, doch ein Nachbar hat
       mir erzählt, dass unser Haus ausgebrannt ist.“
       
       Die Gewalt im Westjordanland eskaliert seit Jahren, mehrfach ist die Armee
       seit dem Hamas-Überfall vom 7. Oktober 2023 in großen Operationen in
       Dschenin eingedrungen. Noch nie aber so zerstörerisch wie diesmal. Der
       Bürgermeister von Dschenin, Mohammed Dscharrar, nannte es gegenüber dem
       US-Sender CNN „vergleichbar mit Gaza im Kleinen“.
       
       ## Beobachter sehen die Offensive als politisch motiviert
       
       Israels rechtsreligiöser Finanzminister Bezalel Smotrich bezeichnete die
       „Sicherheit im Westjordanland“ vor Kurzem als zusätzliches Kriegsziel.
       Beobachter sehen die Offensive als politisch motiviert, um ihn und andere
       Gegner der seit dem 19. Januar geltenden Waffenruhe im Gazastreifen in der
       Regierung zu halten.
       
       Auch in Dschenin ist nun ständig das Surren israelischer Drohnen zu hören.
       Immer wieder gibt es Luftangriffe. Am Sonntag sprengten Soldaten 23 Gebäude
       im Camp in die Luft, Szenen, die so bisher nur im Gazastreifen und dem
       Libanon zu beobachten waren. Laut der UNO wurden mehr als 100 Gebäude
       zerstört oder beschädigt. Die Sprengungen sollen offenbar aus dem
       jahrzehntealten, dicht bebauten Flüchtlingslager eine übersichtlichere
       Kampfzone machen. Das berichtete die Zeitung Haaretz unter Berufung auf
       eine hochrangige Quelle. Die „Veränderung der physischen Struktur des
       Lagers“ lasse sich zudem auf andere Orte im Westjordanland übertragen.
       
       In Dschenin sind laut dem Bürgermeister die Wohnungen Hunderter Familien
       betroffen. Manche der vertriebenen Bewohner haben genug von der Spirale der
       Gewalt, wie der 22-jährige Ahmed Nada. „Meine Mutter, ich und die Bewohner
       des Camps: Wir sind des Hin und Hers zwischen den Militanten und der Armee
       müde“, sagt er. Er studiere, wolle Buchhalter werden, war aber seit zwei
       Monaten nicht mehr in der Universität. „Vor den Israelis haben wochenlang
       die Sicherheitsleute der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) Razzien im
       Camp gemacht.“
       
       Die Worte von Israels Verteidigungsminister Israel Katz bei einem
       Truppenbesuch vergangene Woche lassen kaum auf ein Ende der Gewalt hoffen:
       Demnach sollen israelische Soldaten auch nach Abschluss der Operation im
       Lager bleiben. Dort werde „nichts mehr sein, wie es einmal war“. Indes
       reißen Bulldozer die Straßen des Camps auf und zerstören die Wasser- und
       Stromversorgung, laut Armee auf der Suche nach Sprengfallen.
       
       ## 25 Menschen starben seit dem Beginn der Operation
       
       25 Menschen starben allein in Dschenin seit dem Beginn der Operation, unter
       ihnen immer wieder auch unbeteiligte Zivilisten. Eine von ihnen ist die
       zweijährige Leila al-Chatib. Sie wurde am Samstagabend vor einer Woche im
       Dorf Schuhada nahe Dschenin durchs Fenster am Esstisch ihrer Familie
       erschossen, als Soldaten das Dorf stürmten. Auch zu Angriffen bewaffneter
       Palästinenser auf Soldaten kommt es regelmäßig. Am Dienstag stürmte ein
       palästinensischer Kämpfer einen Militärstützpunkt und erschoss zwei
       Soldaten, bevor er getötet wurde.
       
       Einen Plan, der über militärische Härte hinausgeht, gibt es bisher nicht.
       Die jüngsten Vorschläge von US-Präsident Donald Trump zur Zukunft des
       Gazastreifens lassen aber ohnehin befürchten, dass weder die israelische
       noch die US-Führung die Palästinenser bei der Frage nach einer Lösung
       einbeziehen wollen. Dessen Vorschläge für einen US-geführten Umbau des
       Gazastreifens zur „Riviera des Nahen Ostens“ ohne Palästinenser sind nicht
       nur rechtlich problematisch, kommen sie doch einem Aufruf zur ethnischen
       Säuberung gleich. Sie sind auch praktisch kaum umsetzbar.
       
       Zunächst ist eine Realisierung der Pläne des selbsternannten
       „Friedensstifters“ Trump ohne eine Fortsetzung des Gazakriegs kaum
       vorstellbar. Der Großteil der erst vor wenigen Tagen in den zerstörten
       Norden zurückgekehrten Palästinenser wird nicht von allein gehen.
       
       Bisher zeigen sich zudem weder Ägypten noch Jordanien willens, als
       Aufnahmeländer zur Verfügung zu stehen. Angesichts ihrer Abhängigkeit von
       den USA in wirtschaftlicher und militärischer Hinsicht könnte Trump sie
       womöglich durch Druck zum Einlenken bewegen. Doch ein Einknicken hätte für
       beide Länder dramatische politische Folgen. Innere Unruhen in Kairo oder
       Amman, die seit Jahrzehnten Friedensabkommen mit Israel haben, könnten die
       gesamte Region destabilisieren. Auch Saudi-Arabien erteilte dem Plan noch
       in der Nacht eine Absage.
       
       ## Viele jüdische Israelis unterstützen die Umsiedlung
       
       Positiv aufgenommen wurden die Pläne vor allem in Israel. Offenheit für den
       Vorschlag kam neben rechtsextremen Siedlern auch von den Oppositionsführern
       Jair Lapid und Benny Gantz: Gantz begrüßte den Vorschlag als „kreativ“.
       
       [3][Acht von zehn jüdischen Israelis unterstützen die Umsiedlung der]
       Palästinenser in andere Länder laut einer Umfrage des
       Meinungsforschungsinstituts JPPI von Montag, auch wenn nur gut 50 Prozent
       sie für praktikabel halten.
       
       Zu den erwartbaren Folgen eines solchen Schritts hilft auch ein Blick in
       die Geschichte: Im Zuge des Krieges nach der Staatsgründung Israels im Jahr
       1948 sind rund 700.000 Palästinenser aus dem heutigen Israel geflohen oder
       wurden vertrieben, unter anderem nach Dschenin. Frieden hat es der Region
       nicht gebracht.
       
       Mitarbeit: Abed Omar Qusini
       
       5 Feb 2025
       
       ## LINKS
       
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